# taz.de -- Streit um Corona-Maßnahmen im Herbst: Kassenärztechef contra Lauterbach
       
       > Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert ein Ende der
       > Corona-Quarantänen und kritisiert Lauterbachs Impfstrategie. Der Minister
       > widerspricht.
       
 (IMG) Bild: Widerspricht Kassenärzte-Chef Gassen deutlich: Gesundheitsminister Karl Lauterbach
       
       Berlin dpa/epd | Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen
       Bundesvereinigung, Andreas Gassen, hat sich für eine [1][Aufhebung aller
       Corona-Isolations- und Quarantänepflichten] ausgesprochen. Diese sollten
       „bis auf weiteres aufgehoben werden, dadurch würde die Personalnot
       vielerorts gelindert“, sagte Gassen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir
       müssen zurück zur Normalität. Wer krank ist, bleibt zu Hause. Wer sich
       gesund fühlt, geht zur Arbeit. So halten wir es mit anderen
       Infektionskrankheiten wie der Grippe auch.“
       
       Aus dem Gesundheitsministerium kam sofort Widerspruch. „Infizierte müssen
       zu Hause bleiben. Sonst steigen nicht nur die Fallzahlen noch mehr, sondern
       der Arbeitsplatz selbst wird zum Sicherheitsrisiko“, schrieb
       Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Samstag auf Twitter. Aus
       dem Ministerium hieß es, aktuell würde eine weitere [2][Verkürzung der
       Fristen zu den Möglichkeiten der Freitestung] „keinen Sinn“ machen. Mit den
       geltenden Empfehlungen sei im Frühjahr bereits auf sich verschärfende
       Personalsituationen reagiert worden, hieß es weiter.
       
       Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kritisierte, der
       Vorschlag komme zur Unzeit. „Wir befinden uns jedoch in einer
       hochdynamischen Infektionslage. Im Herbst erwarten wir einen weiteren
       Anstieg der Infektionszahlen. Niemand weiß, welche Virusvariante dann
       vorherrschen wird“, teilte Holetschek mit. Deshalb sollte man genau
       überlegen, ob es Sinn mache, die Regeln zur Isolation zu lockern.
       
       ## Vorwurf des „Opportunismus“ an Gassen
       
       Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf
       Gassen „Opportunismus“ vor. „Die Isolation schützt. Denn so wird
       verhindert, dass sich andere anstecken.“ Er verwies auf Long- und
       Post-Covid. Gassen spiele mit der Gesundheit der Menschen.
       
       Hingegen sagte der FDP-Gesundheitsexperte [3][Andrew Ullmann], Gassen habe
       mit seiner Forderung nach einer Aufhebung der Isolationspflichten recht.
       „Dies ist ein lösungsorientierter Ansatz, um einen klügeren und
       individuellen Umgang mit Corona-Infektionen zu ermöglichen“, teilte er am
       Samstag mit. „Die Isolierungsdauer von Patienten mit Covid-19 sollte nicht
       mehr von staatlicher Seite fixiert sein. So können wir zu einer gewissen
       Normalität und Unaufgeregtheit zurückkehren.“ Die Isolationsdauer sollte
       nach Ullmanns Worten künftig eine medizinische und individuelle
       Entscheidung sein.
       
       Gassen räumte ein, dass die Infektionszahlen seit Monaten sehr hoch seien
       und es wegen weniger Tests wohl zusätzlich Hunderttausende nicht erkannter
       Ansteckungen pro Tag gebe. Die Verläufe seien aber fast immer mild. „Das
       Problem sind also nicht die vielen Infektionen, sondern, dass positiv
       Getestete auch ohne Symptome mehrere Tage zu Hause bleiben, in Isolation
       geschickt werden. Dadurch entstehen die Personalengpässe in den Kliniken
       und anderswo.“
       
       Gassen bezeichnete die Omikron-Virusvariante „fast als Friedensangebot des
       Virus“. Wer sich nach einer Dreifachimpfung anstecke, „profitiert sogar von
       einer Infektion, indem er oder sie eine Schleimhautimmunität erwirbt“.
       Niemand sollte sich deshalb aber aktiv anstecken. „Aber wir können uns
       nicht dauerhaft vor dem Virus verstecken. Und wir sind das letzte Land in
       Europa, das noch derart aufgeregt über einen Corona-Notstand diskutiert“,
       urteilte Gassen.
       
       Derzeit gilt für die allgemeine Bevölkerung, dass die vorgeschriebene
       Isolation für Corona-Infizierte nach fünf Tagen enden kann – mit einem
       „dringend empfohlenen“ negativen Test zum Abschluss.
       
       ## Streit auch über Impfstrategie
       
       Gassen warf Lauterbach zudem eine „falsche“ Impfstrategie vor, bei der bis
       zu hundert Millionen Euro verschwendet würden. Lauterbach plane bis zu 60
       Millionen Impfungen im Herbst und Winter, sagte er. Nach einer Kalkulation
       seiner Vereinigung sei jedoch nur mit höchstens 30 Millionen Impfungen zu
       rechnen. Dabei seien ein zweiter Booster für alle ab 60, ein erster Booster
       für alle Jüngeren und ein üppiges Kontingent für Ungeimpfte großzügig
       eingerechnet.
       
       Das Ziel der Bundesregierung von 50 bis 60 Millionen Impfungen „ist unseres
       Erachtens unrealistisch“, so Gassen. Sollte Lauterbach wie von Medien
       berichtet mehr als 200 Millionen Dosen bestellt habe, „ist zu erwarten,
       dass Impfstoff im Wert von möglicherweise hundert Millionen Euro oder mehr
       weggeworfen werden muss“.
       
       Der Kassenärztechef kritisierte außerdem den Rat des Gesundheitsministers
       an unter 60-Jährige, sich rasch eine zweite Boosterimpfung zu holen. „Unter
       anderem aus israelischen Studien wissen wir, dass ein zweiter Booster bei
       jüngeren Gesunden nicht sinnvoll ist“, betonte Gassen. Lauterbach sei mit
       seiner [4][Empfehlung zum zweiten Booster] für alle „ziemlich exklusiv
       unterwegs. 30- oder 40-Jährigen pauschal eine vierte Impfung zu empfehlen,
       das halte ich für falsch.“
       
       Auch im kommenden Herbst sehe er dafür aktuell keine Notwendigkeit, solange
       es nicht neue und deutlich gefährlichere Varianten gebe, ergänzte Gassen.
       „Ich werde mir jedenfalls keinen zweiten Booster geben lassen.“ Selbst bei
       den gesunden älteren Menschen wäre er mit der Viertimpfung zurückhaltend,
       insbesondere, wenn sie gerade schon eine Omikron-Infektion überstanden
       haben. Das Immunsystem sei ein hochkomplexes Organ.
       
       Auch hier widersprach Lauterbach. Er habe nie behauptet, dass man im Herbst
       60 Millionen Menschen impfen müsse, erklärte der SPD-Mann via Twitter.
       „Auch ist es nicht hilfreich, wenn ein wichtiger Ärztefunktionär betont, er
       werde sich im Herbst nicht impfen lassen. Das schafft kein Vertrauen.“
       
       24 Jul 2022
       
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