# taz.de -- Ein bayerischer Bub verfolgt die Wahlen: Und hinterher granteln alle
       
       > Der kleine Beppi erzählt, warum er Wahlen skeptisch sieht. Außerdem sind
       > sie vorher langweilig und nachher auch.
       
 (IMG) Bild: Bei einer Wahl ist es so, dass vorher alles total langweilig ist und hinterher auch wieder
       
       Ich weiß ja nicht, kennen S’ des: dass man einen blöden Traum hat und
       erinnert sich dann eher an so Kleinigkeiten. Also, neili hat ma so was
       dramd (es hat mir neulich geträumt, für den Fall, dass Sie nur ein
       preußisches Deutsch verstehen), da war jemand g’storben und ich hab
       irgendwas Falsches angehabt oder so, jedenfalls haben s’ alle mit Fingern
       gezeigt und g’lacht ham s’. Aber statt dass ich jetzt weiß, wieso, erinner
       ich mich bloß an das Knacks, da wo ich in die Schokoladenseiten von einem
       Domino-Eis gebissen hab. Klar, auf einer Beerdigung isst man kein
       Domino-Eis, aber im Traum war mir das halt wurscht. Und genau so ist es
       auch mit einer Wahl. Also nicht ganz genau so, aber irgendwie schon.
       
       Wie neulich Wahl war, hat es bei uns nur einen Kaiserschmarren am Abend
       gegeben, weil die Mama hat gesagt, sie macht doch keine [1][Schnitzel] und
       Kartoffelsalat und alles, wenn sowieso alle in den Fernseh hineinstieren.
       Das war so wie Fußball oder Olympia oder „Wetten, dass“. Bloß, dass
       hinterher nicht einer gewonnen hat, sondern es ist erst richtig losgegangen
       und es geht immer noch weiter, weil man jetzt eine Sondierung braucht oder
       eine Koalition oder was.
       
       Wie die Wahl vorbei war, hat die Mama g’sagt, dass sie vielleicht überhaupt
       nicht mehr zur Wahl gehen täte, wenn immer so ein Scheißdreck dabei
       herauskommen täte. Wo sie sonst immer sagt, Scheißdreck sagt man nicht. Und
       der Opa, der hat g’lacht und g’sagt: Wahlen ändern nichts, sonst wären sie
       verboten. Der Opa ist ein „Alt-68er“, der darf so was sag’n. Aber auch die
       Vreni, meine ältere Schwester, hat g’sagt, sie dada si a so schama (es täte
       sie so schämen, für die Preuß’n), weil die Leut in ihrem Alter bloß
       „geldgeile [2][Schnösel oder Ökospießer]“ haben hätten wollen. Wia da Bappa
       sie g’fragt hat, was sie gewählt hätt, da hat die Vreni g’meint, das ist
       ein Wahlgeheimnis. Weil sie darf jetzt wählen, und jetzt ist sie erwachsen
       und da hat sie ein Wahlgeheimnis.
       
       Ein Wahlgeheimnis ist wahrscheinlich so was wie ein Beichtgeheimnis. Die
       Mama schreibt mir immer auf, was ich beichten soll, weil sie kennt den
       Pfarrer, und sie weiß, was ihm eine rechte Freud macht. Mir sind ja
       eigentlich nicht religiös. Aber mei, es is’ halt wegen der Oma (also der
       anderen, nicht dass Sie die jetzt mit den Alt-68ern verwechseln) und wegen
       den Leut’. Wahrscheinlich ist es also mit der Wahl auch so, dass man es
       halt macht, und deswegen muss man noch lange nicht an alles glauben.
       
       Bei einer Wahl ist es so, dass vorher alles total langweilig ist und
       hinterher auch wieder. Aber zwischendrin regen sich alle furchtbar auf.
       Dann wird gezählt, und man sieht „Wählerwanderungen“, und da wollen ein
       paar nach [3][Jamaika], was schon komisch ist, weil Jamaika liegt ja im
       Meer und man macht da den ganzen Tag Musik. Die wer’n sich schön bedanken
       in Jamaika, wenn da aus Deutschland so Wählerinnen und Wähler
       dahergewandert kommen und sagen, jetzt brauch’ ma Sondierung und Koalition
       und alles.
       
       Jetzt stell’n Sie sich des amal vor, dass lauter Jamaikanerinnen und
       Jamaikaner zu uns kämen, weil sie eine Deutschlandkoalition haben wollen,
       und Sondierungen, dann heißt es wieder die Ausländer. Die nehmen uns die
       Arbeitsplätze und das Geld weg, dass wir nicht mal mehr eigene Regierung
       und Minister haben. Wie ich das der Vreni g’sagt hab, hat sie g’lacht und
       g’sagt, dass sie den Bob Marley schon gern als Kanzler gehabt hätt, bloß
       dass der leider schon tot ist. Und der Bappa hat g’meint, dass es schon so
       was gibt wie eine Deutschlandkoalition, aber das wär überhaupt nicht zum
       Lachen, weil das auch keine Demokratie ist, wenn alle alten Deppen
       beieinander sind. Depp*INNEN hat die Vreni g’sagt. Es gibt auch alte
       Deppinnen. Ich persönlich hätt auch lieber Bob Marley g’habt, den hör ich
       gern, aber mei, wenn er halt tot ist. Kann ma nix machen.
       
       Auf jeden Fall haben seit der Wahl alle eine mordssschlechte Laune. Weil es
       nämlich egal ist, wie jetzt eine Koalition aussieht, ein langweiliger
       Scheißdreck ist es in jedem Fall. Und wie ich g’fragt hab, warum man dann
       überhaupt so eine Wahl macht, da hat der Opa g’lacht, aber das gilt nicht,
       weil er ist ja ein Alt-68er, und die haben keine Ahnung. Es ist nicht egal,
       hat der Bappa g’sagt, weil es um das Klima geht und um die Renten und um
       die Wirtschaft. „Wenn die da oben nicht mehr können und wir da unten nicht
       mehr wollen“, hat der Opa g’sagt, „dann gibt’s sowieso eine Revolution.“
       „Nein“, hat die Mama g’sagt, „dann kommen die Nazis.“
       
       Seit der Wahl haben alle einen echten Grant. Und dann ist in Österreich
       auch noch ein Kanzler zurück getreten. „Kurz“ hat der geheißen, das hab ich
       lustig gefunden, aber es war niemandem zum Lachen. Am schlimmsten hat es
       den Bappa erwischt. Wie der nämlich den Abfallkübel in den Hof getragen
       hat, da ist er dem Nachbarn begegnet, der wo immer vom Volk redet und von
       den Fremden. Und der fragt den Bappa, was er denn jetzt zu der Wahl sagen
       tät, weil man doch wenigstens die rote Gefahr verhindert hätt, und der
       Bappa hat g’sagt: „Nix.“ Nix dad er sag’n zur Wahl, schon gar nicht zu so
       einem … Ich sag’s lieber nicht. Dann sind die zwei doch ins Streiten
       gekommen, und der Bappa hat doch noch gesagt, was er lieber nicht hat sag’n
       wollen, und jetzt haben wir ein Gerichtsverfahren am Hals. Wo wir sowieso
       nicht so viel Geld hab’n, und die Miete ist auch g’rad gestiegen.
       
       So eine Wahl tut uns nicht gut. Wenn man nicht zur Burschwasie g’hört,
       kommt einem eine Wahl teuer. Wenn das eine Demokratie ist, hat die Vreni
       g’sagt, wo man eine Zukunft mitgestalten soll, und dann freuen sich doch
       wieder bloß die Nazis, dann weiß sie auch nicht. Wenn „mitgestalten“ heißt,
       dass alle in den Fernseh stieren und es gibt kein Schnitzel und keinen
       Kartoffelsalat und noch Streitereien, wo man vielleicht noch Strafe zahlen
       muss, wenn man einen Nazi einen Nazi nennt, dann fang ich lieber mit dem
       Mitgestalten gar nicht erst an. Das sag ich Ihnen.
       
       13 Oct 2021
       
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