# taz.de -- Kiffen als wichtiger Wirtschaftsfaktor: Wo Cannabis systemrelevant ist
       
       > In etlichen US-Staaten ist mindestens medizinisches Cannabis legal
       > erhältlich. Das ist positiv für die öffentliche Hand. Etwa in Oregon.
       
 (IMG) Bild: Der Anbau verändert auch die Landschaft: Hanfpflanzen in Oregon
       
       La Pine taz | Der Lederladen, der Friseur und alle möglichen anderen
       Geschäfte haben in der Pandemie aufgegeben. Aber der Verkauf von
       [1][Cannabis] boomt. In der Einkaufszone von La Pine hat im Januar das
       dritte Cannabis-Geschäft aufgemacht. Am Rand des 2.000-EinwohnerInnen-Ortes
       im Südosten von Oregon an Highway Nr. 97 befindet sich das vierte
       Cannabis-Geschäft. Das fünfte wird in diesem Herbst eröffnen.
       
       „Wir sind so unverzichtbar wie Apotheken“, sagt Dana. Sie war zwanzig Jahre
       lang Bardame, „bis meine Füße schlapp gemacht haben“. Jetzt verkauft sie in
       einer Zweigstelle von „Green Knottz“ – in einem Laden zwischen
       Pizza-Schnellrestaurant und Nagelstudio – Cannabis. Das Interieur erinnert
       an einen Juwelierladen. In Vitrinen stehen Hunderte von Ölen, Harzen,
       Pasten, Gummibärchen, Pillen und Gebäcksorten. In Schubladen liegen fertig
       gedrehte Joints. Auf Regalen sind große Gläser mit 26 verschiedenen Blüten
       aneinandergereiht. Kunden dürfen daran riechen, bevor sie sich für einen
       Kauf entscheiden. Alle Produkte stammen aus der Cannabisproduktion von
       Oregon.
       
       Über einen Bildschirm in dem Geschäft laufen Informationen über mögliche
       Anwendungen. Sie reichen von Schmerzbekämpfung über Unterstützung bei der
       Konzentration und erotische Stimulation bis hin zu Hilfen zum Herumalbern
       auf der Couch.
       
       2020 war das bislang beste Geschäftsjahr für die noch junge legale
       Cannabisbranche in Oregon. Der Bundesstaat an der Pazifikküste hatte
       bereits 1998 den Verkauf von ärztlich verschriebenem [2][medizinischen
       Cannabis] zugelassen. 2016 preschte Oregon erneut vor und legalisierte als
       erster Bundesstaat in den USA den Verkauf von Cannabis für den
       Freizeitgebrauch. Zusätzlich legalisierte er den Anbau von vier Pflanzen
       pro Haushalt für den Eigenbedarf. An den Highways werben jetzt große
       Plakate für Cannabisläden.
       
       ## Nur in vier US-Staaten ist Cannabis illegal
       
       Das Thema Cannabis-Legalisierung liegt US-weit im Trend. 19 Bundesstaaten
       haben Cannabis legalisiert. In fast allen anderen Staaten ist zumindest
       medizinisches Cannabis zugelassen. Nur in vier Staaten ist Cannabis
       komplett illegal. Aber auch dort machen Legalize-it-AktivistInnen immer
       neue Anläufe, um ihrerseits volle Cannabisfreiheiten zu bekommen.
       
       Unterdessen ist der Trendsetter Oregon bereits zur nächsten Droge
       vorgeprescht. Ab 2023 dürfen in Oregon Psilocybin-Pilze in eigens für den
       Zweck geschaffenen Läden verkauft werden. Wie in den Anfängen der
       Legalisierung von Cannabis wird es auch die Pilze zunächst nur für
       medizinische beziehungsweise therapeutische Zwecke geben.
       
       Im Pandemiejahr ordnete der Bundesstaat Oregon die Schließung von
       zahlreichen Unternehmen und Geschäften sowie von allen Kirchen an, um die
       Ansteckungsgefahr zu senken. Aber der legale Cannabisverkauf durfte
       weitergehen – der Bundesstaat hatte Cannabis- und Alkoholgeschäfte zu
       „unverzichtbaren Betrieben“ erklärt. Die Zahl der Cannabisläden stieg in
       Oregon während der Pandemie auf mehr als 700. Gleichzeitig erweiterten die
       Cannabiszüchter ihre Anbauflächen.
       
       Nachdem bei den Waldbränden von 2020 im „Bananengürtel“ im Südwesten von
       Oregon auch zahlreiche Cannabisfelder verbrannt waren, verlegten viele
       Züchter ihren Anbau in Treibhäuser, wo der Rauch von Waldbränden den
       Pflanzen weniger anhaben kann. Der Anbau im Treibhaus verschlingt enorme
       Mengen Strom und Wasser. Er sorgt zugleich für mehr Ernten im Jahr.
       Angesichts der Massenproduktion stürzten die Preise ab.
       
       ## Der Staat verdient an Joints mit
       
       Alicia Williamson, Cannabisbäuerin der frühen Jahre, erinnert sich an
       Zeiten, in denen sie mit einer Pflanze bis zu 6.000 Dollar verdienen
       konnte. „Inzwischen“, sagt sie, „sind es nur noch 300 Dollar“. Williamson
       ist Cannabisaktivistin der ersten Stunde. Sie hat Lobbying für die
       Legalisierung betrieben, war das Ziel einer FBI-Razzia und hat ein Lehrbuch
       für den Anbau von Marihuana veröffentlicht. Heute baut sie auf ihrer
       kleinen Farm im Zentrum von Oregon nur noch für den Eigenbedarf an. Sie
       befindet: „Wir sind von einem grünen Rausch zu einem Gierrausch gekommen.“
       
       Der Bundesstaat und die Gemeinden verdienen an jedem Joint mit, der in
       einem Cannabisladen verkauft wird. Nur das ärztlich verschriebene Cannabis
       ist steuerfrei. Bei dem Vernügungscannabis gehen 17 Prozent der Einnahmen
       in die Kassen von Oregon. Bereits im Finanzjahr 2020 stiegen die
       Cannabis-Steuereinnahmen des Bundesstaates auf rund 130 Millionen Dollar,
       im Finanzjahr 2021 kletterten die Steuereinnahmen auf 180 Millionen.
       Zusätzlich zu den 17 Prozent für den Bundesstaat gehen weitere 3 Prozent
       Steuern an die Gemeinden. „Wir besorgen das Geld für die Reparaturen von
       Straßen, für die Polizei, für das Schulprogramm und die Parks“, sagt Eddie,
       der Manager des knapp 100 Meter entfernten „House of Hash“, in der
       Einkaufszone von La Pine.
       
       Als Kate Brown, die Demokratin an der Spitze von Oregon, das Gesetz zur
       Legalisierung von Freizeitcannabis unterschrieb, opponierten die
       LokalpolitikerInnen im konservativen La Pine zunächst dagegen. Es war eine
       politische Entscheidung. Aber als in umliegenden Gemeinden deutlich wurde,
       wie hoch die Steuereinnahmen aus dem Cannabis sind, gab die Gemeinde ihren
       Widerstand auf. Inzwischen haben sich der Cannabiskauf und -gebrauch auch
       in La Pine normalisiert. „Hier gibt es in jeder Familie jemanden, der
       Cannabis benutzt“, sagt Verkäuferin Dana. Ihre Kundschaft setzt sich aus
       Alten und Jungen, Männern und Frauen, Konservativen und Linken zusammen.
       
       ## Alkoholverkauf bleibt stabil
       
       In der Einkaufszone von La Pine sagt Verkäuferin Dana über das
       Cannabisgeschäft in der [3][Pandemie]: „Am Anfang war es ein Stück
       Eigenmedikation. Die Leute mussten plötzlich zu Hause bleiben, waren allein
       und wussten nicht, wie es weitergeht.“ In dem benachbarten „Liquor Store“
       machte Verkäuferin Justine ähnliche Erfahrungen. Auch für sie war das
       zurückliegende Jahr ein besonders gutes. Sie verkauft nur hochprozentige
       Getränke. Die Cannabislegalisierung hat den Alkoholumsatz nicht verringert.
       „Manche meiner Kunden gehen auch in die Cannabisläden“, sagt Justine.
       Freitags ist ihr bester Tag. Ihre Einnahmen stiegen auf über 10.000 Dollar.
       
       Cannabis- und Alkoholgeschäfte in Oregon werden von derselben Behörde
       überwacht. Nach der Legalisierung wurde sie in „Oregon Liquor and Cannabis
       Commission“ umbenannt. Anders als bei Cannabis sind die Alkoholpreise
       staatlich fixiert, und die Zahl der Alkoholläden ist abhängig von der
       Einwohnerzahl eines Ortes. Während es in La Pine nur einen Liquor-Store
       gibt, konkurrieren die Cannabisläden gegeneinander. Anders ist auch, dass
       die Cannabisläden Schaufenster aus Milchglas haben und in ihrem Inneren
       Kameras installiert sein müssen.
       
       Zu den Pandemieregeln in Oregon gehört es, dass in geschlossenen
       Geschäftsräumen jeder eine Maske tragen muss. In dem Liquor-Store halten
       sich kaum KundInnen an die Regel. Die CannabisverkäuferInnen hingegen sind
       streng. Wenn sie bei Gesetzeswidrigkeiten erwischt werden, können sie ihre
       Zulassung verlieren.
       
       ## Keine Konten für Cannabisgeld
       
       „Wir rufen gar nicht erst die Polizei“, steht drohend über der Eingangstüre
       zu dem „Smoking-Toy“-Geschäft. Daneben prangt das Bild von einer Pistole.
       Inhaber Josh Hentsch sagt über sich selbst: „Ich kiffe viel“ und begründet
       seinen Cannabiskonsum mit einem Kopfschuss, den er mit 16 erlitten hatte,
       und mit den daraus resultierenden chronischen Schmerzen. Hentschs Geschäft
       grenzt direkt an einen Cannabisladen in der Einkaufszone. Sein Sortiment:
       Pfeifen und andere Accessoires für KifferInnen, „Detox“-Getränke, die Reste
       von THC im Urin vor Drogentests verdecken, und Sexspielzeuge, die er in
       zwei getrennten Räumen ausstellt. Drogen verkauft er nicht.
       
       Im Gegensatz zu den VerkäuferInnen der Cannabisgeschäfte lässt er seinen
       Gedanken freien Lauf. Er muss nicht Tausende Dollars pro Jahr für eine
       Geschäftslizenz bezahlen, wird von keiner Kamera überwacht, trägt keine
       Gesichtsmaske und sagt, dass er „selbstverständlich“ nicht geimpft sei.
       
       Auf Bundesebene ist der Verkauf von Cannabis in den USA immer noch illegal.
       Deswegen sitzen weiterhin Menschen – auch aus Oregon – wegen
       Cannabisgeschäften im Gefängnis. Und deswegen akzeptieren die meisten
       Banken in den USA – auch in Oregon – weiterhin keine Konten, auf die Geld
       aus Cannabisgeschäften fließt.
       
       Für Hentsch sind das Übergangsprobleme. Er glaubt, dass irgendwann auch
       jene Bundesstaaten folgen werden, in denen Cannabis bislang noch illegal
       ist. Und dass spätestens Mitte des Jahrhunderts Cannabis weltweit legal
       sein wird. „Sobald das passiert“, so seine Prognose, „werden wir
       Weltmeister in dem Geschäft.“
       
       Sein jüngerer Angestellter widerspricht. Er ist davon überzeugt, dass
       dieser Wendepunkt schon Ende dieses Jahrzehnts kommen wird.
       
       30 Sep 2021
       
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