# taz.de -- Ex-Angehöriger der Colonia Dignidad: In Ruhe zurück ins Münsterland
       
       > Italiens Behörden lassen einen Ex-Angehörigen der Colonia Dignidad
       > laufen, der sonst unbehelligt in Deutschland lebt. Dabei wird er in Chile
       > gesucht.
       
 (IMG) Bild: Eng mit der Diktatur Augusto Pinochets: ehemaliges Haus der Colonia Dignidad in Chile
       
       Berlin taz | In Chile soll der Deutsche Reinhard Döring, Ex-Angehöriger der
       Colonia Dignidad, wegen Entführung und Verschwindenlassens von politischen
       Gefangenen vor Gericht gestellt werden. Chiles Oberster Gerichtshof
       beantragte seine Auslieferung aus Italien. Denn dort war der 75-Jährige
       aufgrund eines Interpol-Festnahmeersuchens im September verhaftet worden.
       Doch nun ließ ein italienisches Gericht ihn vorzeitig frei. Döring ist
       inzwischen wieder in Deutschland, wo er seit 2004 lebt und wo ihm keine
       Strafverfolgung droht.
       
       Bis 2004 lebte Döring in der Colonia Dignidad. Dann verließ er [1][diese
       deutsche Sektensiedlung in Chile], in der Freiheitsberaubung, sexualisierte
       Gewalt und Zwangsarbeit zum Alltag gehörten, und die eng mit der Diktatur
       Augusto Pinochets kooperierte. Seit 2004 lebt der heute 75-Jährige
       weitgehend unbehelligt im nordrhein-westfälischen Gronau.
       
       Er stellte sich niemals der chilenischen Justiz, die seit 2005 wegen der
       Beteiligung an der Entführung und dem Verschwindenlassen der 1976
       verschleppten politischen Gefangenen Juan Maino, Elizabeth Rekas und
       Antonio Elizondo gegen ihn ermittelte und einen internationalen Haftbefehl
       erließ.
       
       Döring soll als Kontaktperson der Colonia Dignidad zum chilenischen
       Geheimdienst DINA fungiert haben. Dieser hatte nach dem Putsch von 1973 ein
       Lager auf dem Gelände der deutschen Sektensiedlung eingerichtet, in dem
       Hunderte Oppositionelle gefoltert und Dutzende ermordet wurden. Diese
       wurden in Massengräbern auf dem Gelände der Colonia Dignidad verscharrt,
       ihre Leichen später wieder ausgegraben und verbrannt. Das belegen Aussagen
       von Angehörigen der deutschen Siedlung.
       
       Döring selbst hatte gestanden, Gefangene bewacht zu haben. Außerdem soll er
       als Fahrer auch Gefangene an einen abgelegenen Ort auf dem Siedlungsgelände
       zur Exekution transportiert haben. In einer früheren Vernehmung hatte
       Döring bestätigt, Waffen und Motoren – mutmaßlich von Autos von politischen
       Gefangenen – auf dem Gelände der Colonia Dignidad versteckt bzw. vergraben
       zu haben.
       
       ## Mangelnder Wille zur Aufklärung?
       
       Deutschland liefert ihn aber wegen seiner deutschen Staatsangehörigkeit
       nicht nach Chile aus. Im Jahr 2016 [2][eröffnete die Staatsanwaltschaft
       Münster zwar ein eigenständiges Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum
       Mord von politischen Gefangenen, stellte dieses 2019 jedoch wieder ein.] Es
       läge kein hinreichender Tatverdacht vor, hieß es in der Begründung damals.
       
       Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights
       (ECCHR) kritisiert, wichtige Zeugen, die das ECCHR benannt habe, seien
       nicht vernommen worden. Es habe keinen ausreichenden Willen zur Aufklärung
       gegeben.
       
       Bei einer Urlaubsreise in die Toskana wurde Döring im September diesen
       Jahres in der Kleinstadt Forte dei Marmi aufgrund eines
       Interpol-Haftersuchens festgenommen. Seitdem saß er dort in Haft. Ein
       Auslieferungsabkommen zwischen Chile und Italien sieht eine Frist von
       maximal 60 Tagen vor, binnen derer ein Auslieferungsantrag gestellt werden
       muss. Ansonsten wird die inhaftierte Person freigelassen. Im Fall Dörings
       war der Stichtag der 22. November.
       
       Der Oberste Gerichtshof Chiles überstellte am 12. November fristgerecht
       einen Auslieferungsantrag für Reinhard Döring nach Italien. „Der Antrag kam
       am 18. 11. in Italien an, am 19. 11. lag er bereits dem italienischen
       Justizministerium vor“, sagt Mariela Santana, die Anwältin von Margarita
       und Mariana Maino, den Schwestern des in Chile 1976 Verschwundenen Juan
       Maino, die noch immer für die Aufklärung des Schicksals ihres Bruders
       kämpfen.
       
       ## „Unentschuldbarer Fehler“
       
       Doch ebenfalls am 18. November befand ein Berufungsgericht in Florenz,
       Dörings Gesundheitszustand sei „mit der Haft unvereinbar“. Deshalb solle
       seine Haft durch „weniger schwere Maßnahmen“ ersetzt werden. Kurzum: Döring
       wurde aus dem Gefängnis entlassen unter der Auflage, sich täglich einmal
       bei der Polizei in Lucca in der Toskana zu melden.
       
       Dieser Beschluss wurde bemerkenswerterweise vier Tage vor Ablauf der Frist
       zur Einreichung eines Auslieferungsantrags gefällt, und zwar unter Verweis
       darauf, dass die Voraussetzungen für die Haft sowieso am 22. November
       auslaufen würden. „Nach Informationen aus dem Justizministerium liegen
       keine Hinweise darauf vor, dass die chilenischen Justizorgane einen
       Auslieferungsantrag gestellt oder die entsprechenden Dokumente übergeben
       haben“, heißt es im Beschluss des Berufungsgerichts.
       
       Die Frist zur Einreichung eines Auslieferungsantrags nicht einzuhalten, sei
       ein „unentschuldbarer Fehler“, sagt die Rechtsanwältin Mariela Santana,
       denn: „Die Haftanordnung galt bis 22. November, da lag der chilenische
       Auslieferungsantrag längst vor.“
       
       Außerdem habe das Gericht in Florenz die offensichtliche Fluchtgefahr im
       Fall Dörings verkannt und die Interessen der Opfer nicht geschützt, obwohl
       Juan Maino sogar die italienische Staatsangehörigkeit besaß. Die
       chilenische Regierung müsse nun erklären, welche Schritte sie selbst
       unternommen habe, um dem Auslieferungsantrag Geltung zu verschaffen. Vor
       allem müsse sie gegenüber der italienische Seite auf Aufklärung drängen.
       
       ## Einfach ziehen gelassen
       
       Aus vertraulichen Quellen in Italien ist zu erfahren, dass Döring sich nach
       seiner Entlassung zunächst regelmäßig bei der Polizei in Lucca meldete. Am
       22. November vormittags soll er demzufolge die Erlaubnis zur Abreise nach
       Deutschland erhalten und sogar seine Wohnadresse hinterlegt haben.
       
       Erst am Nachmittag desselben Tages habe sich das Berufungsgericht aus
       Florenz bei der Polizei in Lucca gemeldet und diese aufgefordert, Döring
       weiterhin unter Meldeauflagen zu halten. Da hatte die Polizei ihn aber
       bereits ziehen lassen. Inzwischen ist Döring jedenfalls nach Deutschland
       ausgereist und wieder zu Hause.
       
       „Es gab einen Haftbefehl, aber die Staaten haben nicht kooperiert, jetzt
       ist Döring entkommen“, sagt Mariana Maino. Sie kritisiert, Italien sei
       dafür verantwortlich, dass Döring entkommen konnte, Chile sei wenig
       engagiert und müsse nun reagieren. Und in Deutschland fehle es im Kontext
       der Colonia Dignidad [3][insgesamt an einem Sinn für Gerechtigkeit.]
       
       Tatsächlich ist Döring kein Einzelfall. Auch der in Chile rechtskräftig zu
       fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zu Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch
       verurteilte frühere Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad, Hartmut
       Hopp, lebt unbehelligt in Krefeld. Auch gegen ihn ermittelte die
       chilenische Justiz unter anderem zum Verschwindenlassen von Juan Maino.
       Hartmut Hopp setzte sich nach 2011 nach Deutschland ab. Die letzten
       Ermittlungen seitens der deutschen Justiz gegen ihn wurden 2019
       eingestellt.
       
       25 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ute Löhning
       
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