# taz.de -- Kriegsflüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt: Firmen hoffen auf Fachkräfte
       
       > Ein Jobportal für ukrainische Arbeitskräfte boomt, weil Kriegsflüchtlinge
       > in Deutschland arbeiten dürfen. Experten warnen vor zu viel Optimismus.
       
 (IMG) Bild: Weiterfahrt von Przemysl, Polen, nach Pforzheim
       
       Berlin taz | Der jungen Grafikerin aus dem hart umkämpften Charkiw war die
       Flucht über die Grenze gelungen, in einem Privatauto kam sie nach
       Deutschland. „Mich rief ein Bekannter an, der mich fragte, ob ich nicht
       eine Arbeit wüsste für die Frau, die bei ihm im Auto saß“, erzählt Marcus
       Diekmann. Ein paar Telefonate später hatte die Ukrainerin ein Jobangebot in
       der Werbegrafik bei der Babymarkt-Kette BabyOne mit Sitz in Münster.
       
       Solche Glücksfälle sind nicht die Regel. Aber das Interesse deutscher
       Firmen an Arbeitskräften, die als Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach
       Deutschland kommen, sei „sehr groß“ sagt Diekmann. Der Geschäftsmann aus
       Münster initiierte das Internetportal [1][Job Aid Ukraine] und verzeichnete
       auf dem Portal innerhalb weniger Tage schon mehr als 2.000 Stellenanzeigen,
       minütlich poppen neue Angebote auf, in englischer Sprache.
       Ukrainer:innen können sich via Internet direkt bei den Firmen auf die
       Stellenanzeigen bewerben.
       
       Der neue Jobmarkt, der sich gerade im Zuge des Krieges entwickelt, beruht
       auf den besonderen rechtlichen Bestimmungen für Kriegsflüchtlinge aus der
       Ukraine. Wer als Kriegsflüchtling in Deutschland Schutz bekommt, braucht
       zwar immer noch eine Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde. Das
       [2][Bundesinnenministerium hat die Behörden aber angewiesen,] diesen
       Geflüchteten die Arbeitserlaubnis umgehend zu erteilen, auch ohne dass sie
       eine besondere Qualifikation, ein konkretes Jobangebot oder deutsche
       Sprachkenntnisse vorweisen können.
       
       „Im Augenblick macht man es den Menschen aus der Ukraine einfach, in einen
       Job zu kommen“, sagt Diekmann, „denn einige der sonst bestehenden Hürden
       für eine Arbeitserlaubnis gibt es jetzt nicht mehr“. Bei ihm meldeten sich
       deutsche Firmen, aber auch viele Arbeitsuchende aus der Ukraine, erzählt
       er.
       
       ## Auch Freelancer sind dabei
       
       Unter den Arbeitsuchenden seien Ukrainer:innen, die überlegen, nach
       Deutschland zu kommen, sagt Diekmann. Eine zweite Gruppe seien
       Freelancer:innen, die eine Möglichkeit suchen, via Telearbeit für hiesige
       Firmen zu arbeiten. Die dritte Gruppe bestehe aus den Menschen, die schon
       als Kriegsflüchtlinge hergekommen sind. Fachkräfte aus dem IT-Bereich, aus
       der Pflege, in Handel und Gastronomie würden gesucht, sagt Diekmann. Das
       Angebot der hiesigen Arbeitgeber sei in etwa „deckungsgleich“ mit dem
       Angebot der Jobsuchenden.
       
       Viele Firmen in den Anzeigen werben um Datenverarbeiter:innen und
       Software-Ingenieur:innen. Ein Arbeitgeber in Offenburg sucht einen
       Maschinenbauingenieur mit abgeschlossenem Studium oder „vergleichbarer
       Qualifikation“, Englischkenntnisse reichen. Eine Hausverwaltung in
       Düsseldorf sucht einen „Handwerker“, Deutsch sei von Vorteil, aber „nicht
       vonnöten“, heißt es in der Anzeige.
       
       Eine Friseursalonkette in Berlin wirbt um Friseurinnen; da schon viele
       Ukrainerinnen im Unternehmen arbeiten, könne man bei Sprachproblemen
       helfen, heißt es. Demnächst wolle eine private große Pflegeheimkette 2.000
       Stellenanzeigen posten, sagt Diekmann.
       
       Ob der Traum der deutschen Firmen, die Fachkräftelücke in großem Stil mit
       Zuwander:innen aus der Ukraine zu besetzen, in Erfüllung geht, ist
       fraglich. „Ich warne vor überzogenem Optimismus“, sagt Herbert Brücker,
       Migrationsforscher am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB)
       in Nürnberg. Er hat beim IAB unlängst einen [3][Forschungsbericht] zum
       Thema herausgebracht.
       
       ## Sprachkenntnisse sind ein Knackpunkt
       
       Derzeit leben in Deutschland laut Mikrozensus rund 322.000 Menschen mit
       einem ukrainischen Migrationshintergrund. Mit einem Akademikeranteil von
       rund der Hälfte ist diese Gruppe überdurchschnittlich gut qualifiziert. 57
       Prozent sind Frauen. Die Beschäftigungsquote entspricht dem Durchschnitt
       der ausländischen Bevölkerung insgesamt.
       
       Wie sich die Migrationsströme während und nach dem Krieg entwickeln, sei
       noch nicht abzusehen, sagt Brücker. Derzeit flüchten vor allem Frauen mit
       Kindern. Viele Frauen aus der Ukraine kämen aus Büroberufen. In einem
       Büroberuf in Deutschland eine Arbeit zu finden, könnte aber schwierig
       werden bei unzureichenden Deutschkenntnissen. „Das ist dann ein Handicap“,
       erklärt der Migrationsexperte. Nur ein kleiner Teil der Frauen habe zuvor
       in der Pflege gearbeitet, „die Pflege wird überschätzt“, so Brücker.
       
       Etwa 20 Prozent der Berufe in Deutschland sind überdies sogenannte
       „reglementierte Berufe“ wie etwa Erzieherin oder examinierte
       Altenpflegerin. Dort kann niemand arbeiten ohne eine entsprechende
       Qualifikation oder Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses und
       entsprechende Sprachkenntnisse.
       
       Der IAB-Forschungsbericht plädiert dafür, die Arbeitsmigration der Menschen
       aus der Ukraine durch systematische Sprachförderung, die schnelle
       Anerkennung beruflicher Abschlüsse und umfassende Weiterbildungsangebote zu
       erleichtern. Auch sollte die Ansiedlung in prosperierenden Ballungsräumen
       erleichtert werden, weil es dort die Jobs gebe. Aber leider fehlen eben
       dort dann auch oft die Wohnungen.
       
       ## Heikle häusliche Pflege
       
       Dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland aufgrund ihrer
       Notlage als billige Arbeitskräfte in der Dienstleistung missbraucht werden
       könnten, spielt in manchen Diskussionen in den sozialen Medien eine Rolle.
       
       Andrea Belgante, Hauptgeschäftsführerin des [4][Bundesverbandes
       Systemgastronomie, erklärte], man stehe „bereit, geflüchteten Menschen aus
       der Ukraine zu helfen und in Deutschland Sicherheit und berufliche Chancen
       zu geben“. Die Branche von McDonalds und Co nahm schon zu Zeiten der
       Flüchtlingseinreisen ab 2015 viele Geflüchtete auf.
       
       [5][Studien auch des IAB] zeigten aber, dass viele der Arbeitskräfte in der
       privaten Dienstleistung wie Gastronomie, Lager und Handel und in der
       Zeitarbeit in Jobs arbeiteten, die unterhalb des Anforderungsniveaus der
       Arbeit im Herkunftsland lagen. Dies ist oft den unzureichenden deutschen
       Sprachkenntnissen geschuldet.
       
       In der Pflege in Privathaushalten mit sogenannten „Live-ins“ könnten
       womöglich künftig mehr Ukrainerinnen arbeiten, dieser Bereich ist schlecht
       bezahlt und ungeschützt. „Die Anfragen bei unseren Verbandsmitgliedern nach
       Pflege- und Betreuungsarbeit in Familien sind sprunghaft angestiegen durch
       Ukrainerinnen, die derzeit nach Deutschland flüchten“, sagt Frederic
       Seebohm, Geschäftsführer des Bundesverbandes für häusliche Betreuung und
       Pflege (VHBP), der vor allem Vermittlungsagenturen vertritt.
       
       ## Der Weg in die Schwarzarbeit
       
       Doch die rechtliche Situation für die Ukrainerinnen ist schwierig. Die
       Haushalte dürften die Ukrainerinnen legal entweder über das
       Arbeitgebermodell einstellen, was aber jeden Tag lange Ruhezeiten erfordern
       würde, da auch die „Bereitschaftszeit“ als Arbeitszeit gilt.
       
       Oder die Ukrainerinnen müssten sich als Selbstständige in der häuslichen
       Pflege verdingen, was eine umfangreiche Bürokratie erfordert und auch
       rechtlich umstritten ist. Der VHBP schätzt, dass die Pflegetätigkeit der
       „Live-ins“ in den Privathaushalten bisher schon zu etwa 90 Prozent aus
       Schwarzarbeit besteht.
       
       „Wir gehen davon aus, dass die bisher schon massenhaft schwarz arbeitenden
       Betreuungspersonen aus Polen oder Rumänien nun durch die vielen Flüchtlinge
       aus der Ukraine abgelöst werden“, erklärt Seebohm. „In ihrer Not
       akzeptieren die Ukrainerinnen schwierigste Arbeitsbedingungen, um für sich,
       gegebenenfalls ihre mitgeflohenen Kinder und die in der Ukraine
       verbliebenen Angehörigen Geld zu verdienen.“
       
       Der Durchschnittsverdienst in Deutschland liegt bei 3.240 Euro im Monat. In
       der Ukraine liegt er bei 440 Euro – vor Beginn der aktuellen
       Kriegshandlungen.
       
       12 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.jobaidukraine.com/
 (DIR) [2] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/EN/topics/ministry/ukraine-war-eng/faq-list-ukrain-war-en.html;jsessionid=F4E2716AE6080D68580319AA4522744C.1_cid364
 (DIR) [3] https://doku.iab.de/forschungsbericht/2022/fb0222.pdf
 (DIR) [4] https://www.bundesverband-systemgastronomie.de/de/bdsnachricht/systemgastronomie-ist-vorbereitet-gefluechteten-menschen-aus-der-ukraine-zu-helfen.html
 (DIR) [5] https://doku.iab.de/kurzber/2020/kb0420.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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