# taz.de -- Kaum Touristen: Der Krieg verändert Polen
       
       > Die Beskiden sind eine besondere Landschaft. Wegen des nahen Krieges ist
       > es noch leerer als sonst – der Eindruck der Zerbrechlichkeit kommt auf.
       
 (IMG) Bild: Nebel über dem Dorf Tyrawa Woloska in den Beskiden im Südosten Polens
       
       Möchten Sie mal etwas Besonderes sehen? Dann machen Sie doch einen Ausflug
       zum Touristenpfad [1][in den Beskiden], einem Gebirge im Südosten Polens.
       Hier kann man Kirchen aus den Epochen der Gotik, der Renaissance und des
       Barocks besichtigen, die noch aus Holz gebaut sind. Zum Beispiel die schöne
       Kirche in Sękowa, die fast vollständig mit einem kunstvoll gestalteten Dach
       aus Brettern bedeckt ist, oder die größte gotische Holzkirche Europas und
       gleichzeitig die älteste Holzkirche Polens in Haczów.
       
       In den Beskiden findet sich nichts von dem, was der deutsche Soziologe
       [2][Georg Simmel] schon Anfang des 20. Jahrhunderts so heftig kritisierte.
       Über die beliebtesten Bergziele insgesamt schrieb er: „Nun […] lockt die
       Bequemlichkeit der Heer- und Herdenstraße, und das bloße räumliche
       Zusammensein mit der bunten und gerade darum in ihrem Gesamteffekt so
       farblosen Masse suggeriert uns eine Durchschnittsstimmung, die, wie alle
       sozialen Durchschnitte, die feiner und höher disponierten herabzieht, ohne
       den niedrig Veranlagten um ebenso viel zu erhöhen.“
       
       Die Beskiden dagegen sind unscheinbar und wenig bekannt und daher wild,
       voller Stille und Privatsphäre. Deshalb ist es auch unser bevorzugtes
       Urlaubsziel.
       
       In diesem Jahr ist jedoch Veränderung zu spüren. Auf den ohnehin meist
       recht leeren Wanderwegen begegnet man so gut wie niemandem. Zum Teil ist
       dies auf die Inflation zurückzuführen, die in Polen fast 16 Prozent
       erreicht hat. Es gibt aber auch einen anderen Grund. In der Idylle der
       Beskiden vergisst man leicht, dass die Grenze zur Ukraine weniger als 100
       Kilometer entfernt ist, und es sind kaum 200 Kilometer bis zur Stadt Lwiw,
       in deren Nähe vor einem Monat russische Raketen niedergingen. Viele
       Menschen fragen sich heute, ob hierherzukommen sicher ist. Und sagen sich:
       Momentan lieber nicht.
       
       Der Krieg in der Ukraine verändert Polen und andere europäische Länder. Das
       Wunder [3][der kollektiven Gastfreundschaft gegenüber den fast vier
       Millionen Flüchtlingen] in Polen geht weiter, aber man hat den Eindruck der
       Zerbrechlichkeit – sowohl dieses Wunders als auch von allem, was uns hier
       umgibt. Es geht nicht nur um die Angst vor einem militärischen Angriff, vor
       einer Rakete, die sich in das EU-Gebiet „verirren“ könnte.
       
       Auch andere Stimmungen zeichnen sich ab. Manche sind frustriert, weil viele
       Ämter in Polen so sehr damit beschäftigt sind, den Ukrainern die nötigen
       Dokumente auszustellen, dass ihre eigenen Anliegen warten müssen. Oder wenn
       die Polizei die Zufahrt zu Bahnhöfen sperrt, um für Ordnung zu sorgen.
       Rechtsextreme Parteien versuchen aus diesen Frustrationen Kapital zu
       schlagen. Obwohl ihre Popularität am Rande der Prozenthürde liegt, die zu
       überwinden nötig ist, um ins Parlament zu kommen, gibt es offensichtlich
       den Wunsch, das Ergebnis der AfD zu wiederholen.
       
       Solche Stimmungen und Versuche, die aktuelle Situation politisch zu nutzen,
       finden sich auch in anderen europäischen Ländern. Erst vor wenigen Tagen
       beschuldigten dunkelhäutige Demonstranten in Frankreich die Behörden des
       Rassismus im Zusammenhang mit dem – ihrer Meinung nach – zu privilegierten
       Status von Flüchtlingen aus der Ukraine.
       
       Der Urlaub hat etwas Unwirkliches: als ob die Zeit stehen geblieben wäre.
       Hier in den Beskiden merken die Touristen fast nichts von den sozialen und
       geopolitischen Verschiebungen. Die Lage ist dennoch instabil. Sie ist so
       zerbrechlich wie diese hölzernen europäischen Kulturdenkmäler, die schönen
       Kirchen. Wir bewundern sie mit dem Gefühl, dass die Zeit schnell vergeht –
       angesichts eines Kriegs im Ausland, der direkt neben uns tobt.
       
       18 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Beskiden
 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Simmel
 (DIR) [3] /Streik-in-polnischen-Internierungslagern/!5856606
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karolina Wigura
 (DIR) Jaroslaw Kuisz
       
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