# taz.de -- Überraschungen im alpinen Ski-Weltcup: Speed ohne Spleen
       
       > Dass Simon Jocher ein guter Skifahrer ist, wusste man. Mit Platz acht in
       > Gröden zeigt er, dass er nun reif ist für Erfolge in der Abfahrt.
       
 (IMG) Bild: Zum ersten Mal schneller als alle anderen: Bryce Bennett auf der Saslong über Gröden
       
       Gröden taz | Der Zielraum der Saslong begann sich bereits zu leeren. Die
       Siegerinterviews waren alle erledigt, da hob sich die Stimme des
       Streckensprechers noch einmal, aufgeregt verkündete er glänzende
       Zwischenzeiten eines deutschen Abfahrers. Die drei bis dahin Schnellsten
       mussten sich zwar keine ernsthaften Sorgen machen, aber sie starrten bei
       der Fahrt von Simon Jocher dennoch gebannt auf die große Leinwand.
       
       Kurz darauf kam der nächste Deutsche, der den Sprecher forderte. Auch Josef
       Ferstl setzte ein Ausrufezeichen bei dieser an Überraschungen nicht armen
       Weltcup-Abfahrt von Gröden. Er hatte die Strecke am Samstag sogar
       eineinhalb Mal bewältigen müssen, weil er bei seiner ersten Fahrt wegen
       eines Sturzes des Rennläufers vor ihm abgewunken worden war. Am Ende lagen
       sich Jocher und Ferstl in den Armen.
       
       Sie haben mit den Plätzen acht und nicht nur die Qualifikation für die
       Olympischen Winterspiele geschafft, sondern vor allem das deutsche Ergebnis
       aufgepeppt in diesem Rennen, bei dem die Außenseiter dominierten und
       Favoriten wie der Norweger Aleksander Aamondt Kilde strauchelten. Andreas
       Sander wurde beim Premierensieg von Bryce Bennett aus den USA Elfter,
       Romad Baumann landete auf Rang 18.
       
       Die beiden hatten in Abwesenheit von Thomas Dreßen in der vergangenen
       Saison und auch zu Beginn dieses Winters für die Spitzenresultate im
       Weltcup gesorgt. Aber „der Knaller“ hatte Cheftrainer Christian Schwaiger
       vor den Rennen in Gröden gesagt, fehle noch, so ein Podestplatz, wie er den
       beiden [1][im Februar bei der WM in Cortina d’Ampezzo] gelungen war.
       
       Den gab es auch in Gröden nicht, aber den Auftritt des 25 Jahre alte Jocher
       geht zumindest als „Knallerchen“ durch. Weil er mit Startnummer 51 unter
       die besten zehn raste, weil sein bestes Abfahrtsergebnis bis dahin ein 25.
       Platz war. „Das ist schon überraschend, da muss ich noch mal kurz darüber
       nachdenken“, fand Jocher.
       
       ## Lange Reifezeit
       
       Für die Verantwortlichen im Deutschen Skiverband kam der Sprung nach vorne
       mit Ansage. „Es hat sich in den vergangenen Jahren schon abgezeichnet, dass
       er eine hohe Talentierung für den Abfahrtssport hat“, sagt Alpinchef
       Wolfgang Maier. „Simon ist in seinem Altersbereich mit der Beste der Welt
       und skitechnisch sehr weit.“ Im Super-G hat Jocher schon vorgesprochen in
       der Weltelite, erst am Freitag mit Platz 15, aber in der Abfahrt dauert die
       Reifezeit vom Talent zum Weltklasseathleten oft länger. Jocher musste erst
       die Strecken kennenlernen und das Drumherum, „das alles kostet ein bisschen
       Energie“, gibt er zu.
       
       Sein Aufstieg mag ein wenig an den von Dreßen erinnern, wenngleich Jocher
       abwinkt. „So weit würde ich nicht gehen.“ [2][Dreßen war in seinem Alter
       schon Kitzbühel-Sieger] und auch sonst hat der zurückhaltende Schongauer
       nicht viel gemeinsam mit dem emotionaleren, älteren Kollegen – außer der
       Tatsache, außergewöhnlich hochbegabt zu sein. Rein körperlich wirkt Jocher
       fast schmächtig in den Reihen der Kraftprotze, obwohl er zuletzt dank
       Ernährungsberatung dem Idealbild eines Abfahrers etwas näher gekommen ist.
       Als „jungen Typen ganz ohne Spleen“ bezeichnet ihn Maier. „Man kann ihn
       total gut führen“, was heißen soll, dass er mehr auf andere hört als auf
       sich.
       
       Für Jocher in der Endphase der Ausbildung ist das vermutlich genau der
       richtige Weg. Für Ferstl war es in den vergangenen beiden Jahren der
       falsche, so glaubt er es jedenfalls. „Ich habe mich in der letzten Saison
       zu oft von anderen beeinflussen lassen.“ Unter anderem bei der Abstimmung
       des Materials. „Ich habe mein Hirn abgegeben. Und das ist völlig in die
       Hose gegangen“, sagt Ferstl. Nun hört er wieder auf sich, hat einen neuen
       Servicemann und auch sonst „viel verändert“.
       
       Aber allein auf dieser mag Maier die Zwei-Jahres-Krise von Ferstl nicht
       schieben. „Das gehört dazu, ja“, findet er, aber eben auch eine
       Fokussierung, und die habe ihm bei dem sensiblen 32-Jährigen zuletzt
       gefehlt. Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, mag auch Maier nicht
       ganz ausschließen, denn „der Pepi ist ja kein Killer, sonder eher der
       soziale Typ“. Da hängt die Leistung womöglich mehr noch als bei anderen von
       der Harmonie ab. Auf der Saslong war Ferstl wieder im Einklang. Mit sich
       und den anderen.
       
       19 Dec 2021
       
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