# taz.de -- Botender Zukunft
       
       > Die Corona-Impfung hat die mRNA-Technologie weltweit bekannt gemacht.Dank
       > ihr wird längst an weiteren Impfstoffen gearbeitet – gegen Tollwut,
       > Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht zuletzt Krebs. Wie stehen die
       > Aussichten?
       
 (IMG) Bild: 2021: Mitarbeiter eines mRNA-Labors in der indischen Stadt Pune
       
       Von Kathrin Zinkant
       
       Neue Technologien mobilisieren häufig ein besonderes Vokabular. Von
       Revolutionen ist dann oft die Rede, von Game-Changern und Durchbrüchen. In
       der Medizin kommen meist noch die Heilung und die Hoffnung dazu. Das ist
       auch mit den Impfungen nicht anders, die in den vergangenen 15 Monaten
       weltweit milliardenfach verabreicht wurden.
       
       An Enthusiasmus wird jedenfalls nicht gespart, wenn es um die Basis der
       neuen Impfstoffe geht, die so genannte mRNA-Technologie. Sars-CoV-2 war
       demnach nur die geglückte Generalprobe. Nach Covid könnten mithilfe der
       gleichen Technologie noch ganz andere Krankheiten wirksam bekämpft werden.
       Das berichten Experten nicht nur in wissenschaftlichen Journalen.
       Vermeintlich und tatsächlich beteiligte Forscher der mRNA-Medizin wurden
       für die letzten – und werden nun für die nächsten – Nobelpreise als
       Favoriten gehandelt. Und im Buchhandel findet man Werke mit Ehrfurcht
       einflößenden Titeln wie „Das Ende aller Leiden“. Unbehandelbare
       Infektionskrankheiten und nicht zuletzt Krebs- und
       Herz-Kreislauf-Erkrankungen erscheinen bald besiegbar.
       
       Wer verstehen will, was an diesem Hype um ein kleines, sehr instabiles
       Molekül dran ist, muss etwas tiefer in die Zeit zurückblicken – weiter, als
       bis zum Beginn der nicht enden wollenden Coronapandemie. Und es reicht auch
       nicht, sich mit Impfungen zu befassen, denn in den ersten Tagen der
       RNA-Biologie waren Vakzine oder gar Krebstherapeutika überhaupt nicht das
       Thema des zugehörigen Forschungszweiges. Anfangs ging es noch darum, die
       grundlegenden Vorgänge in den kleinsten Einheiten irdischen Lebens zu
       verstehen, den Zellen.
       
       Seit den Arbeiten von Francis Crick und James Watson in den 1950er Jahren
       ist klar, dass die Erbinformation jeder dieser Zellen in einem ziemlich
       langen Molekül namens Desoxyribonukleinsäure, englisch abgekürzt
       DNA, gespeichert wird. Unklar ist damals, wie diese Erbinformation mit
       ihren Bauplänen zum Grundstoff biologischer Vorgänge, den Eiweißen
       umgesetzt wird. Schon vor der Entdeckung der DNA haben Experimente gezeigt,
       dass Proteine nicht dort hergestellt werden, wo die Erbinformation
       gespeichert ist, also im Zellkern. Vielmehr produziert die Zelle sie im
       Raum zwischen Kern und Hülle. Die Frage lautet damals: Wie kommt der
       Bauplan vom Kern dorthin, wo er gebraucht wird?
       
       Ribonukleinsäuren, wiederum englisch als RNA abgekürzt, stehen früh in
       Verdacht, eine entscheidende Rolle für die Antwort auf diese Frage zu
       spielen. Als Bote zwischen der DNA im Zellkern und den Proteinfabriken der
       Zelle würden sie nicht nur die Information übermitteln, sie könnten auch
       entscheidend für die Regulation von Genen sein, also für das Timing der
       Eiweißsynthese – immerhin wird nicht jedes Eiweiß im Körper immer
       produziert, sondern nur bei Bedarf hergestellt. 1961 gelingt es, solche
       Boten-RNA – englisch messenger RNA, kurz mRNA – erstmals nachzuweisen. Es
       sind Kopien von Genen, die zuvor aktiviert wurden. Ist das zugehörige
       Eiweiß fertig produziert, werden die Kopien vernichtet.
       
       Bis in die späten 1980er Jahre entwickelt sich die RNA als kleine Schwester
       der DNA in erster Linie zu einem wichtigen Instrument des
       molekularbiologischen Erkenntnisgewinns. Von Therapien ist lange keine
       Rede. Das ändert sich erst, als RNA ab 1984 auch synthetisch hergestellt
       werden kann. 1988 berichtet ein Doktorand des Salk Institute im
       kalifornischen La Jolla, dass Boten-RNA in Fettkügelchen verpackt von
       Zellen aufgenommen wird und zur Produktion der zugehörigen Eiweiße führt.
       1990 zeigt ein Forscherteam der University of Wisconsin, dass synthetische
       Boten-RNA in den Muskel gespritzt die Produktion der kodierten Proteine
       bewirkt. Welches Eiweiß hergestellt wird, bestimmt der Experimentator, er
       kann die mRNA regelrecht programmieren. Das Resultat kann ein körpereigenes
       Protein sein – oder ein körperfremdes, zum Beispiel eine Arznei. Drei
       Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung wird klar: Mit Boten-RNA könnten auch
       Krankheiten behandelt werden.
       
       Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten stehen in den folgenden Jahren dabei
       allerdings nicht im Fokus. Vielmehr kondensieren die Erkenntnisse aus der
       Forschung an Boten-RNA und Krebs zu einem Wettlauf um mRNA als Krebsmittel.
       Die Idee dahinter ist nicht völlig neu: Schon lange werden therapeutische
       Krebsimpfungen erforscht. Man will das körpereigene Immunsystem auf den
       Tumor aufmerksam machen, so, dass der Körper den Krebs mit seinen eigenen
       Waffen bekämpfen kann. Die Abwehr des Körpers ist dazu in der Lage, so viel
       weiß man. Wie man die Aufmerksamkeit für den Krebs am besten stimuliert,
       bleibt unklar. Von Immunstoffen bis hin zu zerkleinertem Tumormaterial wird
       vieles getestet. So richtig funktionieren tut nichts.
       
       Mit der Boten-RNA hat die Forschung nun aber eine neue Option. Sie könnte
       in Körperzellen zum Beispiel tumortypische Eiweiße herstellen lassen und
       den Krebs damit dem Immunsystem darbieten. Auch in Deutschland werden zwei
       Firmen gegründet, die ganz vorn im Wettlauf um so eine therapeutische
       Krebsimpfung mitmischen: 2000 entsteht in Tübingen Curevac, acht Jahre
       später in Mainz das Unternehmen Biontech. Um mit mRNA gegen Krebs impfen zu
       können, müssen die Firmen dafür allerdings auch zwei zentrale Probleme
       lösen.
       
       Das erste lautet: Die RNA muss stabil sein, damit sie nicht auf dem Weg in
       die Zellen von körpereigenen Enzymen zerhäckselt wird. Das zweite ist ein
       Grundproblem vieler moderner Therapien: das Delivery, frei übersetzt das
       Einschleusen des Wirkmoleküls in die Zellen. Für beide Probleme entwickeln
       die konkurrierenden Firmen jeweils eigene Strategien. 2008, als Biontech
       gerade erst gegründet wird, ist Curevac mit einem ersten Konzept schon
       fertig. Sechs stabilisierte Boten-RNAs, die für sechs typische Eiweiße von
       Prostatakrebs kodieren, sollen an ein kleines Trägereiweiß geheftet in die
       Zellen von Patienten eingebracht werden. 2012 startet eine Studie an fast
       200 Patienten. Auch Biontech geht mit seiner Strategie in erste klinische
       Prüfungen. Eine chemisch veränderte mRNA bildet die Basis, verpackt wird
       sie in winzige Fettkügelchen.
       
       Keine der Studien verläuft jedoch erfolgreich. 2016 erhält Curevac die
       niederschmetternde Nachricht, dass die knapp 200 Prostatakrebspatienten auf
       die Behandlung praktisch nicht ansprechen. Für Biontech läuft es mit seinen
       Kandidaten ähnlich. Ein Teil des Problems ist inzwischen bekannt: Die
       Boten-RNA gelangt zwar in die Zellen der Patienten, auch die Eiweiße werden
       produziert und dem Immunsystem dargeboten. Doch Krebs ist eine komplexe
       Erkrankung, die entarteten Zellen wissen sich unter anderem so zu
       maskieren, dass das Immunsystem sie nicht als schädlich erkennt. Diese
       Maskierung wird von der mRNA nicht unterlaufen, im Gegenteil, die neuen
       Therapien scheitern daran.
       
       Es gibt inzwischen Medikamente und Therapien, die dem Krebs die Maske
       rauben können, sie sind zugelassen und stellen den größten Fortschritt in
       der Krebstherapie seit Jahrzehnten dar. In Kombination mit den
       mRNA-Krebsimpfstoffen könnten sie noch größere Wirksamkeit entfalten – ob
       es so ist, muss allerdings erst noch in Studien untersucht werden.
       
       Für die mRNA-Firmen heißt das nach der Pandemie womöglich, neue
       Schwerpunkte setzen zu müssen. Curevac und Biontech hatten schon vor Corona
       eine wachsende Anzahl von Infektionskrankheiten mit in ihr
       Forschungsprogramm aufgenommen. Impfungen gegen Tollwut, Grippe,
       Lassa-Fieber oder Tuberkulose haben nach den herausragenden Ergebnissen der
       Covid-Vakzine auch gute Chancen, in den kommenden Jahren den Markt zu
       erreichen.
       
       Weil sie schnell zu produzieren sind, nicht viel kosten und darüber hinaus
       auch leicht angepasst werden können, steckt in ihnen also ein enormes
       Potenzial – nur vermutlich nicht zuerst gegen Krebs. Als Impfstoffe gegen
       Viren, Parasiten und Bakterien dagegen haben sie schon jetzt gezeigt, dass
       sie zu einer Revolution durchaus in der Lage sind.
       
       9 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Zinkant
       
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