# taz.de -- Die Wahrheit: Verschmelzungslösung vom Feinsten
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (137): Anglerfische sind
       > schlaue Lauerjäger und können sich fast unsichtbar machen.
       
 (IMG) Bild: Gestatten, schnell und schlau: der zottige Anglerfisch
       
       Das „Aquarium“ im Keller des Bremer Überseemuseums wurde Ende der siebziger
       Jahre geschlossen. Während der Nazizeit, als das Haus noch „Kolonialmuseum“
       hieß, war vor allem ein „Anglerfisch“ aus der Sargassosee dort berühmt
       geworden. Er fraß täglich eine große Portion. „Und verdreifachte in einem
       halben Jahr seine Länge von viereinhalb auf elfeinhalb Zentimeter“, wie der
       Zoologe Richard Gerlach in seinem Buch „Fische“ (1950) berichtete.
       
       Anglerfische leben meist am Boden und können sich in den
       unterschiedlichsten Umgebungen fast unsichtbar machen, indem sie sich ihnen
       in Form und Farbe angleichen, es sind Lauerjäger. Sie versuchen mit einem
       zu Rute und Köder umgebildeten Strahl ihrer Rückenflosse Beute vor ihr Maul
       zu locken. Ihre Beute wird, sofern sie nahe genug kommt, eingesogen.
       
       Die meisten Anglerfische haben keine Schwimmblase, ihre Fortbewegung
       geschieht mittels eingesaugtem Wasser, das sie durch die Kiemenöffnungen
       feste wieder herauspressen. Ansonsten gehen sie sachte und langsam auf dem
       Meeresboden oder dem Korallenriff mit ihren kräftigen Bauchflossen. Eine
       Ausnahme bildet der „Psychedelische Anglerfisch“, der sich vom Boden
       abstößt und hopst, und der Sargassosee-Anglerfisch, der inmitten riesiger
       im Wasser schwebender Braunalgenwälder lebt.
       
       ## Gefangen in 4.389 Meter Tiefe
       
       Die erste wissenschaftliche Tiefsee-Expedition (von 1872 bis 1876) – mit
       dem umgebauten britischen Kriegsschiff „Challenger“ – fing einen 90
       Zentimeter langen schwarzen Anglerfisch in 4.389 Meter Tiefe. Da er an Bord
       kein Jäger mehr war, sondern ein zu Tode Gejagter, konnten die Forscher
       nicht wissen, dass in dem Köder an seiner Angelrute „in kleinen Hauttaschen
       Milliarden von Leuchtbakterien lebten, die für Licht in der Tiefe sorgten“,
       wie die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich in ihrem Buch über die
       Challenger-Expedition: „Tiefsee“ (2010) schreibt.
       
       In den kälteren Gewässern leben zwei Verwandte des Anglerfisches: der
       Teufelsangler (Linophrynidae) und der Seeteufel (Lophiidae), Letzterer war
       früher im Norden bei abergläubischen Fischern gefürchtet, später wurde er
       von ihnen unter dem Fantasienamen „Forellenstör“ vermarktet.
       
       ## Männchen im Schlepptau
       
       1925 veröffentlichte der englische Fischforscher und Sportangler Charles
       Tate Regan einen ersten Bericht über Tiefsee-Anglerfische der Art
       „Rutenangler“ (Ceratias), die bei Island gefangen wurden. Er wunderte sich,
       dass er immer nur Weibchen erhielt, bis er herausfand, dass an diesen, die
       über einen Meter groß waren, bis zu drei Männchen hingen. Sie waren
       sechzigmal kleiner als die Weibchen und mit ihnen fest verwachsen.
       
       „Schlund, Magen und Darm waren verkümmert. Aber die brauchten sie auch
       nicht, weil sie von den Säften der Weibchen miternährt wurden; ihr Herz und
       ihre Kiemen waren dagegen gut entwickelt“, heißt es bei Richard Gerlach.
       Sie produzierten vor allem Spermien zur Befruchtung der Eier des Weibchens.
       Beide Geschlechter lösten, indem sie zusammenwuchsen, auf Dauer das
       Problem, sich in der dunklen Tiefe des Ozeans wiederzufinden. Die
       Initiative, wenn man so sagen will, geht dabei vom Weibchen aus, indem es
       die Männchen mit seinem Leuchtorgan anlockt.
       
       Es haben auch noch andere Arten eine solche Verschmelzungslösung gefunden –
       bei den Anglerfischen, die sich in den Lichtzonen aufhalten, leben die
       meisten Arten indes solitär und der Größenunterschied zwischen Männchen und
       Weibchen ist nicht groß. In der Paarungszeit nähern sie sich einander an,
       wenn auch nur für ein paar Tage; nach dem Ablaichen trennen sie sich
       wieder. Nur wenige Arten betreiben Brutpflege.
       
       Im Aquarianermagazin Koralle (38/2006) las ich: Wo viele Individuen auf
       engem Raum leben, an einem Korallenriff etwa, kann es zur „Haremsbildung“
       kommen und sogar zum „Gruppenablaichen“. Mitunter frisst ein Weibchen auch
       einfach ein Männchen auf. Die Verhaltensforscherin Ellen Thaler schreibt
       ebendort: Da Anglerfische in Aquarien so gut wie nie länger als sechs
       Monate leben, sollte man sie zwar „gebührend bestaunen, aber generell nicht
       halten“. Dessen ungeachtet lebte einer bei ihr fast zwei Jahre im Aquarium
       – bis er an einem eingesaugten Seepferdchen erstickte.
       
       ## Unterschiedliche Angelformen
       
       Die Schweizer Kinderpädagogin und Unterwasserfotografin Teresa Zuberbühler
       hat ihre gründliche Beschreibung der „Anglerfische in Südostasien, vor den
       Malediven und im Roten Meer“ 2014 mit Fotos ins Netz gestellt. Man sieht
       dort etwa, wie unterschiedlich deren Angeln geformt sind: als Wurm, als
       kleiner Tintenfisch, als Garnele und als Spinnenkrabbe, die zudem auch noch
       einen chemischen Lockstoff ausströmen, der jedoch bis dato nicht richtig
       erforscht ist, wie die Ausstellungskuratoren von „Insightfish“ in dem von
       Ernst Haeckel in Jena gegründeten Phyletischen Museum schreiben.
       
       Während die Anglerfische damit attraktive Beutetiere quasi vorgaukeln,
       verwandeln sie selbst sich in einen harmlosen Gegenstand: in einen Schwamm,
       in Grünalgen, in einen algenbewachsenen Stein oder sogar in einen Seeigel.
       Junge Anglerfische ahmen zunächst Plattwürmer oder Nacktschnecken nach, die
       ungenießbar sind und Warnfarben tragen.
       
       ## Krasse Kieferkünstler
       
       Es gibt etwa fünfzig Anglerfischarten, aber immer mal wieder wird eine
       weitere entdeckt. Ihr Mundvolumen können die Fische um das Zwölffache
       vergrößern, wodurch ein Unterdruck entsteht, der die Beute in den Schlund
       zieht. Dieser Vorgang dauert nur sechs Millisekunden, so schnell kann sich
       laut Wikipedia „ein Muskel gar nicht zusammenziehen, deshalb wird ein
       bisher unbekannter biomechanischer Vorgang im Kiefer vermutet, der Energie
       speichern und plötzlich freisetzen kann“.
       
       Zu ihrer Verteidigung schlucken Anglerfische Wasser und blähen sich dabei
       derartig auf, dass viele Raubfische sie nicht mehr runterwürgen können –
       und wieder ausspucken. Die leidenschaftliche Expertin Teresa Zuberbühler
       schreibt auf ihrer Internetseite: „Die natürlichen Feinde der Anglerfische
       sind u. a. Skorpionfische, Aale, Eidechsenfische. (…) Es kann aber auch
       durchaus vorkommen, dass genau diese Fische zur Beute des Anglerfisches
       werden.“
       
       Wie viele Raupen und Schmetterlinge tragen auch einige Anglerfische auf
       ihrer Rückenflosse augenähnliche runde Flecken, sogenannte Scheinaugen, die
       eine abschreckende Wirkung haben. Ihre richtigen, sehr kleinen, Augen
       tarnen sie dagegen mit gleichfarbigen falschen Augen sowie Flecken, wirrem
       Scheinbewuchs und dicken Hautauswüchsen drumherum.
       
       Weil die Anglerfische zur Form- und Farbunbestimmtheit tendieren, lassen
       sich die einzelnen Arten schwer auseinanderhalten. Fischforscher bestimmen
       sie qua Position der Kiemenöffnung, des Schwanzansatzes und der Form der
       Eierstöcke. Dazu muss das weibliche Tier jedoch gefangen, getötet und
       seziert werden. Zum Glück werden die Taxonomen immer seltener. Ja, der
       Beruf stirbt vielleicht noch vor den Anglerfischen aus. Das befürchtet
       zumindest der Biologe und Wissenschaftshistoriker Michael Ohl in seinem
       Taxonomie-Lehrbuch „Die Kunst der Benennung“.
       
       10 Jan 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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