# taz.de -- Die Wahrheit: Angenähte Beine auf dem Rücken
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (130): Die Verjüngung
       > bei Tieren liefert Stoff für den uralten Traum der Menschen.
       
 (IMG) Bild: Der Querzahn-Molch Axolotl ist ein Regenerationswunder
       
       Viele Milliarden werden jährlich für Verjüngungsmittel, -kuren und
       -operationen weltweit ausgegeben. Es gibt indes einige Tiere, die sich „aus
       eigener Kraft“ verjüngen können. Bei den Krebsen zum Beispiel werden
       verlorene Fühler, Beine oder Scheren während der nächsten Häutung ersetzt.
       Die Meeresschnecke „Elysia marginata“ kann ihren ganzen Körper abtrennen
       und dann vom Kopf aus einen neuen bilden.
       
       Molche und Axolotl vermögen fast alle Körperteile zu regenerieren. Ihre
       „dedifferenzierten Zellen“ können sich laut max-wissen.de in „verschiedene
       Zelltypen umwandeln – Signalstoffe sagen ihnen, in welche“. Generationen
       von Biologiestudenten haben Molchen eine oder mehrere Extremitäten
       abgeschnitten und damit herumexperimentiert. Der Forschungsreisende Thor
       Heyerdahl schimpfte über sein Zoologiestudium: „Statt über das Verhalten
       von wild lebenden Tieren etwas zu erfahren, pflanzten wir Molchbeine vom
       Bauch auf den Rücken des Tieres.“
       
       Bei vielen Arten stirbt das Männchen nach der Begattung, auch bei den
       Tausendfüßern, mit der Ausnahme der „Schnurfüßer“. Bei dieser Art häutet
       sich das Männchen nach der Verpaarung bloß und hat dann erst einmal nur
       noch rückgebildete, lediglich durch Knospen angedeutete
       Fortpflanzungsorgane. Es gleicht damit erneut einem vor der ersten
       Reifehäutung stehendem Jungtier. Durch eine zweite Häutung ist es dann
       wieder begattungsfähig.
       
       Quallen, auch Medusen genannt, schweben im Meer. Ihr Körper besteht zu 98
       Prozent aus Wasser, ein Rückgrat haben sie nicht, auf ihre Fortpflanzung
       folgt der Alterstod. Für eine Qualle namens „Turritopsis dohrnii“ gilt das
       jedoch nicht: Sie kann ihre gealterten Zellen in Stammzellen
       zurückverwandeln, woraus wieder neue spezialisierte Polypenzellen
       entstehen, aus denen – auf ungeschlechtlichem Wege – Medusen „wachsen“.
       Diese kleine Qualle wird also immer wieder jung, sofern sie nicht gefressen
       wird, und ist von daher quasi unsterblich, heißt es im soeben erschienenen
       Buch „Wenn Haie leuchten“ der Meeresforscherin Julia Schnetzer.
       
       ## Qualle wird Polyp
       
       Der Dokumentarfilmregisseur Zoran Solomun hat in Japan einen Film über die
       im japanischen Meer lebende „Turritopsis dohrnii“ und ihren japanischen
       Erforscher gedreht. Die Qualle ist fingernagelgroß, wenn man ihr Tentakel
       abschneidet, entwickelt sie sich zurück zu einem Polypen und startet neu,
       jetzt mit der Fukushima-Radioaktivität wird die kleine Qualle immer größer.
       
       In seinem Drehbuch schrieb Zoran Solomun: „Die moderne Wissenschaft ist
       wenig an der Unsterblichkeit interessiert – das Thema klingt unseriös.
       Letztendlich gelten nur die einfachsten Lebewesen, die sich mittels
       Zellteilung vermehren, als unsterblich. Alle höheren und komplizierteren
       Arten durchleben den selben Zyklus: Sie werden geboren, reifen heran,
       vermehren sich, altern und sterben.“
       
       Die westliche Wissenschaft will das aber nicht auf sich beruhen lassen und
       sucht in allen Richtungen nach lebensverlängernden Stoffen und Verfahren.
       Der Traum ist uralt. In der Regierungszeitung Iswestija hatten engagierte
       sowjetische „Immortalisten“ 1922 erklärt: „Wir stellen fest, dass die Frage
       der Verwirklichung persönlicher Unsterblichkeit jetzt in vollem Umfang auf
       die Tagesordnung gehört.“
       
       In Neukölln traf ich mich einmal mit zwei älteren Vertretern des
       Immortalismus, einer erklärte mir: „Fische altern auch nicht, sie werden
       nur größer.“ Im Übrigen gäbe es in der Natur eigentlich sowieso nicht das,
       was wir einen „natürlichen Tod“ nennen. Dieser sei quasi ein
       Haustierphänomen. „Senilität ist ein Kunsterzeugnis der Zähmung. Wie
       übrigens auch das Gegenteil: der kindliche Gesichtsausdruck bis ins hohe
       Alter. Die wilden Tiere werden dagegen früher oder später fast alle
       gefressen, wobei diese Gefahr mit wachsendem Alter steigt, obwohl sie
       zugleich aber auch schlauer werden. Der mittlere Lebensabschnitt ist jedoch
       auch für uns Menschen der beste …“
       
       „Das sehen die Lebensversicherungsgesellschaften bestimmt genauso“, sagte
       ich zu ihm. Er wollte daraufhin wissen, ob die Versicherungen auch
       prämienmäßig berücksichtigen, dass es, entgegen unserer Vorstellung, erst
       eine Periode der Entwicklung und dann eine des Verfalls durchmachen zu
       müssen, in Wirklichkeit so sei, dass wir „unser Leben mit einer Periode
       extrem schnellen Verfalls beginnen und es mit einem sehr langsamen und sehr
       geringen Verfall beenden“. Ich Skeptiker erinnerte ihn an die Bibel und an
       Matthäus, der fragte: „Aber wer aber unter Euch vermag dem Maß seines
       Lebens auch nur eine Elle hinzuzufügen?“
       
       ## Tintenfische vergessen nicht
       
       Auch bei der „Lebensqualität“ hapert es, das heißt mit zunehmendem Alter
       leidet der Mensch unter Gedächtnisverlust – nicht so die Tintenfische, wie
       Alexandra Schnell von der University of Cambridge mittels „Gedächtnistests“
       herausfand. „Auch greise Tintenfische erinnern sich noch bestens an die
       vergangenen Erfahrungen. Viele der alten Tintenfische schnitten in der
       Testphase sogar besser ab als die jungen.“ Wobei es dabei jedoch bloß darum
       ging, sich zu erinnern, was sie wann und wo gefressen hatten. Die Biologin
       folgerte daraus: „Ihr Gedächtniszentrum ist resistent gegen Degeneration“ –
       im Gegensatz zu unserem „Hippocampus“, wie es auf scinexx.de heißt.
       
       Wie verhält es sich aber nun mit dem Gedächtnis der „einfachsten
       Lebewesen“, die als unsterblich gelten? Gemeint sind die Bakterien. Der
       französische Bakterienforscher François Jacob meint in „Die Maus, die
       Fliege und der Mensch“ (2000): Ein Bakterium „träumt“ davon, „zwei zu
       werden“ – was nicht auf sexuellem Wege geschieht, Bakterien sind
       ungeschlechtlich. Mit ihrer Sexualität, Konjugation genannt, ist bloß die
       Berührung oder Kommunikation zweier Bakterien gemeint, bei der
       Gen-Geschenke übergeben werden. Dies geschieht durch direkten Körperkontakt
       oder mittels Proteinfäden, sogenannten Sexual-Pili, die aus der Distanz von
       einem Individuum zum anderen hinüberwachsen. Die Fortpflanzung hat damit
       nichts zu tun, diese geschieht durch Teilung.
       
       Jacobs Kollege am Collège de France Michel Foucault fragte sich: „So lange
       man es zu tun hat mit einem, relativ gesehen, so einfachen Organismus wie
       einem Bakterium, kann man dann wirklich von einem Individuum sprechen?“
       Präziser gefragt: „Kann man sagen, dass es einen Anfang hat, da es
       schließlich nur die Hälfte einer früheren Zelle ist, die ihrerseits die
       Hälfte einer anderen Zelle war und so weiter bis in die fernste
       Vergangenheit des ältesten Bakteriums der Welt?“ Oder – in die andere
       Zeitrichtung gefragt: „Kann man sagen, dass es stirbt, wenn es sich teilt,
       zwei Bakterien Platz macht, die unabhängig bestrebt sind, sich alsbald
       ihrerseits zu teilen?“
       
       Das Sterben, der Bruch im Gedächtnis, tritt erst mit der Verbindung von
       Sexualität und Fortpflanzung ein. Ich erinnere nur an den Seufzer des
       Dichters Peter Rühmkorf: „Ach, könnte man doch angelesene Eigenschaften
       vererben!“ Bakterien erleiden also wie Tintenfische auch in hohem Alter, es
       gibt sie seit fast vier Milliarden Jahren, keinen Gedächtnisverlust.
       
       27 Sep 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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