# taz.de -- Die Wahrheit: Im Dixi-Traum
       
       > Tagebuch einer Reisenden: Die Ausfahrt in die Pampa offenbart, dass die
       > wahren Schrecken dort liegen. Wohl denen, die in der City verblieben sind
       > …
       
       Vor Monaten sprach meine alte Freundin E. auf einem Familienfest
       leichtfertig eine „Kommt mich doch mal in Berlin besuchen“-Einladung aus.
       Sie wähnte sich sicher, kein Mitglied ihrer Sippe wäre scharf darauf, sein
       blitzsauberes München gegen unser versifftes Berlin zu tauschen. Allerdings
       hatte sie nicht mit ihrer 90-jährigen Mutter gerechnet.
       
       Die Dame ist zwar betagt und körperlich entsprechend weniger belastbar,
       ansonsten aber von erfrischender Unternehmungslust. Verwöhnten Bewohnern
       des bayerischen Alpenvorlands muss selbstverständlich was geboten werden.
       
       E.s Ehrgeiz war geweckt, und sie stürzte sich in die Ausarbeitung eines
       Aktivitätenplans, den sie mir bei tropischen Temperaturen auf endlosen
       Spaziergängen vorstellte. Die Liste der ausgewählten Attraktionen
       beinhaltete auch das übliche kulturbeflissene Zeug, das wir
       kurzentschlossen über Bord warfen. Stattdessen einigten wir uns mutig
       experimentierend auf Ziele im wahren, schmutzigen Berlin. Dann vergaß ich
       das Ganze und fuhr am folgenden Wochenende mit Freunden zu einem
       Überraschungskonzert ins brandenburgische Umland.
       
       ## Die Vorvorletze Generation
       
       Nach endlosem Stau lotste uns das Navi in ein einsames Waldstück, von dem
       wir es gerade noch rechtzeitig zum Aufführungsort schafften. Wie sich
       herausstellte, sollten wir ein Barockkonzert plus irgendwas „in
       Originalkostümen“ erleben, im Zuschauerraum waren hauptsächlich Angehörige
       der quasi „Vorvorletzten Generation“.
       
       Nach den Anreisestrapazen und zur Vermeidung späterer Publikumsbelästigung
       wollte ich, bevor es losging, noch einem erheblichen Harndrang nachgeben
       und wurde auf ein einsames Dixi-Klo hingewiesen, verbunden mit der
       Auskunft, es gebe Bauarbeiten auf dem Gelände. Hätte es ohne Bauarbeiten
       gar kein Klo gegeben? War dies die brandenburgische Version von Wacken
       inklusive Wildpinkelns für alle?
       
       Jedenfalls war der kostbare Solitär offenbar schon ausgiebig von den
       erwähnten Bauarbeitern frequentiert worden, die Musikfreunde durften sich
       dafür eine durchweichte Klorolle teilen. Berliner, die ihr nach neuem
       Lebensraum jenseits des Stadtrings sucht: Der wahre Schrecken wartet auf
       dem Land!
       
       Während über dem Orchester und dem kostümierten Menuettgehopse zum Finale
       psychedelische Lichtpunkte kreisten, summte das Handy; im Minutentakt kamen
       Fotos von E. aus der Zivilisation, dem flächendeckend mit WCs und Spätis
       versorgten Neukölln: E. und Mutter syrisches Eis schleckend in der
       Hermannstraße, Mutter strahlend beim Minigolf in der Hasenheide, beide mit
       Riesendöner neben einem Haufen Sperrmüll, und so ging es weiter.
       
       Wieder zu Hause erreichte mich eine letzte Nachricht: „Resi will noch ’ne
       Folge ‚4 Blocks‘ gucken. Bin jetzt durch und geh schlafen.“ Ich freute mich
       kurz auf die Zeit, wenn ich neunzig sein würde. In der Nacht träumte ich
       von einem Minigolf spielenden, tanzenden, barockkostümierten Dixi-Klo.
       
       1 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Tagebuch
 (DIR) Provinz
 (DIR) Senioren
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Schottland
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Hamburg-Hygge
       
       Tagebuch einer Schlenderin: Der Fußgängerweg, der eigentlich zu Recht
       Bürgersteig heißt, ist in der Hansestadt zu einem Trottelparadies
       verkommen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Athina, Venezia
       
       Tagebuch einer Auscheckerin: Im griechisch designten Hotel macht der
       Beinahe-Toyboy das Licht aus.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Lost & Found
       
       Tagebuch einer Hingeberin: Wenn irgendetwas Wichtiges wie das Portemonnaie
       verloren geht, schickt das Universum regelmäßig Rettung.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schottische Tropen mit Haggis
       
       Tagebuch einer Wanderin: Unterwegs auf Verkehrsadern der globalen
       Wander-Community rund um die Highlands, bleibt so gar kein Fuß trocken.
       Slàinte!
       
 (DIR) Die Wahrheit: Gnadenhof für Blutegel
       
       Tagebuch einer Helferin: Wenn eine Freundin in Corona-Quarantäne steckt und
       es ihr nach Natur verlangt, bleiben eigentlich nur Naturfilme.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Endgegner Wüschtest
       
       Tagebuch einer Reise-Phobikerin: So einiges sammelt sich im Gepäck, fängt
       man bereits Wochen vorher an, den Koffer notfallmäßig zu befüllen.