# taz.de -- Schreckensszenarien in Belarus: Der Eiserne Vorhang fällt
       
       > Jetzt, wo der Flugverkehr gestoppt ist, wird die Angst der Menschen noch
       > größer. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 89.
       
 (IMG) Bild: Flugzeuge der belarussischen Fluggesellschaft Belavia dürfen EU-Länder nicht mehr anfliegen
       
       In der letzten Zeit werden die Nachrichten immer schlimmer: Die besten
       Medien des Landes wurden geschlossen, einige von deren
       Mitarbeiter*innen festgenommen. So manche*r hat es geschafft, in nur
       einem Tag das Land zu verlassen, Konten wurden gesperrt (rund 300 Personen
       bekommen keinen Lohn, kein Urlaubs- oder Mutterschaftsgeld mehr). Ein
       Menschenrechtler ist im Gefängnis zu Tode gekommen, [1][der ehemalige
       Chefredakteur des Kanals Nexta und seine Freundin wurden festgenommen]. Das
       I-Tüpfelchen war die Nachricht, dass wir von Belarus aus viele Länder nicht
       mehr anfliegen können.
       
       „Jetzt haben wir auch noch einen sauberen Himmel über unseren Köpfen“, wird
       auf Facebook gelästert. [2][Lukaschenko] hat nach den Wahlen wiederholt
       einen ähnlichen Satz geäußert (eine Art „Nachkriegssatz“).
       
       „Seien wir mal ehrlich: Wir haben immer gewusst, dass Billigflieger Belavia
       (staatliche belarussische Fluggesellschaft, Anm. d. Red.) töten werden“,
       scherzt der Gründer und Chef von BY-help (Stiftung, die repressierten
       Belaruss*innen hilt, Anm. d. Red.) auf seiner Seite. Nur wusste
       niemand, dass das ein Flieger schaffen würde.
       
       Der Himmel wurde immer mit Freiheit assoziiert. Und was haben wir jetzt? Im
       denkenden Teil der belarussischen Gesellschaft breitet sich Apathie aus.
       Viele warteten auf den Sommer – darauf, in den Urlaub zu fahren, um sich
       zumindest ein wenig auszuruhen und einen Tapetenwechsel zu haben.
       
       Mich beunruhigt noch eine Tatsache: Wenn wir unmittelbar bedroht sind,
       können wir nicht einfach ein Ticket für den nächstbesten Flug kaufen, um
       unser geliebtes Land zu verlassen, so wie andere das gemacht haben. Solche
       Geschichten gibt es viele. Heute fliegen schon den ganzen Tag Flugzeuge
       über Minsk, mit einer Staatsflagge am Heck. Wohin die Reise geht, ist
       unklar.
       
       „Ich weiß nicht, wer ich bin: ein Flüchtling, ein Downshifter oder ein
       Expat“, schreibt der ehemalige Mitarbeiter des Onlineportals tut.by Vadim
       auf seiner Seite. „Wenn man in einer halben Stunde packen muss, um mit
       einem Koffer und einem One-Way-Ticket den nächsten Flug zu nehmen, ist man
       ein Flüchtling.
       
       Wenn Du ein Jobangebot von einem der größten Technikberatungsfirmen in der
       EU hattest, aber abgelehnt hast und dort geblieben bist, wohin dein Flug
       ging – nach Odessa – dann eher ein Downshifter. Wenn Du am Meer lebst in
       einem Haus aus dem 19.Jahrhundert, in einer großen Wohnung mit 4 Meter
       hohen Räumen und Kamin, wo einst der Drehbuchautor von „Elimination“
       arbeitete und Dir noch etwas Zeit zum Leben bleibt, wahrscheinlich ein
       Expat.“
       
       „Ich bin schon seit drei Monaten weg, von zu Hause, Verwandten und
       Freunden. Mit einer kleinen Tochter und einer schwangeren Frau. Sie hat
       gemäß den Gesetzen des,Sozialstaates' keinen Anspruch auf Zahlungen für das
       Kind, da sie nicht mehr in Belarus ist. Danke, dass BySol (unterstützt
       Familien von politischen Gefangenen in Belarus, Anm. d. Red.) und ByPol
       (Organisation von Ex-Geheimdienstlern, die sich gegen Lukaschenko stellen,
       Anm. d. Red.) vor dem potentiellen Interesse der Bestrafer an mir gewarnt
       haben. Und der Grund ist lächerlich. An meiner Stelle könnte wahrscheinlich
       jeder sein, der am falschen Ort war.“
       
       „Warum sollte ich weggehen?“, kommentiert die Bloggerin Maria die Frage,
       die den Belaruss*innen jetzt oft gestellt wird. „Ich habe so lange
       versucht, mir eine eigene Wohnung zu kaufen und mir mein Leben
       einzurichten, von dem ich geträumt habe, alle meine Verwandten sind hier.“
       
       Im Staatsfernsehen von Belarus werden die Leute namentlich beleidigt. Dort
       wird darüber gesprochen, wer als nächstes „Repressionen zum Opfer“ fällt.
       
       Ich habe mir auch russisches Fernsehen angesehen und bin von der neuen
       Rhetorik schockiert: „Das sind unsere neun Millionen Menschen (ein
       russischer Journalist über die Belaruss*innen), das sind unsere sechs
       Provinzen und wir werden sie Lukaschenko bald wegnehmen.“
       
       „Ich fühle mich irgendwie unwohl“, schreibt der Kollege Sascha aus Kiew.
       „Gott bewahre, dass sie Euch mit Russland vereinen. In Anbetracht unseres
       Donbass und der Krim weiß ich nicht, was zu erwarten ist.“
       
       Während die belarussischen Behörden Repressionen gegen das eigene Volk
       durchführen, sieht jemand dabei zu. Angst liegt in der Luft.
       
       Aus dem Russischen von Barbara Oertel
       
       9 Jun 2021
       
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