# taz.de -- Nato-Beitritt von Finnland und Schweden: Türkei gibt sich zufrieden
       
       > Rechtzeitig vor Beginn des Nato-Gipfels geben die Türkei, Finnland und
       > Schweden bekannt, die Türkei blockiere den Nato-Beitritt nicht mehr.
       
 (IMG) Bild: Hat, was er wollte: Der türkische Präsident Erdogan bedankt sich bei Schwedens Außenministerin
       
       Stockholm taz | Es war klar, dass die Nato die [1][türkische Blockade des
       Beitritts Schwedens und Finnlands] möglichst noch vor dem offiziellen
       Beginn des Nato-Gipfels in Madrid vom Tisch bekommen wollte. Deshalb waren
       für Dienstag Gespräche zwischen den drei Ländern vereinbart. Was dann aber
       am Dienstagabend in Madrid passierte, nennt die schwedische Tageszeitung
       Expressen eine „bizarre“ Veranstaltung.
       
       Mit mehrstündiger Verspätung traten da die Staatschefs der Türkei und
       Finnlands, Recep Tayyip Erdoğan und Sauli Niinistö, zusammen mit Schwedens
       Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, Nato-Generalsekretär Jens
       Stoltenberg und den AußenministerInnen der Türkei, Finnlands und Schwedens
       vor die Presse. Und nachdem letztere ein Dokument unterzeichnet hatten,
       verließen alle sieben PolitikerInnen ohne jegliche Erklärung und ohne
       Fragen zu beantworten wieder den Raum.
       
       Auch wenn beim Kameratermin alle tapfer lächelten und Stoltenberg dem
       türkischen Präsidenten jovial auf die Schulter klopfte: So richtig
       glücklich schien niemand mit dem Ergebnis zu sein. Am meisten zufrieden
       zeigte sich der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Das Veto, das die
       Türkei vor gut einem Monat gegen die Aufnahme Finnlands und Schwedens in
       die Nato eingelegt hatte, musste eben wieder verschwinden. Irgendwie. Von
       dem „dabei üblichen Geben und Nehmen“ sprach später die schwedische
       Regierungschefin Andersson.
       
       „Wir haben ein Abkommen“, erklärte Stoltenberg eine halbe Stunde später,
       ohne aber zu dessen Inhalt zunächst mehr sagen zu wollen, als dass es sich
       um „ein trilaterales Memorandum“ handelt, „um die legitimen
       Sicherheitsbedenken der Türkei auszuräumen und den Weg für die
       Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens zu ebnen“. Die beiden Staaten
       würden am Mittwoch offiziell einen Status als Kandidatenländer
       (invitee-status) erhalten, womit der Ratifizierungsprozess in allen
       bisherigen Mitgliedsländern eingeleitet und der Prozess der Erweiterung der
       Nato auf 32 Mitglieder beginnen könnte.
       
       Das Schauspiel wiederholte sich, als Finnlands Sauli Niinistö und Schwedens
       Magdalena Andersson gesondert vor die Presse traten. Ja, man habe eine
       Einigung, denn für alle drei Staaten genieße der Kampf gegen den
       Terrorismus „in allen seinen Formen und in jeder Gestalt“ (Andersson)
       Priorität. Vor allem bei der Frage möglicher Waffenlieferungen sei man der
       Türkei “ein wenig“ entgegengekommen, betonte Andersson, ohne auf
       Einzelheiten einzugehen. Über Details des Abkommens schwieg man sich auch
       hier aus.
       
       ## Rhetorik zur PKK deutlich verschärft
       
       Viele Fragezeichen blieben auch, nachdem das dreiseitige recht allgemein
       formulierte [2][Abkommen] nach einiger Zeit auf der Website der Nato
       veröffentlicht worden war. Da versichern sich die drei Länder in recht
       allgemeinen Formulierungen gegenseitige Hilfe bei der
       Terrorismusbekämpfung. Man habe “bekommen, was man wollte“, hieß es in
       einer Erklärung der türkischen Präsidialkanzlei.
       
       Schweden und Finnland hätten die Auslieferung Terrorverdächtiger
       versprochen und würden nach einem Nato-Beitritt ihre Waffenexportverbote
       aufheben. Letzteres werde auch in Zukunft von Fall zu Fall auf Grundlage
       der nationalen Gesetzgebung entschieden, schränkte Sauli Niinistö ein:
       Irgendwelche “ungelösten Auslieferungverfahren“ mit der Türkei habe
       jedenfalls Finnland sowieso nicht. Es gebe auch keine Liste von Namen, die
       die Türkei ausgeliefert haben wolle.
       
       Bleibt also Schweden. Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und
       Außenministerin Ann Linde hatten in den letzten Wochen ihre [3][Rhetorik
       zur PKK] auffallend verschärft. “Unsere Einstellung zur PKK ist
       kristallklar“, erklärte Andersson zuletzt am Montag vor ihrer Abreise nach
       Madrid: “Sie steht auf der Terrorliste der EU, und auch Schweden sieht sie
       als terroristische Organisation an.“
       
       Gleichzeitig machten beide Politikerinnen klar, dass man alle türkischen
       Forderungen in Bezug auf die kurdisch/syrische YPG/PYD abweisen werde.
       Womit Schweden und Finnland aber auch nur der Linie der meisten anderen
       Nato-Staaten folgen, die diese ebenfalls nicht als Terrororganisationen
       einstufen. Neu ist allerdings die nunmehrige Zusicherung Schwedens und
       Finnlands, die YPG/PYD nicht mehr “unterstützen“ zu wollen. Unklar ist, was
       das faktisch bedeuten soll.
       
       ## Mehr Auslieferungen aus Schweden an die Türkei möglich
       
       Laut Informationen der Tageszeitung Dagens Nyheter hat Schweden in diesem
       Jahr bereits zwei der Zugehörigkeit zur PKK Verdächtige an die Türkei
       ausgeliefert. Es gebe eine weitere Liste mit rund 10 Namen. Indirekt
       bestätigte dies Andersson: Es gebe “eine bedeutende Zahl“ von
       Auslieferungsbegehren der Türkei. Die würden vom Rechtssystem auf der
       Grundlage der nationalen Gesetzgebung und internationaler Konventionen
       behandelt.
       
       Schweden sei “keine Freistatt für Terroristen und wird das nie sein“: “Die
       zuständigen Behörden arbeiten intensiv daran, Personen auszuweisen, die
       eine Bedrohung unserer Sicherheit sein könnten.“ Sie wies auch auf eine
       anstehende Gesetzesänderung hin, die allerdings nichts mit türkischen
       Forderungen zu tun hat: Sind in Schweden bislang nur Terrorhandlungen
       strafbar, wird dann die bloße Mitgliedschaft in einer Terrororganisation
       dafür ausreichend sein.
       
       Seine größte Sorge sei, dass Stockholm der Türkei hinsichtlich der YPG/PYD
       größere praktische Zugeständnisse machen könnte, kommentierte der kurdische
       Schriftsteller Kurdo Baksi die jetzige Einigung mit Erdogan: “Oder dass man
       versprochen hat, Kurden oder demokratisch gesinnte Türken auszuweisen.“
       
       „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Personen ausgewiesen werden, die die
       schwedische Staatsbürgerschaft besitzen“ sagt Magnus Ranstorp,
       Terrorforscher an der schwedischen Verteidigungshochschule: “Ist man kein
       Staatsbürger, hat man aber nicht den gleichen Schutz, wenn man eine Gefahr
       für die Sicherheit des Landes darstellt.“
       
       ## Zweifel, ob die Türkei wirklich die Blockade aufgibt
       
       Was sich jedenfalls abzeichnet, ist, dass Schweden sein 2019 nach der
       türkischen Invasion in Nordsyrien verhängtes allgemeines Waffenexportverbot
       in die Türkei in dieser Form aufheben wird. Zwar war dieser Export nie
       besonders umfangreich, aber für die Türkei eine wichtige Symbolfrage.
       Dieses Zugeständnis Stockholms können Präsident Erdoğan und seine Regierung
       nun als Erfolg verkaufen. “Kein Nato-Land sollte ein Waffenembargo gegen
       ein anderes Nato-Land haben“, äußerte auch Jens Stoltenberg.
       
       Wahrscheinlich sei der Weg zur Nato-Norderweiterung gar nicht so sehr durch
       das jetzige Abkommen freigemacht worden, sondern durch Zugeständnisse der
       USA – sprich Waffenlieferungen – meint Jan Hallenberg vom schwedischen
       Außenpolitischen Institut. Das lasse sich auch der Äußerung von Magdalena
       Andersson entnehmen, die Nato habe “sehr geholfen“.
       
       “US-Präsident Joe Biden hat vermutlich eine entscheidende Rolle gespielt“,
       vermutet auch die Tageszeitung Göteborgs Posten. Welche, werde wohl erst in
       den kommenden Wochen klar werden.
       
       Ob die Türkei nun dem weiteren Beitrittsverfahren Finnlands und Schwedens
       wirklich keine neuen Hindernisse in den Weg legen werde, bezweifeln am
       Mittwoch mehrere schwedische Medienkommentare. Das türkische Parlament
       könne den Ratifizierungsprozess mit der Begründung verzögern, Schweden
       komme den eingegangenen Verpflichtungen nicht nach, vermutet Svenska
       Dagbladet. Auch in Ungarn könne es Probleme geben. Es sei noch ein langer
       Weg bis zur Mitgliedschaft: “Erst das erste Hindernis ist jetzt beseitigt.“
       
       29 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nato-Beitritt-von-Schweden-und-Finnland/!5855907
 (DIR) [2] https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/6/pdf/220628-trilat-memo.pdf
 (DIR) [3] /Zwist-um-Nato-Beitritt/!5853549
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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