# taz.de -- Tod der Queen: Trauer auf Twitter
       
       > Die Queen ist ein Relikt, das für eine alte Ordnung und durch Geburt
       > festgelegte Hierarchien steht. Traurig, wie viele sich danach
       > zurücksehnen.
       
 (IMG) Bild: Trauernde im Londoner Hyde Park können die Beerdigung der Queen auf gigantischen Leinwänden verfolgen
       
       The Queen and the Royals are not my cup of tea. Sie sind mir etwa so
       gleichgültig wie ich ihnen, nur kriege ich leider mehr über sie mit. Diese
       Haltung hab ich wohl von meinen kroatischen Verwandten. Mein Lieblingsonkel
       etwa kommentiert die Tode berühmter Menschen, die gesund ins hohe Alter
       kamen, immer nur mit einem Satz: „Ein gesegnetes Leben.“ Bei der Queen
       fügte er mit einem Augenbrauenziehen den folgenden hinzu: „Vor dem Tod sind
       alle gleich.“
       
       Als ich versuche, mit ihm über die Queen zu reden, sagt er: „Sie würde über
       mich auch nicht reden und schon gar nicht weinen.“ Es ist die
       Selbstbezogenheit eines alten Mannes, der jahrzehntelang darum gekämpft
       hat, sich ein wenig Status und Besitz zu erarbeiten, bis sein Körper zu
       müde für fast alles wurde und er nur noch schildkrötenartig im Schatten an
       seinem Esstisch sitzt. Ich mag seinen sturen Stolz. Und selten waren mir
       die Briten so fremd wie in diesen Tagen.
       
       Vor dem Tod sind alle gleich, das ist auch der Satz, den ich automatisch
       denke, als ich die Nachricht vom [1][Tod der Queen] lese, weil er der Satz
       ist, den meine alten Verwandten nach dem Tod der Reichen und Berühmten
       immer sagen. Und wie sie ihn sagen! Ich sehe, wie sie leise aufatmen in
       solchen Momenten, vor allem, wenn jemand mit gesunden 96 Jahren stirbt.
       
       Es ist das Aufatmen von Menschen, die immer in der zweiten, dritten oder
       vierten Reihe standen, weil es ihn wirklich gibt, diesen Moment, in dem die
       unvorstellbaren Privilegien eines Einzelnen ihn nicht mehr aus der Schlange
       mit allen anderen freikaufen können. Durch das Sterben der Queen wurde aber
       auch schnell klar: Vor dem Tod sind alle gleich, doch nach dem Tod sind wir
       es wieder nicht.
       
       ## Fremdschämen im sozialen Netz
       
       Über Tage zieht sich das Trauern, eine der längsten Warteschlangen in der
       Geschichte der Wartschlangen, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen, die
       mediale Dauerpräsenz, die darin gipfelte, [2][das königliche Begräbnis] auf
       ARD und ZDF zu senden, als wollte man selbst für eine Zusammenlegung der
       beiden plädieren. Tagelang. Abschied von der Queen, die Queen als junge
       Frau, die Queen als Königin, nichts als Überhöhung – man nannte es
       Würdigung.
       
       Ich finde kollektives [3][Trauern auf Twitter] ohnehin schwierig, die
       digitale Trauerpalette von „R.I.P. (mit Foto darunter)“ bis hin zu „Mein
       unvergesslicher Moment mit der Queen … (bestenfalls Foto darunter)“ ist mir
       peinlich. Nie bin ich mir und sind mir andere fremder, als wenn auf Twitter
       getrauert wird.
       
       Nach dem Tod der Queen aber krochen royale Tiefenschürfer aus den Löchern,
       sie prahlten mit ihren Titelkenntnissen, korrigierten die
       Fernsehmoderatorinnen, wenn sie höfische Namen falsch übersetzten,
       kommentierten stundenlang die stundenlangen Fernsehübertragungen, als ginge
       sie das alles wirklich etwas an. Freunde des Hofes einigten sich meist
       schnell auf den [4][Hass gegen Meghan] (Herzogin von Sussex, nicht mehr
       Markle), weil die Queen sie angeblich nicht ertragen habe.
       
       Einige Schwarze, die es nicht ertrugen, wie man die Schattenseiten des
       Commonwealth zurückstellte, wurden als pietätlos gescholten, sie ließen die
       Queen nicht in Ruhe sterben. Müssen sie das wirklich? Wenn es um Pietät
       geht, wo bleibt sie bei den namenlosen Opfern der Geschichte? Wer erweist
       deren Familien die letzte Ehre? Warum ist es für viele so unerträglich,
       wenn Menschen schreien: Ihr trauert um die Privilegiertesten, während
       täglich Menschen sterben, die euch gleichgültig sind?
       
       ## Relikt vergangener Ordnung
       
       Nein, so ein Aufschrei sei zu billig, zu plakativ! Als wäre das königliche
       Protokoll nicht plakativ und als hätten Menschen nicht trotz allem das
       Recht, die Welt, wie sie ist, von Grund auf infrage zu stellen.
       Feuilletonisten schreiben dann schnell mal einen Text über die
       populistischen Züge der Monarchiekritik. Besserwisserei sei das.
       
       Ich frage mich, wie solche Leute sich das 21. Jahrhundert vorstellen und ob
       es in ihren Augen okay war, dass im letzten Jahrhundert einige Besserwisser
       es geschafft haben, die absolutistischen Herrscher zu stürzen und der
       Demokratie den Weg zu ebnen? Ist es nicht ein legitimer Wunsch, dass man im
       21. Jahrhundert den nächsten Schritt gehen und auch die konstitutionelle
       Monarchie beendet sehen möchte?
       
       Im aktuellen Geschäftsjahr erhielt das britische Königshaus 86,3 Millionen
       Pfund – man muss sich das nicht leisten wollen. Es geht nicht ums Trauern,
       soll jeder betrauern, was er möchte oder muss. Es geht darum, dass
       Königshäuser die Überbleibsel des feudalen Denkens sind. Wir haben mit der
       Aufklärung die Mythen des blauen Bluts aufgelöst.
       
       Es ist in der heutigen Zeit, in der die Wirklichkeitsfindung faktenbasiert
       und wissenschaftlich ist, ein absurder Akt, Menschen blaues Blut und
       entsprechende Privilegien zuzusprechen. Königshäuser sind heute nicht mehr
       als andere Reiche auch, nur dürfen sie sich für ihren Reichtum per Gesetz
       bei den Steuerzahlern bedienen. Vergleiche mit Bundespräsidenten hinken,
       unser Bundespräsident ist demokratisch gewählt.
       
       ## Bewunderung aus der Ferne
       
       Die Königshäuser, die Queen, der King, ihre Herzoginnen und Herzoge, ihre
       Hunde und Ponys mitsamt ihren Hofberichterstattern – sie sind Relikte, sie
       stehen für die Sehnsucht vieler Menschen nach der alten Ordnung, in der
       jeder mit der Geburt einen zugeschriebenen Platz erhielt. Das Volk darf die
       Oberen aus der Ferne bewundern, wie sie ein Stellvertreterleben für
       Menschen, die nicht aus ihrem Stand und Status herauskommen, führen.
       
       Der Hype um die Feierlichkeiten war deshalb so deprimierend, weil sichtbar
       wurde, wie viele den alten Zeiten nachtrauern, wie viele es brauchen, zu
       einem König aufzusehen. Als King Charles in der Masse badet, ruft ihm ein
       Brite wütend zu, weshalb er das alles bezahlen muss, wenn er nicht einmal
       weiß, wie er seine Familie durch den Winter bringt. Ein kurzer Schatten
       über Charles Gesicht, dann wendet er sich wieder jenen zu, die ihm
       zujubeln.
       
       Einer der schönsten Sätze, die ich im Theater über das Schauspiel gelernt
       habe, ging so: Den König spielen die anderen. Ich hätte nicht gedacht, dass
       es noch so viele sind.
       
       21 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Queen-Elizabeth-ist-tot/!5880968
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=gD_hEGkYjPY
 (DIR) [3] https://twitter.com/search?q=%23QUEEN
 (DIR) [4] /Oprah-Interview-von-Harry-und-Meghan/!5752485
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jagoda Marinić
       
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