# taz.de -- Wir fordern: Eine verantwortungsvolle…
       
       > … europäische Friedenspolitik, weil wir Verantwortung tragen müssen.
       > Nationalstaaten müssen endlich Verantwortung abgeben.
       
 (IMG) Bild: Demonstrierende in Georgien tragen eine EU-Flagge. Aus Hoffnung entsteht Verantwortung
       
       Berlin [1][taz Panter Stiftung |] „In Vielfalt geeint“, der Leitspruch der
       Europäischen Union, steht mehr denn je auf dem Prüfstand. Der Ukraine,
       einem demokratischen Land in Europa, droht, infolge eines nun seit einem
       halben Jahr andauernden völkerrechtswidrigen Angriffskriegs, Verwüstung,
       Usurpation und die Vernichtung der nationalen Identität und Kultur.
       
       Dagegen können wir uns, als Bürger*innen der Festung Europa, jener
       Wirtschaftsgemeinschaft, der auf dem halben Weg der Wille und die Kraft zur
       Transformation in eine Wertegemeinschaft verloren gegangen ist, noch
       weitgehend in Sicherheit wähnen – wenn nicht der „Krieg vor unser Haustür“
       auch den Kern unserer europäischen Identität, den Wohlstand, bedrohen
       würde.
       
       Viele Krisen, seien es Corona, Brexit oder durch Kriege verursachte
       Migrationsbewegungen, haben im letzten Jahrzehnt den Zusammenhalt –
       respektive das Zusammenwachsen – der deutschen Gesellschaft und der
       europäischen Gemeinschaft gleichermaßen erschüttert. Populistische
       Bewegungen propagieren die Rückkehr zum starken Nationalstaat, der Traum
       von Europa droht zu zerfallen. Innerhalb von Europa werden wieder Grenzen
       bewacht oder gar geschlossen. An unseren Außengrenzen lassen wir die uns
       Schutzbefohlenen, die Schutzflehenden, eben jene, für die der Traum von
       einem friedlichen und sicheren Europa noch als wirkliche Hoffnung
       existiert, gnadenlos verrecken – trotz unserer historischen Verantwortung.
       
       Pushbacks, Pullbacks, Tote im Mittelmeer, Tote an Zäunen und Mauern: Europa
       macht dicht, mauert sich ein, schottet sich ab. Tatenlos sehen wir dem
       Wirken einer von der Europäischen Union finanzierten, durch [2][illegale
       Praktiken in Verruf geratenen Agentur wie Frontex] zu, vernachlässigen
       unsere Pflicht zur Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte und wenden
       uns vom Ideal der Rechtsstaatlichkeit ab.
       
       Auch durch [3][Waffenexporte an totalitäre Unrechtsregime und Autokraten]
       negieren wir, zugunsten unseres Wohlstands, unsere demokratischen
       Grundvorstellungen und verwischen den Leitspruch „von deutschem Boden darf
       nie wieder Krieg ausgehen“ zu einem pharisäischen Läuterungsmantra.
       
       Sicherheitspolitik darf nicht länger mit Wirtschaftspolitik – oder
       Wohlstandspolitik – gleichgesetzt und von ihr überlagert werden. Die
       deutsche Gesellschaft, der deutsche Staat und die Bundesregierung müssen
       sich zu den demokratischen und europäischen Grundwerten bekennen und bereit
       sein, die hieraus erwachsenden Konsequenzen zu tragen.
       
       Nur durch ein geeintes Europa können wir zukünftig in der Lage sein, dieser
       Verantwortung, insbesondere in Hinblick auf kommende Kriege, Hungersnöte,
       Folgen des Klimawandels gerecht zu werden. Ein nationales Wettrüsten, wie
       das 100 Milliarden schwere Sondervermögen für die Bundeswehr, kann nicht
       der richtige Weg sein. Stattdessen braucht es kurzfristig eine
       Umstrukturierung der dysfunktionalen und an einer historisch überholten
       Bedrohung ausgerichteten Bundeswehr.
       
       Mittelfristig wird eine verantwortungsvolle europäische Sicherheits- und
       Friedenspolitik nicht ohne gemeinschaftliche Strukturen und Instrumente
       möglich sein, was im Umkehrschluss den Verzicht der Einzelstaaten auf
       militärische und außenpolitische Kompetenzen notwendig macht.
       
       Langfristig kann sich das Umdenken in Sicherheitsfragen und der Appell an
       das demokratische Verantwortungsbewusstsein nicht auf Europa beschränken.
       Denn für eine friedlichere Welt braucht es die Vereinten Nationen, eine
       Veränderung des Weltsicherheitsrats und insbesondere den Verzicht auf den
       europäisch-amerikanischen Hegemonialanspruch. Hierfür kann ein Bekenntnis
       zu einer europäischen Wertegemeinschaft und Wille zur Verantwortung nur ein
       Anfang sein.
       
       UDO FLEIGE, LUNA KASSANDRA HARMS UND HAUKA POCKRANDT
       
       19 Aug 2022
       
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