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       > In Bremen wird die Erfolgsgeschichte des Varietétheaters „Astoria“
       > gefeiert, als habe es keinen Nationalsozialismus gegeben. Ein Historiker
       > hat die Vergangenheit jetzt reskonstruiert
       
 (IMG) Bild: Mit einem meterhohen Plakat feierte Astoria-Betreiber Emil Fritz an einer seiner Immobilien 1933 die Machtergreifung Hitlers
       
       Von Klaus Wolschner
       
       Vor 77 Jahren, am 6. Oktober 1944, wurde der Bremer Vergnügungsbetrieb
       „Astoria“ in der Katharinenstraße bei einem britischen Bombenangriff bis
       auf die Grundmauern zerstört. Ein Stück Bremer Kulturgeschichte lag in
       Trümmern.
       
       „Wie ein Phönix aus der Asche“ sei das Astoria 1950 dann wieder da gewesen,
       bejubelte der Weser Kurier im Jahre 2015 die Erfolgsgeschichte des Astoria.
       Was der Weser-Kurier, wie die offiziöse Bremer Geschichtsschreibung,
       verschweigt: Voraussetzung des Neuanfangs 1950 war die wundersame Wandlung
       des Betreibers Emil Fritz von einem NSDAP-Mitglied und Nazi-Bespaßer zu
       einem angeblichen „Widerstandskämpfer“.
       
       Die braune Seite der Astoria-Erfolgsgeschichte hat jetzt der Bremer
       Historiker Arndt Frommann aus den Akten des Staatsarchivs rekonstruiert.
       Auch in den Wikipedia-Einträgen zu Emil Fritz und zum „Astoria“ gab es
       übrigens keinen Nationalsozialismus – bis zum Erscheinen der Arbeit von
       Arndt Frommann.
       
       Astoria-Betreiber Fritz war der Sohn eines Hutmachers. Von 1903 an betrieb
       er in Bremen eine Hafenkneipe – das „Café Fritz“, 1908 eröffnete er in der
       Katharinenpassage in der Nähe zum Bremer Marktplatz ein Restaurant mit
       Varieté-Konzession unter dem Namen „Astoria“. In dem Varieté traten alle
       Showgrößen auf, die Rang und Namen hatten – bis am 6. Oktober 1944 ein
       britischer Luftangriff das Astoria vollständig zerstörte.
       
       Schon im Jahr 1932 konnte sich die Nazi-Partei über eine großzügige Spende
       von Fritz freuen. Öffentlich sichtbar wurde diese Anbiederung im August
       1933 – Fritz ließ sein Café Atlantic mit einem meterhohen Hitlerportrait
       schmücken, das nachts angestrahlt wurde. Die Bremer Nachrichten zeigten die
       Nazi-Bejubelung in ihrer Ausgabe vom folgenden Tag mit einem großformatigen
       Foto.
       
       1937 wurde Fritz offiziell Parteimitglied. Sein Betrieb wurde als
       „nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet. Den
       Entnazifizierunsgstellen lagen Zeugenaussagen vor, nach denen Fritz „vom
       Beginn des Dritten Reiches an bis zum Schluss freundschaftliche Beziehungen
       zu führenden NS-Personen gehabt“ habe: „Mit den meisten dieser Nazis stand
       er auf dem Duzfuße und lud sie oft zur Jagd ein.“
       
       Es hatte Skatabende des Astoria-Betreibers mit NS-Oberbürgermeister
       Heinrich Böhmcker gegeben, es gibt ein Foto, das den NS-Bürgermeister bei
       der privaten Hochzeitsfeier im Oktober 1941 zur Rechten der Braut von Emil
       Fritz als Ehrengast zeigt. Und als die Bremer Bevölkerung von den
       Bombenangriffen terrorisiert wurde, verbrachte Böhmcker unbeschwerte Abende
       im Jagdhaus des Astoria-Chefs in Sottrum, rechtzeitig beim ersten Alarm in
       Sicherheit gebracht.
       
       Und so konnte Fritz nach dem „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus
       und Militarismus“ von 1946 als ehemaliges NSDAP-Mitglied den Betrieb nicht
       wieder aufnehmen – es sei denn, er würde nachweisen, dass er „nach dem Maß
       seiner Kräfte aktiv Widerstand gegen die nationalsozialistische
       Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hatte.“
       
       Fritz legte 1946 Revision gegen seine Einstufung als „belastet“ ein und
       fabulierte einige Geschichten, nach denen er „norddeutscher
       Verbindungsmann“ einer „illegalen Abwehrbewegung“ gewesen sei, die von 1933
       bis 1945 zahlreiche jüdische Artisten vor dem Zugriff der Gestapo gerettet
       und ihnen zum illegalen Grenzübertritten verholfen hätten. Als Zeugen dafür
       waren fünf Männer benannt, die allerdings nicht befragt werden konnten,
       weil sie im KZ ermordet worden waren. Einmal habe er den
       NSDAP-Bürgermeister, ein anderes Mal acht SS-Leute aus seinem Beitrieb
       herausgeworfen, erzählte Fritz.
       
       Wie eine zweite Wirklichkeit liest sich, was Fritz den Entnazifizierern
       über seine NS-Zeit erzählte: „Als gläubiger Katholik und auch aus innerer
       politischer Feindschaft (hatte ich) keinerlei Bindungen zur Partei.“
       Spenden an die Partei? Das seien „kleine Beträge“ gewesen, „an die ich mich
       nicht erinnere.“ Ausschmückung seines Betriebes mit dem Hitler-Portrait?
       „Ich habe damit überhaupt nichts zu tun gehabt.“
       
       Und gleichzeitig schrieb Fritz im Mai 1946 einen rührseligen Brief an
       Bürgermeister Wilhelm Kaisen: „Trotz meines Alters, der Zerstörung meiner
       Betriebe und der schweren Schicksalsschläge, die mich betroffen haben, habe
       ich den Mut, meine Betriebe erneut aufzubauen, um den allgemeinen Wünschen
       der Bevölkerung, die täglich an mich herangetragen werden, nachzukommen (…)
       und um Bremen als neuem Einfuhrhafen Deutschlands und als Konkurrenz zu
       Hamburg auch auf dem Gebiete des Vergnügungslebens wieder an erste Stelle
       zu bringen.“
       
       Die Konkurrenz zu Hamburg, das war ein Argument, das im Senat offenbar
       verfing, schreibt der Historiker Frommann. In den Akten des Senats
       verschwand eine Grundschuld von 600.000 Reichsmark auf einem
       Fritz-Trümmergrundstück, so dass der Senat das unbelastete Grundstück zu
       einem Preis, der 25 Prozent über dem offiziell vom Bausenator
       festgestellten Verkehrswert lag, von Fritz erwerben konnte. Damit
       spendierte der Senat de facto dem Geschäftsmann die Mittel für den
       Neuanfang.
       
       Das Motiv, das hinter der Entlastung von Fritz stand, war klar: Er
       versprach „Bremen als neuem Einfuhrhafen Deutschlands und als Konkurrenz zu
       Hamburg auch auf dem Gebiete des Vergnügungslebens wieder an erste Stelle
       zu bringen.“
       
       Der Entnazifizierungsausschuss hatte 1946 das Märchen vom Widerstand
       offenbar nicht geglaubt, aber die damals übliche Begründung formuliert,
       nach der es im Grunde zu viel verlangt wäre, von irgend jemandem Widerstand
       zu erwarten: „Wenn allenthalben zur Mitwirkung am Wiederaufbau aufgerufen
       wird, (wäre es) inkonsequent und unbillig, einem Manne die Unterstützung zu
       versagen, der noch im Alter von 68 Jahren den Willen und den Mut aufbringt,
       nochmals von vorne anzufangen und seine total zerstörten Betriebe, die dem
       Ausspann und der Erholung der Menschen gedient haben und hoffentlich wieder
       dienen können, neu erstehen zu lassen.“ Der Entnazifizierungsausschuss
       hielt es „nicht für vertretbar, einen Mann nur deshalb als
       beschäftigungsunwürdig zu bezeichnen, weil die Willkürherrschaft der
       vergangenen Zeit auf keinem Gebiet einen Widerstand duldete.“
       
       6 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Wolschner
       
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