# taz.de -- Corona-Drama in Deutschland: Schlimmer geht’s immer
       
       > Wöchentlich sterben Hunderte an Covid, aber wirksame Coronamaßnahmen sind
       > Fehlanzeige. Es wäre Zeit für eine politische Triage.
       
 (IMG) Bild: Corona-Tote in Rheinland-Pfalz
       
       Es gibt Begriffe, die das Erregungslevel in der Pandemie verlässlich
       anheben. „[1][Neue Mutante]“ ist einer davon. Triage war in den vergangenen
       Tagen ein anderer. [2][Triage] heißt zu entscheiden, wer eine Chance auf
       Überleben durch medizinische Versorgung bekommt, wenn nicht mehr alle
       versorgt werden können. Vor dieser Entscheidung könnten tatsächlich bald
       viele Intensivmediziner stehen.
       
       Und es gibt Stimmen, die sagen, man solle diese Entscheidung nicht mehr,
       wie vorgesehen, von den Erfolgsaussichten einer Behandlung abhängig machen,
       sondern vom Impfstatus. Sprich: Ein ungeimpfter 68-jähriger Covid-Patient
       würde nicht beatmet, weil er sich dem Gemeinschaftsschutz verweigert hat.
       Dafür bekäme die geimpfte 86-Jährige sein Bett.
       
       So zumindest die Idee. Denkt man sie zu Ende, sollte sie dringend Angst
       machen in einem Land, in dem die Todesstrafe vor mehr als 70 Jahren
       abgeschafft wurde und in dem solche Überlegungen einer Lynchjustiz
       nahekommen. Es gibt bislang keine Impfpflicht. Niemand darf dafür bestraft
       werden, dass er sich nicht hat impfen lassen. Auch nicht auf der
       Intensivstation.
       
       ## Vom „Brain Fuck“ profitiert das Virus
       
       Noch hat Deutschland den Punkt aber nicht erreicht, an dem eine Triage
       nötig wäre. Es ist noch nicht so schlimm. Und auch das zweite
       Gruselszenario ist bisher nicht eingetreten: Die jüngste Variante, die in
       Südafrika auftauchte und mit ihren 50 Mutationen durchaus gefährlich
       erscheinen muss, hat sich noch nicht global verbreitet. Forscher:innen
       müssen erst klären, ob B.1.1.529 ansteckender, krankmachender ist als
       Delta. Bisher ist das offen. Es ist noch nicht so schlimm.
       
       Aber dass es noch nicht so schlimm ist, weil es noch schlimmer geht, und
       dass man die Lage deshalb lieber noch ein bisschen beobachtet; bloß nicht
       bewegen, vielleicht wird es gar nicht schlimmer, sondern ist bald vorbei:
       Das ist der Brain Fuck, von dem das Virus profitiert. [3][Das ist der
       Grund, warum wieder Hunderte sterben, jede Woche]. Das ist der Grund, warum
       man sich vor der Triage fürchten muss. Nicht Sars-CoV-2 und seine
       Varianten, sondern das Abwarten und Abwägen im Angesicht der Katastrophe
       haben verhindert, dass offenkundig notwendige Maßnahmen frühzeitig
       ergriffen wurden, inklusive der Pflicht, sich zu immunisieren.
       
       Weil die Politik offenbar noch immer zitternd auf irgendein Wunder wartet,
       gibt es keine Impfpflicht und kein bundesweites 2G in allen öffentlichen
       Einrichtungen, einschließlich der Bahn. Es gibt angesichts von
       Rekord-Inzidenzen kein Veranstaltungsverbot, keine landesweiten
       Schließungen im Einzelhandel, es gibt keine allgemeinen
       Kontaktbeschränkungen für private Treffen, keine globale Homeoffice- und
       Maskenpflicht. All diese Maßnahmen könnten noch Leben retten, viele Leben.
       Sie könnten auch die Verbreitung einer neuen, vielleicht gefährlicheren
       Variante verhindern oder eindämmen – jetzt, da eine mögliche solche Mutante
       sich bereits ausbreitet.
       
       Doch es gibt sie nicht, diese Maßnahmen. Stattdessen gibt es fassungslose
       Bürger:innen, Wissenschaftler:innen und Intensivmediziner:innen,
       die sich fragen, ob denn überhaupt noch jemand regiert – oder regieren
       wird. Eine beruhigende Antwort darauf gibt es aber selbst mit der Ampel
       nicht. Statt geschlossen in den Startlöchern zu stehen, um gegen Corona
       endlich alles zu tun, versuchen Rot und Grün nach wie vor mit großer
       Geduld, den Freien Demokraten die Pandemie zu erklären. Von Konsequenz und
       Tatkraft keine Spur.
       
       Wer nicht eingeschlafen ist, als der künftige Kanzler am Donnerstagabend im
       „heute journal“ die müden Zukunftsplänchen der Ampel für den Kampf gegen
       eine komplett eskalierte Coronasituation ins Mikrofon wisperte, mag sich
       deshalb gefragt haben, ob es nicht auch so etwas wie eine politische Triage
       gibt. Politiker:innen mit schlechten Chancen darauf, den Beginn der
       neuen Legislaturperiode ohne 50.000 weitere Coronatote über die Bühne zu
       bringen, werden vorsorglich an die Seite geschoben. Um Platz zu machen
       [4][für andere, die handeln wollen].
       
       Aber selbst für die Noch-Regierung ist es nicht zu spät. Ob man es
       Bundesnotbremse, Lockdown oder Maßnahmen nennt, dem Virus können noch
       Riegel vorgeschoben werden. Es muss nur endlich passieren. Sonst wird es
       doch noch: richtig schlimm.
       
       26 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html
 (DIR) [4] /Nachrichten-zur-Coronakrise/!5817713
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Zinkant
       
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