# taz.de -- Villa mit Hintertür
       
       > Im Verein ist Kunst am schönsten (2): Zu Recht zählen die Kunstvereine
       > seit 2021 zum immateriellen Weltkulturerbe: Ihre Erkundungs- und
       > Vermittlungsarbeit macht Gegenwartskunst für jede:n erfahrbar – noch
       > bevor sie im Museum einstaubt. Und jeder hat seine ganz eigene
       > Geschichte: Die taz erkundet ihren Beitrag zum norddeutschen Kulturleben
       > in Porträts. Diesmal: Braunschweig
       
 (IMG) Bild: Suche nach Lebensformen im Einklang von Mensch, Natur und Technik:Installation von Rory Pilgrim
       
       Von Bettina Maria Brosowsky
       
       Der 1832 gegründete Kunstverein Braunschweig zählt zu den ältesten in
       Deutschland. Seine Sammlung ging später ans Städtische Museum. Lange
       flanierend organisiert, verfügt er erst ab 1946, als er die klassizistische
       Villa Salve Hospes bezog, über eigene Räume. Mit der Remise kam dann 1996
       ein Raum für künstlerische und kuratorische Experimente hinzu.
       
       Seit November 2014 leitet Jule Hillgärtner den Verein. Ihre Vorgängerinnen,
       angefangen mit Karola Kraus, hatten in den vergangenen 20 Jahren eine
       Transformation des Kunstvereins in Gang gebracht: von einem kultivierten
       Hort der klassischen Moderne hin zum Ort für die internationale
       Gegenwartskunst. Hillgärtner nun verstetigt ein erweitertes Spektrum
       künstlerischer Ausdrucksformen wie Video, Fotografie oder Installation,
       holt aber auch wieder ältere Positionen ins Haus. So etwa im Jahr 2017 die
       Bildhauerin Inge Mahn, eine Schülerin Joseph Beuys’, die sich die Räume mit
       der eine Generation jüngeren, multimedialen Konzeptkünstlerin Nora Schultz
       teilte.
       
       Das auskömmliche Flächenangebot des Hauses auf 15 Räumen lege Dialog- oder
       Gruppenausstellungen nahe, sagt Hillgärtner. Oder ein Rechercheprojekt wie
       – im vergangenen Jahr – „The Faculty of Sensing“: Reflexionen durch 16
       internationale Künstler:innen zu dem vergessenen Schwarzen Philosophen
       Anton Wilhelm Amo (geboren um 1700, gestorben nach 1753). Wahrscheinlich
       von Niederländern als Kind in Guinea gefangen und verschleppt, war er an
       den braunschweigischen Herzog Anton Ulrich verschenkt worden – als
       „Kammermohr“. Der Herzog aber ließ ihm eine umfassende schulische und
       universitäre Bildung zuteil werden.
       
       Der Impuls sowie die Expertise zeitgenössischer Kunst Afrikas kamen von
       Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, ab 2023 Intendant des Berliner
       Hauses der Kulturen der Welt. Das gemeinsame Projekt trug auch zum
       Beschluss des Berliner Bezirks Mitte bei, die frühere Mohren- in
       Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen.
       
       Das Corona-Jahr 2020 sei nicht nur resonanzarm gewesen, so Hillgärtner,
       sondern das härteste Jahr überhaupt: Inhalte wurden digital aufbereitet,
       Sponsoren mussten bei Laune gehalten, Termine neu vereinbart, Sondermittel
       beantragt werden. So schätzt sie die Kontinuitätsförderung durch die Stadt
       Braunschweig: Sie ermögliche neben ihrer eigenen vollen Stelle zwei weitere
       kuratorisch organisatorische, eine administrative in Teilzeit sowie
       Honorarkräfte.
       
       Seit Jahren steht der Braunschweiger Kunstverein auf Platz zwei der
       ministeriellen Förderhöhe. Allerdings ist die Situation in Niedersachsen
       nicht unproblematisch: Es gibt weit mehr Kunstvereine, als die 25
       jährlichen Förderungen suggerieren. Sie sind wichtige Orte der
       Erstbegegnung mit zeitgenössischer Kunst in einem Flächenland, das mit dem
       Sprengel Museum in Hannover und dem Kunstmuseum Wolfsburg lediglich zwei
       derartige Häuser zu bieten hat. Deshalb initiierte Hillgärtner 2020 mit
       ihren Kolleginnen Meike Behm aus Lingen und Kathleen Rahn aus Hannover das
       [1][Netzwerk niedersächsischer Kunstvereine]: Es will auf den
       gesellschaftlichen Wert dieser vielen dezentralen „Labore“ und „Sehschulen“
       aufmerksam machen.
       
       Die Zahl der Mitglieder im Kunstverein schwankt um die 400, Neuanmeldungen
       gibt es immer, wenn die Jahresgaben der ausstellenden Künstler:innen auf
       den Markt kommen. Eine Auswahl davon zeigt Hillgärtner momentan im
       Impfzentrum in der Braunschweiger Stadthalle – 1.600 Besucher:innen
       täglich. Als enttäuschend empfindet sie das dürftige Interesse unter
       Studierenden, besonders denen der örtlichen Kunsthochschule: Der Besuch des
       Kunstvereins scheint nicht mehr selbstverständlich, wird von den Lehrenden
       auch nicht nahegebracht.
       
       Erfreulich hingegen ist die Resonanz auf das derzeit nachgeholte
       Winterprogramm: 40 Filme und Medieninstallationen des indigenen „Karrabing
       Film Collective“ aus Nordaustralien sowie des britischen Künstlers Rory
       Pilgrim. Sie suchen nach Lebensformen im Einklang von Mensch, Natur und
       Technik. Die Bilderflut ist nach den norddeutschen Gezeiten
       choreographiert, das Ticket berechtigt zum wiederkehrenden Besuch. In der
       Remise befragt die US-amerikanische Künstlerin Carolyn Lazard den
       kapitalistischen Fetisch körperlicher Gesundheit und uneingeschränkter
       Leistungsfähigkeit. Dafür hat sie das Gebäude durch eine vielfältig
       chiffrierte, barrierefreie „Hintertür“ zugänglich gemacht.
       
       Karrabing Film Collective und Rory Pilgrim: „Where the Tide Takes Us“;
       Carolyn Lazard: „Hintertür“: bis 25. Juli, Kunstverein Braunschweig.
       https://kunstvereinbraunschweig.de
       
       23 Jul 2021
       
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 (DIR) [1] https://braunschweig-spiegel.de/netzwerk-niedersaechsischer-kunstvereine-gegru%CC%88ndet/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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