# taz.de -- Retro oder Vintage? Das ist hier nicht die Frage
       
       > Die Unterschiede von Secondhand-Läden zu einer Kaufhausmodefiliale werden
       > immer kleiner. Womöglich hat der Trend, gebrauchte Kleidung zu kaufen,
       > den Höhepunkt der Nachhaltigkeit überschritten
       
 (IMG) Bild: Eher traditionell Secondhand: Spenden am Paulinenplatz in Hamburg
       
       Von Sebastian Ridder
       
       An Orten wie in Marburg ist ja so, dass die Secondhand-Läden beinahe
       untergehen im Vergleich zu den Modefilialen der Einkaufzentren daneben.
       Ihre Schaufenster sind nur schlecht beleuchtet, im Inneren muss man schon
       stöbern, um sich zurechtzufinden. Die Umkleidekabinen wirken, als seien sie
       nur provisorisch aufgestellt worden, wenn sie überhaupt vorhanden sind.
       
       Im Hamburger Schanzenviertel dagegen wird in den Schaufenstern in grellen
       Farben der Kilopreis der Secondhand-Ware angepriesen, die dahinter im hell
       erleuchteten Inneren zu sehen ist. Während die VerkäuferInnen in Marburg
       eher aussehen, als wären sie ehrenamtlich tätig, wirken die Verkäuferinnen
       bei den chicen Hamburger Läden so, als würden sie bezahlt. Die meisten
       tragen trendige Outifts, die aus ihrem eigenen Laden stammen könnten.
       
       Bei den Gesprächen der Kunden tauchen inflationär Begriffe wie „Vintage“
       oder „Retro“ auf. Wer in Secondhand-Läden geht, ist Teil einer
       [1][Subkultur], die von Künstlern wie dem Hiphop-Duo Macklemore und Ryan
       Lewis popularisiert wurde. Im Video zu ihrem Song „Thrift Shop“ gehen sie
       in Secondhand-Läden und ziehen sich mit einer gewissen Unbekümmertheit alte
       Mäntel an, die auch von ihrer Oma sein könnten.
       
       Die Secondhand-Subkultur ist jedenfalls im Aufwind. 114 Geschäfte gibt es
       allein in Hamburg. Die Anzahl der registrierten Mitglieder bei der
       europaweit agierenden Modeplattform Vinted stieg zwischen 2012 und 2022 um
       mehr als das Hundertfache. Über 75 Millionen Menschen, davon 13 Millionen
       aus Deutschland, kaufen und verkaufen dort, versenden und erhalten Pakete
       aus Europa – die Zahl steigt, sowie der ökologische Fußabdruck mit jeder
       Lieferung.
       
       Zur Hipness der Secondhand-Szene tragen auch die so genannten
       Pop-up-Verkäufe bei, bei denen deutschlandweit Räume kurzfristig angemietet
       werden, um dort alte oder zumindest alt aussehende Kleider zu verkaufen.
       Bei einem solchen Event in Marburg lief im Hintergrund eher ruhiger Techno,
       die Verkäufer unterschieden sich nicht von den Kunden, sie standen nur auf
       der anderen Seite der Verkaufstheke.
       
       Auch die Pop-up-Verkäufe arbeiten mit Kilopreisen, in Marburg wurden bis zu
       49 Euro das Kilo aufgerufen – damit ist Secondhand nicht immer unbedingt
       billiger als neu gekaufte Kleider. Eine Lederjacke, die zweieinhalb Kilo
       wiegt, kostet dann immerhin 120 Euro.
       
       Die Läden im Schanzenviertel gehen mit den Kilopreisen kreativ um: Bei
       ihnen startet der Preis bei etwa 40 Euro und sinkt von Tag zu Tag, bis nach
       einer Woche wieder neue Kleider reinkommen. Das wird so angekündigt und
       führt dazu, dass die Leute die Läden frequentieren müssen – um die Preise
       im Auge zu behalten und um gegebenenfalls zuzuschlagen, wenn Sachen neu
       reingekommen sind, die bald weg sein könnten.
       
       Auf diese Weise werden Secondhand-Läden nicht nur hip, sondern auch teuer:
       Die neuesten alten Kleider sind für die, die am häufigsten in den Laden
       kommen und am meisten zu zahlen bereit sind.
       
       Was genau in den Geschäften verkauft wird, ob es gespendete Kleidungsstücke
       sind, Altbestände oder nur alt aussehende Kleidung, ist nicht
       nachzuvollziehen. Auch nicht, ob man Glück hat, einen fairen Preis bezahlt
       oder übers Ohr gehauen wird.
       
       Interessanterweise unterscheidet das Hamburger Handelsregister nicht
       zwischen Vintage-, Retro- und Secondhand-Shops. Eine solche Unterscheidung
       ist auch gar nicht nötig, die Kunden kommen sowieso.
       
       Der Unterschied zeigt sich an den Preisschildern. Das Geschäft mit dem
       Gebrauchten hat seine Unschuld verloren.
       
       10 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5700038&SuchRahmen=Print
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Ridder
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA