# taz.de -- Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Angebot an Hanna
       
       > Dauerstellen für alle sind nicht die Antwort auf prekäre
       > Arbeitsbedingungen an Hochschulen. Besser wäre ein Lebenszeitangebot mit
       > Haken.
       
 (IMG) Bild: Schlechte Aussichten für die Bezahlung der Angestellten an Universitäten
       
       Die Bewegung [1][„Ich bin Hanna“] macht darauf aufmerksam: Junge
       WissenschaftlerInnen in Deutschland haben häufig prekäre Arbeitsbedingungen
       und schlechte Perspektiven. Zu diesem Schaden kam noch der Spott des
       Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). In seinem [2][Video
       zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz] erklärte es der fiktiven Hanna, sie
       müsse demnächst mal Platz machen, damit „nicht eine Generation alle Stellen
       verstopfe“.
       
       Jetzt lobt ein Staatssekretär im Ton eines Predigers die Hannas für „den
       unschätzbaren Beitrag für unsere Gesellschaft“ und rät ihnen allen Ernstes,
       sich doch bei den Hochschulen um bessere Arbeitsbedingungen zu bemühen. Wer
       die Situation an den Unis kennt, weiß, dass dieser Vorschlag an
       Unverschämtheit grenzt.
       
       Natürlich steckt dahinter jenseits der Stilfragen ein strukturelles
       Problem: das Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage. [3][Ralf Pauli]
       setzt auf pure Nachfragesteigerung und rät in der taz vom 17. Juni, allen
       qualifizierten NachwuchsforscherInnen eine Dauerstelle anzubieten. Und
       dann? Nächstes Jahr das Ganze noch mal, und dann immer so weiter?
       
       Man kann sich nur schwer vorstellen, dass eine Gesellschaft eine solche
       Privilegierung vor allem im Vergleich zu anderen, ebenfalls oft prekären
       wie sozial nützlichen und persönlich sehr identifikatorischen Tätigkeiten
       wie Journalismus oder Künstlertum akzeptieren würde. Am gleichen Tag
       vertritt [4][Gustav Seibt] in der Süddeutschen Zeitung das gegenteilige
       Prinzip der Angebotsbeschränkung. Es müsse in Deutschland viel weniger
       promoviert werden.
       
       Das wiederum ist aus zwei Gründen keine gute Lösung. Erstens wird in vielen
       Fächern die Promotion von ArbeitgeberInnen außerhalb der Hochschule als
       weitere Qualifikation geschätzt und monetär durchaus vergolten. Zweitens
       machen in der Praxis heute vorwiegend Promovierende die Forschung. Wer
       diese Gruppe ernsthaft beschränken möchte, muss erklären, wie solche
       Projekte in Zukunft durchgeführt werden sollen.
       
       ## Neue dauerhafte Halbtagsstellen
       
       Im Prinzip haben wir ein Trilemma: Junge WissenschaftlerInnen brauchen eine
       langfristige Perspektive, und sie wollen eine ihrer Qualifikation
       angemessene Bezahlung. Hochschulen wie Forschungseinrichtungen bestehen
       zugleich auf Flexibilität und personeller Erneuerung. Alles zusammen wird
       nicht gehen. Ich schlage deshalb vor, dass wir einen Neustart versuchen,
       bei dem alle Beteiligten etwas von ihren Positionen abrücken müssen.
       
       Und der noch ein anderes Problem mit anpackt, und zwar die zunehmende
       Divergenz zwischen den großen, forschungsstarken Universitäten und den
       kleineren Einrichtungen. Der Ansatz: Wir sollten für Promovierte eine große
       Anzahl neuer Dauerstellen an Hochschulen schaffen, im fünfstelligen
       Bereich. Mit Aufgaben in Lehre und Forschung, vielleicht je nach Fach in
       verschiedenen Aufteilungen. Dieses Lebenszeitangebot hätte aber zwei Haken.
       
       Der eine: Es sollten nur Halbtagsstellen sein, aber dafür ordentlich und
       der Qualifikationsstufe entsprechend dotiert. Weiter sollten die
       Einrichtungen zusätzlich zu den Stellen ein festes Aufstockungsbudget
       bekommen. So können Hochschulen das Gehalt etwa für Extralehre proportional
       anheben, genauso wie für Engagement in der Selbstverwaltung, im
       Wissenschaftsmanagement oder bei hausinternen Forschungsprojekten.
       
       Nur hätte man kein Anrecht auf lebenslange Aufstockung, sondern müsste
       durch Leistung nachweisen, hierfür, und zumindest anfänglich nur auf Zeit,
       infrage zu kommen. Dieses Aufstockungsbudget wäre, neben der insgesamt
       verbesserten Personalausstattung, das Angebot an die Hochschulen. Was man
       mit der anderen Hälfte seiner Zeit macht, ginge den Arbeitgeber nichts an.
       
       Man könnte gegen Entgelt weiter in Drittmittelprojekten im eigenen Hause
       oder anderswo mitarbeiten, vielleicht doch noch eine Habilitation oder ein
       zweites Buch beginnen, ein Start-up gründen. Oder sich auch einfach nur dem
       Gemüseanbau und einem entspannt-bescheidenen, aber abgesicherten Leben
       widmen. Und wem das auf Dauer zu wenig ist, der oder die schaut sich wohl
       bald doch nach etwas anderem um.
       
       ## Die besten Spielerinnen für die unterste Liga
       
       Der zweite Haken beinhaltet den Versuch, über die jungen
       WissenschaftlerInnen die ungute Neigung zur Kartellbildung an den deutschen
       Universitäten aufzubrechen. Hier nehme ich eine Anleihe bei amerikanischen
       Sportligen, die vielfach das Prinzip des [5][„Rookie Draft“] kennen. Um zu
       verhindern, dass sich immer die gleichen Teams die besten Nachwuchstalente
       schnappen – der FC Bayern lässt grüßen –, dürfen die in einer Saison am
       unteren Ende der Liga befindlichen Vereine zuerst die besten SpielerInnen
       verpflichten.
       
       Und die müssen akzeptieren, aber nur für eine bestimmte Zeit. Auch wenn es
       nicht einfach ist, solche Ligen je Fach in der Wissenschaft sicher
       herzustellen, wird es doch dauernd etwa via des Erfolgs bei der
       Drittmitteleinwerbung gemacht. Der Vorschlag ist also: Es wird eine
       jährliche Liste Promovierter mit Interesse an solchen Dauerstellen
       erstellt, und die Hochschulen mit den aktuell bescheidensten Werten in der
       Drittmitteleinwerbung dürfen zuerst auswählen, wen der Promovierten sie
       einstellen wollen.
       
       Lehnt die Person ab, weil Passau oder Flensburg nicht gerade das hippe
       Berlin sind, wird sie für drei Jahre auf der Liste gesperrt. Akzeptiert sie
       aber, darf sie nach ebenfalls drei Jahren auch auf die gleiche Position
       anderswohin wechseln. Und vorzeitige Ausstiege durch definierte Aufstiege
       wie Juniorprofessur, Nachwuchsgruppenleitung oder Habilitationsstipendium
       sollten natürlich ebenfalls möglich sein.
       
       Ein guter Test ist: Hätte ich ein solches Angebot damals nach meiner
       Promotion und zunächst auch ohne Perspektive, wie es weitergeht, begrüßt
       und angenommen? Die Antwort ist: Ja.
       
       24 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Arbeitsbedingungen-in-der-Wissenschaft/!5776997
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=PIq5GlY4h4E&t=9s
 (DIR) [3] /Arbeitsbedingungen-an-Hochschulen/!5776892
 (DIR) [4] https://www.sueddeutsche.de/kultur/universitaet-mittelbau-zeitvertrag-prekariat-promotion-habilitation-arbeitslosigkeit-1.5323946?reduced=true
 (DIR) [5] https://hashtagbasketball.com/nba-rookie-rankings
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerd Grözinger
       
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