# taz.de -- Dekadenz und Übertreibung
       
       > Zwischen barocken Motiven und der Welt des Rock hat Catherine Lorent
       > Verbindungen entdeckt, die die Künstlerin in der Galerie Nord visuell und
       > akustisch untersucht
       
 (IMG) Bild: Performance, Kunst und Musik: Catherine Lorent ist vielfach begabt
       
       Von Michael Freerix
       
       Auf den ersten Blick sind die Kunstwerke von Catherine Lorent verwirrende,
       widersprüchliche Ereignisse. In ihrer installativen Malerei treffen
       großformatige Kopien von Wappen oder Szenen, die aus Piratenfilmen kopiert
       scheinen, auf Rockgitarren. Doch sind die Gitarren nicht gemalt, sondern
       tatsächlich spielbare Instrumente, auf die Leinwände montiert, und sie
       produzieren auch Töne, angeregt durch ‚E-Bows‘. Der ‚E-Bow‘ ist ein
       batteriebetriebenes Zusatzgerät für E-Gitarren. Hält der Musiker dieses
       Gerät über die Gitarrensaiten, werden diese elektromagnetisch in
       Schwingungen versetzt. Ein lang anhaltender, gleichmäßiger Ton entsteht.
       
       Auf jeder dieser Bildinstallationen von Catherine Lorent in ihrer
       Ausstellung in der Galerie Nord hängt eine elektrische Gibson-Gitarre. Wenn
       der Besucher den Ausstellungsraum betritt, entstehen viele verschieden
       Töne, weil die Saiten der Gitarren durch die ‚E-Bows‘ von Bewegungsmeldern
       angetriggert werden.
       
       Die Wappenmotive in ihren Werken könnten vermuten lassen, die Luxemburgerin
       Lorent sei in einer traditionsreichen Familie in schlossähnlichen Gebäuden
       aufgewachsen. Doch überraschenderweise ist das Gegenteil zu erfahren: Sie
       hat einen Arbeiterhintergrund und ist im industriell geprägten Süden des
       Landes aufgewachsen.
       
       Immerhin gab es im Haushalt Musikinstrumente, weil ihr Vater am Wochenende
       in einer Rockband spielte. Catherine Lorent machte deshalb als Kind ihre
       ersten experimentellen künstlerischen Versuche auf dem Familienklavier –
       und blieb lange Zeit bei diesem Instrument. Erste Schulbands folgten.
       Überhaupt ist Rockmusik seit dieser Zeit ihre wichtigste
       Inspirationsquelle.
       
       Intensiv gezeichnet hat sie allerdings auch schon immer. So schien alles in
       ihrer Jugend auf die Kunst als Lebensentwurf hinzudeuten, doch nach
       Schulende traf sie eine Vernunftentscheidung, studierte Kunstgeschichte und
       schloss mit einer Promotion ab. Eine Malereiausbildung machte sie
       währenddessen auch. Parallel brachte sie sich mehrere Instrumente bei, aber
       Musik spielte sie einige Zeit nur noch für sich, ganz privat.
       
       In ihrem Kunstgeschichtsstudium traf sie auf Themenblöcke wie den Barock
       und die Heraldik und war vor allem von der damit verbundenen theatralischen
       Selbstinszenierung und dem Hang zum Gesamtkunstwerk fasziniert.
       Übertreibung und Dekadenz gehören dazu in der Kunst des Feudalismus – und
       sie sind auch wichtige Themen in der Rockmusik.
       
       Hinzu kommt eine ganz persönliche Erfahrung ihrer Jugend: Rockkonzerte
       fanden in Luxemburg aus Mangel an Veranstaltungsräumen häufig in barocken
       Kirchen statt. In ein Rockkonzert zu gehen war für sie wie „in die Kirche
       gehen“.
       
       Ganz unvermittelt treffen diese unterschiedlichen ästhetischen Erfahrungen
       in ihrem Werk aufeinander. Was immerhin für so viel Aufsehen sorgte, dass
       sie 2013 den luxemburgischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielen
       durfte. Wobei sich ihre patchworkhafte Kunst in ihrem zeichnerischen Werk
       ironisch bricht, indem sie darin gern barockhafte Witze über die Rockwelt
       macht.
       
       Gefragt, wie sie auf die Ideen für ihre Arbeiten kommt, meint sie: „Ich
       wache auf und trinke einen Kaffee, und dann habe ich eine Idee. Die wird
       dann ausgeführt. Viel später wird entschieden, ob sie ausstellungswert ist
       oder nicht.“ Wobei sie sich derzeit mehr auf Musik konzentrieren will: „Es
       ist einfach was Spezielles, auf der Bühne zu stehen und direkt mit dem
       Publikum zu kommunizieren. In der Kunst, da wird alles hinterfragt, nichts
       ist sicher. Bei der Musik ist es – einfach da.“
       
       Mit dem [1][Künstler und Musiker Tom Früchtl] betreibt sie die Band
       ‚Hannelore‘, mit der Catherine Lorent sich vermehrt auf die Bühne stellen
       will. Genug Songs geschrieben hat Lorent dafür bereits, doch trifft sie
       sich gern mit Früchtl, um improvisiert zu spielen. Ganz erstaunlich ist
       dabei ihr Gesang, der von hohem Kreischen bis zu einem tiefen Grummeln
       geht. Zu singen ist etwas Natürliches für sie, sie hat keine
       Gesangsausbildung. Und live spielt sie eher Schlagzeug, was sie sich erst
       vor einigen Jahren ‚draufgeschafft‘ hat.
       
       Ihre Musik pendelt zwischen lauten ‚Heavy-Metal-Ausbrüchen‘ und feinen, vom
       elektrischen 'E-Bow’ getragenen Passagen hin und her. Was die Kunstwelt
       darüber denkt, ist ihr einerlei. Alles hat sie sich durch Neugier und
       Abenteuerlust selbst beigebracht. Und dies will sie nicht ändern. Einen
       Galeristen hat sie gerade nicht, und sie ist in Gefahr, ihr Atelier zu
       verlieren. Die Einzelausstellung „Relegation ~ via“ in der Galerie Nord ist
       möglicherweise die letzte Gelegenheit, über lange Zeit Arbeiten von
       Catherine Lorent in angemessener Umgebung erleben zu können.
       
       Catherine Lorent: Relegation ~ via in der Galerie Nord, bis 30. Juli
       
       4 Jul 2022
       
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