# taz.de -- Spätstarter überzeugt bei Turn-DM: Es geht auch ganz anders
       
       > Bei den Finals 2022 gewinnt Glenn Trebing die erste Mehrkampfmedaille.
       > Sein Erfolg trotz späten Einstiegs ins Turnen widerspricht allen
       > Lehrmeinungen.
       
 (IMG) Bild: Glenn Trebing beweist an den Ringen seine Vielseitigkeit
       
       „Es ist schon sehr motivierend, einen alten Mann vor der Nase zu haben.“
       Das sagt Glenn Trebing, 22, über Andreas Toba, knapp 32. Er sagt auch: „Ich
       glaube, ohne den würde ich nicht hier sein“ – und meint das „ganz ernst“.
       Bei den Meisterschaften in Berlin stehen die beiden am Wochenende
       nebeneinander und verfolgen den Frauenwettbewerb. Am Tag zuvor hatte der
       junge Mann mit Bronze seine erste Mehrkampfmedaille gewonnen, der alte Mann
       hatte ihm bei der Umarmung nach dem Wettkampf gesagt: „Ich bin so stolz auf
       dich!“ Er selbst war Sechster geworden.
       
       Glenn Trebing und Andreas Toba sind Profiturner, zweimal am Tag stehen sie
       mit Trainer Adrian Catanoiu in der Halle des TK Hannover. Toba würde ihm
       wertvolle Hinweise geben, ihn „pushen“ – wie die Turner es nennen.
       [1][Andreas Toba] hat an sechs Europameisterschaften, fünf
       Weltmeisterschaften und drei Olympischen Spielen teilgenommen. Bei der EM
       im vergangenen Jahr hat er mit Silber am Reck seine erste internationale
       Einzelmedaille gewonnen, für Glenn Trebing war der gleiche Wettkampf das
       internationale Debüt und der alte Mann als Bezugsperson „extrem wichtig“.
       Andreas Toba sagt: „Wir trainieren unfassbar gern zusammen und kommen gerne
       in die Halle.“ Auch deshalb stünden sie da, wo sie stehen.
       
       [2][Alter ist im Turnsport ein großes Thema.] Allgemein herrscht die
       Überzeugung vor, dass man so früh wie irgend möglich beginnen muss, um
       erfolgreich zu werden. Das ist zwar keineswegs eine gesicherte
       wissenschaftliche Erkenntnis, aber trotzdem richtet sich das gesamte
       Leistungssportsystem nach dieser Maxime. Die Sichtung potenzieller Talente
       beginnt nicht selten im Vorschulalter, [3][deutsche Meistertitel werden in
       der Schülerklasse bereits an 13-jährige Kinder vergeben.]
       
       Glenn Trebing ist der Beweis dafür, dass es auch anders geht. Er war fast
       elf Jahre alt, als er in Kassel mit dem Turnen begann. Er habe zu der Zeit
       alles Mögliche gemacht, Leichtathletik und Kickboxen zum Beispiel. Nach dem
       Wechsel aufs Gymnasium habe ihm sein Lehrer gesagt: „Wenn du wirklich Sport
       machen willst, dann such dir jetzt was aus.“
       
       ## Gute Aussichten auf EM-Teilnahme
       
       Im Kickboxen, das sein Vater betreibt, war Glenn „auch schon ganz gut“,
       aber Training hätte es nur zweimal pro Woche gegeben. „Ich war ein Kind,
       das viel Bewegung brauchte, und dann sind wir halt zum Turnen“, erzählt
       Glenn. Sein Lehrer – und erster Trainer – Hans-Rüdiger Matzner habe ihn auf
       den richtigen Weg gebracht: „Er hat die Hälfte meiner Karriere begleitet,
       ich bin ihm sehr dankbar.“
       
       Glenn und Zwillingsbruder Lewis, der den gleichen Weg wählte, erwiesen sich
       dann rasch als Talente. 2015 gelang beiden der Sprung in den Kader, 2017
       zogen sie gemeinsam ins Internat nach Hannover, machten dort ihr Abitur und
       trainierten fortan im Stützpunkt Hannover. 2018 wurde Trebing deutscher
       Jugendmeister im Mehrkampf, 2019 fiel nach einem Achillessehnenriss aus,
       2020 wegen Corona, 2021 dann die ersten internationalen Wettkämpfe. Nach
       seinem Auftritt in Berlin, wo sich Trebing auch für vier
       Finalentscheidungen qualifizierte, stehen nun die Chancen auf eine
       Teilnahme bei der EM in München sehr gut.
       
       Glenn Trebing kennt in Deutschland niemanden, der so spät mit dem Turnen
       begonnen hat wie er und sein Bruder, der nach der Coronazeit ins
       Artistenfach wechselte. Auf die Frage, ob das ein Vor- oder ein Nachteil
       gewesen sei, benennt er zuerst den Vorteil: Er sei in einem Alter gewesen,
       in dem er schon wusste, was er da tut. „Diejenigen, die so jung angefangen
       haben, die haben einfach nur gemacht, weil es der Trainer gesagt hat, ohne
       viel nachzudenken. Und als sie dann gewachsen sind, wussten sie nicht mehr,
       was passiert.“
       
       Der Nachteil sei, dass er gewisse Grundlagen nicht früh gelernt habe, zum
       Beispiel die Technik von Schrauben, also in Salti integrierte
       Längsachsendrehungen. „Das habe ich versucht nachzuholen, aber eigentlich
       erst mit 19.“ Nach dem Achillessehnenriss hat er häufig auf dem Trampolin
       geübt und sich „ganz viel im Internet angeguckt“, wie die – für ihre
       Schraubentechnik bekannten – Japaner das so machen. „Seitdem kann ich auch
       ein bisschen Bodenturnen,“ sagt Glenn Trebing lächelnd.
       
       Am Samstag wurde er Fünfter im Bodenfinale der deutschen Meisterschaft. Das
       große Ziel des Sportsoldaten ist natürlich die Teilnahme bei Olympischen
       Spielen, „vielleicht auch zwei oder drei“ – wie es Andreas Toba schon
       gelungen ist. „Hoffentlich bleibt er noch, bis Paris, das wär’ wirklich
       wichtig,“ sagt Glenn Trebing noch und schaut rüber zu dem alten Mann.
       
       26 Jun 2022
       
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