# taz.de -- Wohnräume, die sich anpassen
       
       > Leichtfüßig wirkende, lichtdurchflutete Räume um wild begrünte
       > Gartenareale. Mit Fotografien und Videos wird der indische Architekt
       > Balkrishna Doshi im „Studio im Hochhaus“ in Hohenschönhausen vorgestellt
       
 (IMG) Bild: Ein spätes Werk des indischen Architekten Doshi: LIC Housing, Ahmedabad 2016
       
       Von Michael Freerix
       
       Am Ende der Zingster Straße in Neu-Hohenschönhausen, im Untergeschoss eines
       mächtigen Hochbaus, befindet sich die kommunale Galerie „Studio im
       Hochhaus“. Sie und ihre Umgebung sind gewissermaßen der ideale Ort, um eine
       Ausstellung über den indischen Architekten und Stadtplaner Balkrishna
       Doshi anzuschauen, betrachtet aus den Blickwinkeln der beteiligten
       Künstler Annette Kisling, Jens Franke und Leonard Wertgen.
       
       Balkrishna Doshi ist einer der wenigen Architekten vom indischen
       Subkontinent, der international anerkannt ist, obwohl seine Gebäude fast
       ausschließlich in Indien stehen. Seine Ausbildung erfuhr der 1927 Geborene
       allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Seit Beginn der fünfziger
       Jahre arbeitete er im Büro von Le Corbusier. Tatsächlich hat er viel von
       dessen bauästhetischer Philosophie übernommen, sich aber von Le Corbusiers
       puristischem Hang zum Autokratischen scharf abgesetzt.
       
       Beton ist Le Corbusiers bevorzugtes Baumaterial, roh und unbearbeitet, und
       genau so verwendet ihn Doshi: „Le Corbusier sprach kaum Englisch“,
       erinnert sich der Architekt, „aber er nahm sich viel Zeit für mich.“
       
       Der damals bereits weltbekannte schweizerisch-französische Baukünstler Le
       Corbusier übernahm in den 1950er Jahren vermehrt Aufträge in Indien, und
       dort wurde Doshi als dessen Bauleiter tätig.
       
       Später ermöglichte es diese Auftragstätigkeit Doshi, sich in Indien, vor
       allem an seinem Wohnort Ahmedabad, schnell als freischaffender Architekt
       etablieren zu können. Seine frühen Gebäude wie die „Premabhai Hall“
       (1956–1972), die „Central Bank“ (1967) oder das „Center for Environmental
       Planning and Technology“ (1968), die allesamt in der indischen Metropole
       Ahmedabad stehen, zeichnen sich noch durch den massigen, konfrontativen
       Einsatz von Beton aus.
       
       Später entwickelte Doshi jedoch eine Formsprache, in der er die massive
       Wirkmacht des Sichtbetons abschwächte und leichtfüßig wirkende,
       lichtdurchflutete Räume um wild begrünte Gartenareale entwarf, in denen er
       vor allem graues Natursteinmauerwerk verwendete.
       
       Auch gedachte Balkrishna Doshi, der nach eigenen Worten unter armen
       Menschen groß geworden ist, später seiner sozialen Herkunft und baute in
       den 1980er Jahren Wohnungen für einkommensschwache ehemalige Slumbewohner.
       Diese Bauten, so sagt der Architekt, sollen keine von außen bestimmten,
       unverrückbaren architektonischen Fakten schaffen. Stattdessen sollen sich
       die Wohnräume an die Bedürfnisse der Bewohner anpassen. Je nach Wunsch der
       Bewohner können die Wohnungen aus- oder umgebaut werden. Dies muss mit den
       jeweiligen Nachbarn ausgehandelt werden, bis für alle akzeptable
       Kompromisslösungen gefunden sind. Auf diesem Weg soll eine familiäre
       Hausgemeinschaft entstehen. Das jedenfalls ist der Wunsch des Architekten.
       
       Annette Kisling, Jens Franke und Leonard Wertgen stellen sich mit ihren
       Fotografien und Videos ganz in den Dienst der Architektur Doshis. Kislings
       serielle, detailreiche Fotografie, die sich mit den Formen von Organisation
       und Ordnung beschäftigt, erforscht Bauten von Doshi in variationsreichen
       Detailaufnahmen, die sie mit den erhaben wirkenden Gärten, umringt von
       grauen Wänden und lichtdurchfluteten Wandelgängen, kontrastiert. Franke und
       Wertgen hingegen setzen auf sachliche Schilderung der äußeren Gegebenheiten
       der Bauten von Doshi, wie sie sich, umströmt von Hitze und Straßenlärm, in
       den Alltag der fünf Millionen Einwohner zählenden Stadt einfügen. Auch ein
       längeres Interview mit ihm ist in einer Videobox anzuschauen.
       
       Die Gegenüberstellung von serieller Fotografie und dokumentarischen Filmen
       ermöglicht einen facettenreichen Blick auf die aktuelle Situation der
       Architektur von Balkrishna Doshi in Ahmedabad.
       
       Der Leiter des Studios im Hochhaus, Uwe Jonas, möchte mit dieser
       Ausstellung einen außereuropäischen Blick auf das Thema Architektur
       ermöglichen. Doshi, dem 2018 als erstem indischem Architekten der
       international renommierte Pritzker-Preis verliehen wurde, sieht sich selber
       als Gestalter, der das „Chaotische mit dem Effektiven zu verbinden sucht“,
       und vor allem nicht als Schöpfer, der ewige Werte erschaffen möchte: „Wir
       leben in einer zyklischen Welt, Architektur sollte sich dem Zyklischen
       unterordnen.“
       
       Geradezu symbolisch existieren in seinen Bauten Widersprüche nebeneinander.
       Stabil und trotzdem erstaunlich licht wirken seine schattenreichen Bauten.
       Dies wird vor allem durch bleistiftdünn wirkende Betonsäulen erreicht, die
       in erstaunliche Höhen ragen. Umwunden werden diese von wild wuchernden
       Schlingpflanzen, die den Bauten einen Hauch von verborgenen Inka-Städten
       verleihen. Auch mit 94 Jahren geht Balkrishna Doshi beinahe jeden Tag in
       sein Planungsbüro und widmet sich mit nicht nachlassender Kreativität einer
       Architektur der zyklischen Welt.
       
       Bis 24. März, Studio im Hochhaus, Zingster Straße 25, 13051 Berlin. Öffnung
       und Termine erfragen unter (030) 9 29 38 21
       
       15 Mar 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Freerix
       
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