# taz.de -- Linke Demo in Leipzig am Samstag: Gegen die soziale Kälte
       
       > Ein neues linkes Bündnis ruft Samstag zu einer Großdemo in Leipzig auf.
       > Kritik an der Bundesregierung soll nicht den Rechten überlassen werden.
       
 (IMG) Bild: Schon Anfang September demonstrierten Linke gegen steigende Lebenshaltungskosten in Leipzig
       
       Leipzig taz | Als Reaktion auf die Energiekrise hat sich in Leipzig ein
       neues Protestbündnis gegründet. Der Vereinigung unter dem Namen „Jetzt
       reicht’s! – Wir frieren nicht für Profite“ gehören rund 40 Gewerkschaften,
       Klimagruppen, Mieter:inneninitiativen und soziale Organisationen an.
       Die Ampelkoalition, so die Kritik des Bündnisses, sichere statt dem Leben
       von Rentner:innen, Auszubildenden, Studierenden, Erwerbslosen,
       Alleinerziehenden sowie Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen nur
       Unternehmensgewinne. Die Entlastungspakete reichten nicht.
       
       Daher fordert das Bündnis die Regierung dazu auf, einen Mietendeckel
       einzuführen, schnellstens die erneuerbaren Energien auszubauen und
       Unternehmen mit einer Sondersteuer zu belegen, die stark von der aktuellen
       Energiekrise profitieren.
       
       Für Samstag, den 15. Oktober, hat das Bündnis zu einer Großdemonstration
       über den Leipziger Innenstadtring aufgerufen – jenen Ring, auf dem die
       Montagsdemonstrationen der friedlichen Revolution von 1989 stattfanden. Und
       über den bereits seit Wochen jeden Montag Putin-Versteher, Rechte und
       Rechtsextreme unter dem Vorwand marschieren, gegen die Energiepolitik der
       Bundesregierung zu protestieren, während sie insgeheim die Frustration der
       Bürger:innen weiter anheizen und rechtsextreme Inhalte verbreiten.
       
       Die vom Bündnis „Jetzt reicht’s“ geplante Demonstration ist nicht der erste
       linke Protest in Leipzig, der sich gegen die hohen Energiepreise und den
       [1][Versuch der Rechten richtet], das Thema für sich einzunehmen. Am 5.
       September hat etwa Sören Pellmann, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter
       der Linken, eine [2][Kundgebung mit mehr als 2.000 Teilnehmenden] in der
       Innenstadt veranstaltet und so versucht, die Sozialproteste links zu
       besetzen.
       
       ## 5.000 bis 6.000 Teilnehmende erhofft
       
       Die Demo am 15. Oktober ist aus einem anderen Grund besonders: Sie ist die
       erste in Leipzig, die von einem breiten Bündnis organisiert wird. „Es
       genügt nicht, wenn die Linkspartei alleine für eine Demo mobilisiert“, sagt
       Florian Bach von „Jetzt reicht’s“. Die Partei alleine erreiche nur einen
       bestimmten Teil an Leuten, nicht aber die breite Bevölkerung. Bach, 41
       Jahre alt, ist kein Parteimitglied, sondern in der außerparlamentarischen
       Linken aktiv. Zusammen mit Jamil Zehe, eine von vielen Initiator:innen
       des Bündnisses, hat er an einem großen runden Tisch im Linxxnet in
       Connewitz Platz genommen – einem Linken-Abgeordnetenbüro, das zugleich
       Treffpunkt der linken Szene Leipzigs ist.
       
       Bach ist noch immer etwas sauer, dass Pellmann die Demo damals „an dem
       Bündnis vorbei organisiert“ hat. Pellmann habe von dem Leipziger Bündnis
       und dessen Vorhaben gewusst, hätte zu den Bündnistreffen kommen können.
       „Wir haben trotzdem für seine Demo am 5. September mobilisiert, weil wir es
       wichtig fanden, das Thema nicht den Rechten zu überlassen“, sagt Bach.
       „Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätte Pellmanns Veranstaltung ganz
       schön kläglich ausgesehen.“ Um viele verschiedene Menschen zu mobilisieren,
       brauche es ein breites Bündnis aus vielen Gruppen und Organisationen, „die
       ihre Basis in ganz verschiedenen Milieus, Stadtteilen und Berufsgruppen
       haben“.
       
       Bach und seine Mitstreiterin Zehe hoffen am Samstag auf 5.000 bis 6.000
       Teilnehmende. Ihr Ziel ist es, Menschen zu erreichen, die von der Krise
       betroffen und davon überzeugt sind, dass es „solidarische Lösungen“ für die
       aktuellen Probleme brauche. „Unser Protest leugnet weder die Klimakrise
       noch verharmlost er Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
       Nationalismus ist nicht unsere Antwort“, sagt Zehe, 33 Jahre alt und im
       Studierendenverband Die Linke.SDS aktiv.
       
       Sie ist überzeugt: „Der Anteil derer, die nicht rechts sind, aber trotzdem
       an den von Rechten organisierten Montagsdemos teilnehmen, weil sie mit der
       Energiepolitik der Regierung unzufrieden sind, ist sehr klein.“ Die
       allermeisten wüssten, neben wem sie da laufen. Menschen, die es hinnehmen,
       zusammen mit Rechten zu demonstrieren, seien am 15. Oktober genauso wenig
       willkommen wie Rechte selbst.
       
       Seit Sören Pellmann am 5. September in der Leipziger Innenstadt ins Mikro
       rief, dass der Montag „nicht den Faschisten und Neonazis gehört“, ist die
       Zahl der rechten Demonstrierenden in der Stadt weiter gestiegen. Anfang
       September nahmen knapp 1.000 Menschen an der Montagsdemo teil, Ende
       September waren es 2.500. [3][Am Tag der Deutschen Einheit] lag die Zahl
       der Teilnehmenden laut Polizei „im unteren vierstelligen Bereich“.
       
       Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass die Demonstrierenden
       gewaltbereiter und radikaler werden. Bei der Montagsdemo am 26. September
       haben Rechtsextreme [4][sieben jugendliche Gegendemonstrant:innen]
       angegriffen und verletzt – vier davon so schwer, dass sie im Krankenhaus
       behandelt werden mussten. Am Montag dieser Woche haben rechte
       Demonstrierende Ukrainer:innen rassistische Beleidigungen
       entgegengeschrien, unter anderem „Nazis raus“ und „Ihr Schweine verpisst
       euch, ihr lebt auf unsere Kosten.“
       
       Bach und Zehe von „Jetzt reicht’s!“ betrachten die Entwicklung der
       Leipziger [5][Montagsproteste] mit großer Sorge. Bach beschreibt die Demos
       als „Radikalisierungsmotor“. Wie bei den [6][Querdenken-Protesten]
       vergangenen Winter liefen von der Politik enttäuschte Bürger:innen neben
       Neonazis und verlören jegliche Berührungsängste.
       
       „Als Person mit Migrationsgeschichte entsetzen mich die Proteste sehr, und
       ich kenne Leute, die überlegen, deswegen aus Leipzig und Sachsen
       wegzuziehen“, sagt Zehe. Sie könne nicht verstehen, warum die Leipziger
       Versammlungsbehörde die rechten Demos Woche für Woche genehmige. Das habe
       für sie nichts mehr mit Demokratie zu tun. „Die Rechten haben auf die Krise
       keine anderen [7][Antworten als Hass]“, sagt Zehe.
       
       Dieser Meinung ist auch der sächsische Verfassungsschutz. Bei den Demos
       gehe es den „Extremisten jeglicher Couleur“ nicht um eine Lösung für die
       Sorgen und Nöte der Menschen, die protestieren, „sondern allein darum,
       diese Menschen für sich und ihre systemfeindliche Einstellung zu gewinnen“.
       Die Themen Energiekrise, Inflation und soziale Schieflage eigneten sich gut
       für populistische und [8][extremistische Parolen.] „Insoweit gibt es eine
       vergleichbare Situation wie bei den Anti-Corona-Protesten“, teilte der
       Verfassungsschutz auf Anfrage mit.
       
       Zehe und Bach sind optimistisch, dass das Bündnis „Jetzt reicht’s!“ den
       rechten Demonstrationen in Leipzig etwas entgegensetzen kann. In den
       kommenden Wochen will die Vereinigung regelmäßig Protestaktionen in Leipzig
       durchführen. Das müssten nicht jedes Mal eine große Demo oder Kundgebung
       sein, möglich seien auch Nachbarschaftsaktionen oder Infostände, sagt
       Bach.„Ganz egal welche Protestform: Wichtig ist, dass wir nicht denselben
       Fehler machen wie bei den Querdenken-Protesten – nämlich die Straße den
       Rechten überlassen.“
       
       14 Oct 2022
       
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