# taz.de -- Endlich wieder Kunst: Das Luftholen tut so gut
       
       > Tapfer tun wir weiter so, als hielten Frühling und Post-Corona-Ära
       > Einzug. Wir nutzen die Möglichkeiten, die sich bieten. Zumindest für
       > einen Moment.
       
 (IMG) Bild: Endlich wieder Kunst: Lichtinstallation im Staatlichen Museum in Schwerin am Dienstag
       
       Die gute Nachricht: Es hat geregnet. Nicht so sintflutartig und von
       Orkanböen begleitet wie von den derzeit auf überzogene Spektakelwerte
       abzielenden Wettervorhersagen versprochen – wenn schon nicht Rock am Ring,
       dann wenigstens Supersturm –, aber doch so, dass die obersten 30 Zentimeter
       Boden ein wenig feucht geworden sein dürften. Also los, sprießet, ihr
       Osterglocken, schöpft neuen Mut, ihr Straßenbäume!
       
       Auch wenn es für Mitte März unterdurchschnittlich kalt ist, wie der
       Wettermann im Fernsehen sagt. Ob das aus Klimawandelperspektive eine gute
       Nachricht ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist ja schon der Golfstrom
       zusammengebrochen und unsere Breitengrade steuern in die nächste Eiszeit.
       
       Würde vom Gefühl her passen.
       
       Die gemütliche Wärme transportierenden Gesetzmäßigkeiten kollabieren im
       Dominoeffekt. Alles stellt sich von den Füßen auf den Kopf: Deutschland
       ist nicht gut organisiert. Deutschland ist korrupt. Deutschland versagt.
       Deutschland ist Schlusslicht. Die News derzeit sind wie breit grinsende
       Pointen auf die westdeutsch-angepunkte Sozialisation à la „Alles Perfekte
       ist deutsch, iiihbahpfui!“. Wenn aber die Perfektion sich so überhaupt
       nicht mehr zeigen mag, ist das seltsamerweise: verstörend.
       
       Auch das Ich-will-mein-Leben-zurück-Fenster, [1][das sich durch die
       Schulöffnung aufgetan hat, schließt sich schon wiede]r. Vor zehn Tagen erst
       feierten wir das Ende des Heimschulbetriebs mit einem Drei-Gänge-Menü. Auf
       das Tiramisu – Schokomilch und Espresso halbe, halbe – schablonierten die
       Kinder mit Sieb und Kakaopulver „Lockdown ade!“. Das war damals schon
       leicht verhoben. Mittlerweile gleichen die Fotos, auf denen die Kinder vor
       ihrem Dessert die Finger zum Victory-V recken, einer Farce.
       
       In der Möglichkeitsmaschine 
       
       Aber wir tun weiter tapfer so, als hielten Frühling und Post-Corona-Ära
       Einzug. Tief atmen wir durch. Nutzen die Möglichkeiten. Das Luftholen tut
       so gut. Ist so schön.
       
       Am Freitag buche ich für die Kinder und mich ein Zeitfenster bei J[2][ohann
       König in der St.-Agnes-Kirche]. Chiharu Shiota hat dort Abertausende langer
       roter Fäden unter die Decke geknotet, raumfüllend wogt der blutrote Vorhang
       durch die Nave, darin versteckt ein paar Schiffchen aus dickem Draht, die
       nach oben, gen Zukunft, durch die Schnursturzflut steuern. In die Fäden
       gebunden: rote Zettel, die Menschen aus aller Damen Länder unter der
       Überschrift „I hope …“ mit ihren individuellen Hoffnungen beschriftet
       haben. Es ist schrecklich kitschig. Einerseits. Andererseits. Setze ich
       mich an die Wand, lehne am Düttmann’schen Zementwurfputz, lege den Kopf in
       den Nacken und habe diesen Raum um mich, der weder unsere Wohnung noch mein
       Einzelzimmerbüro ist. Diesen hohen, weiten, anderen Raum, diesen ou topos,
       diese Möglichkeitsmaschine.
       
       Das große Kind, noch ganz berauscht vom Training am Vortag, seit
       dreieinhalb Monaten das erste, schreibt derweil auf seinen Zettel: „Ich
       hoffe, dass ich eine Fußballerin werde.“ Und wirft das Stück Papier mit
       glänzenden Augen in die bereitstehende Box.
       
       Sofort weiter mit dem Kunstgenuss. „[3][Into Space“ heißt die aktuelle
       Ausstellung im Haus am Waldsee]. Als ich kurz vor knapp mitbekomme, dass
       sie wieder geöffnet ist, will ich den Geburtstag doch nicht mit dem
       Asterix-Puzzle verbringen, wie eigentlich projektiert. Es kommen
       Freund*innen, wir stehen in weitem Rund im Skulpturengarten, trinken
       Crémant und essen Schoko-Bananen-Ganache-Torte, sogar die Sonne zeigt sich,
       und nacheinander dürfen wir in Kleinstgruppen ins Haus, um Objekte aus
       Glühbirnen, Silikon, Kristallschälchen, verbogenem Acrylglas und Holzlatten
       zu bestaunen.
       
       Es ist unfassbar toll. Björn Dahlems „Mond“ sieht zwar aus wie das
       Coronavirus und Berta Fischers in der Wand steckender „Balam“ eigentlich
       auch. Aber solange sie so bunt leuchten, so harmlos und vor allem so anders
       sind als unsere vier Wände, sollen sich Kosmos und Virus wegen meiner
       ähneln.
       
       19 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schulen-und-die-dritte-Coronawelle/!5754880
 (DIR) [2] https://www.koeniggalerie.com/exhibitions/current/
 (DIR) [3] https://hausamwaldsee.de/
       
       ## AUTOREN
       
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