# taz.de -- Sexualisierte Gewalt gegen Kinder: Es braucht Zahlen und Vernetzung
       
       > Die neue Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus engagiert sich dafür, dass
       > Betroffene gehört werden. Es brauche eine Zusammenarbeit von Bund und
       > Ländern.
       
 (IMG) Bild: Kerstin Claus bei ihrer Antritts-Pressekonferenz
       
       Berlin taz | „Politik braucht Zahlen“, sagt Kerstin Claus bei ihrer
       Antritts-Pressekonferenz als neue unabhängige Beauftrage für Fragen des
       sexuellen Kindesmissbrauchs am Dienstag in Berlin.
       
       Es sei ein „Skandal, dass es 2022 immer noch keine verlässlichen und
       kontinuierlichen Zahlen zum Ausmaß sexualisierter Gewalt gegen Kinder
       gibt“, bemängelt sie. In einer Presseerklärung der Unabhängigen
       Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) heißt es,
       dass davon auszugehen ist, dass etwa ein bis zwei Schüler*innen in jeder
       Schulklasse von sexueller Gewalt in der Familie und andernorts betroffenen
       waren oder sind.
       
       Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa aus dem Herbst
       2021 gehen 90 Prozent der Menschen in Deutschland davon aus, dass
       sexualisierte Gewalt vor allem in der Familie stattfindet. Nur 11 Prozent
       halten es aber für wahrscheinlich, dass es in der eigenen Familie passiert.
       Die Gewalt werde zwar als Bedrohung wahrgenommen, aber eben „dort und nicht
       hier“, so Claus.
       
       Sie will deshalb neben der Erhebung verlässlicherer Zahlen dringend eine
       höhere Sensibilisierung und eine Handlungsexpertise bei sexualisierter
       Gewalt gegen Kinder in der Gesellschaft erreichen. „Nur wer hinschaut und
       sexualisierte Gewalt auch in seinem eigenen Umfeld für möglich hält, fängt
       an, über Sprechräume und den Schutz für Kinder nachzudenken.“ Nicht alle
       Menschen müssten handlungskompetent sein, aber sie müssten wissen, wo sie
       die Expertise für Hilfe bei Anzeichen sexualisierter Gewalt gegen Kinder
       finden können, sagt Claus.
       
       ## Mehr Schutzkonzepte on- und offline
       
       Claus will dafür im Herbst 2022 eine bundesweite Aufklärungskampagne
       starten, für die jedoch bislang die Finanzierung nicht sicher geklärt sei.
       Die fünf Millionen Euro pro Jahr, die dafür benötigt werden, habe die
       damalige Familienministerin Franziska Giffey ihrem Vorgänger
       Johannes-Wilhelm Rörig zugesagt. Der neue Bundestag müsse diese aber noch
       bewilligen.
       
       Kerstin Claus kündigte außerdem an, dass sie ein flächendeckendes Netzwerk
       für Ansprechpersonen in Fragen sexualisierter Gewalt gegen Kinder schaffen
       wolle. Dafür wolle sie eng mit Ländern und Kommunen zusammenarbeiten und
       die Vernetzung zwischen Betroffenenräten und den verschiedenen staatlichen
       Ebenen stärken. Als Positivbeispiel, was in den Ländern bereits zur
       Prävention sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche passiere,
       nannte sie die [1][„Speak!“-Studie] aus Hessen.
       
       In ihrer neuen Funktion macht sich Claus auch dafür stark, dass es mehr
       Schutzkonzepte an den Orten gibt, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten,
       etwa in Kitas, Schulen, Vereinen: „Und überall müssen sexualpädagogische
       Konzepte mitgedacht werden, weil sie Sprechräume schaffen.“ Vorhandene
       Schutzkonzepte sollten für Eltern als Gütesiegel fungieren, zum Beispiel
       bei der Auswahl von Sportvereinen.
       
       Claus wies auch darauf hin, dass die digitalen Räume noch stärker in den
       Blick genommen werden müssen und über die akute Gefahr von
       [2][Cybergrooming] – also die gezielte Anbahnung sexueller Kontakte im Netz
       an Kinder durch Erwachsene – umfangreicher aufgeklärt werden muss. Für
       einen besseren Gewaltschutz sieht Claus auch die Gesetzeslage als eine der
       „Baustellen.“ Sie wünscht sich eine Berichtspflicht für die Arbeit ihrer
       Stelle, damit das Thema Schutz von Kindern und Jugendlichen stärker ins
       Parlament und die Ausschüsse getragen wird.
       
       [3][Kerstin Claus ist seit April 2022 die neue Missbrauchsbeauftragte der
       Bundesregierung] und folgt damit auf Johannes-Wilhelm Rörig, der das Amt
       2011 übernahm. Die Journalistin erlebte selbst sexualisierte Gewalt durch
       einen Pfarrer der evangelischen Kirche und ist seit 2016 Mitglied im
       Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten.
       
       Die Sichtbarkeit von Betroffenen zu stärken, ist ihr ein großes Anliegen:
       „Betroffene kennen Täterstrategien“, so Claus. Dadurch können sie bei der
       Prävention und Aufklärung sexualisierter Gewalt helfen, denn diese geschehe
       selten impulsiv, sondern sei in den meisten Fällen strategisch geplant.
       
       17 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.speak-studie.de/
 (DIR) [2] /Massnahmen-gegen-Kindesmissbrauch/!5511150
 (DIR) [3] /Neue-Missbrauchsbeauftragte/!5845400
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Linda Gerner
       
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