# taz.de -- Beraterin über Situation in Pflegeheimen: „Das Personal ist an der Grenze“
       
       > Die Hilfe der Angehörigen in den Heimen fällt coronabedingt vielfach weg.
       > Das habe fatale Folgen, sagt Ulrike Kempchen vom Biva-Pflegeschutzbund.
       
 (IMG) Bild: Corona-Schnelltests können bei Angehörigen in den Pflegeheimen vielerorts nicht durchgeführt werden
       
       taz: Frau Kempchen, in Deutschland wütet das [1][Coronavirus] - wie ist die
       aktuelle Besuchssituation in den Pflegeheimen? 
       
       Ulrike Kempchen: Wir beobachten, dass derzeit fast flächendeckend in den
       Pflegeheimen die Forderung gilt, dass man einen negativen Coronatest
       vorweisen muss, um in die Einrichtung zu kommen.
       
       Was bedeutet das in der Praxis? 
       
       Das Problem ist, dass in vielen Einrichtungen entweder die Schnelltests
       nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind oder das Personal fehlt, die
       Tests durchzuführen. In Bayern im ländlichen Raum zum Beispiel gibt es in
       vielen Einrichtungen gar keine Tests.
       
       Die Angehörigen könnten sich vor dem Besuch irgendwo außerhalb testen
       lassen. 
       
       Das ist auch [2][eine Kostenfrage]. In Bayern kostet ein Schnelltest bei
       einem Arzt oder in einem Testzentrum zwischen 20 und 60 Euro. Ich habe mit
       einer Angehörigen gesprochen, die ihre demenzkranke Schwester viermal in
       der Woche besucht. Die müsste an die 800 Euro im Monat allein für die Tests
       ausgeben. Das Ergebnis darf in einigen Regionen nicht älter als 24 Stunden
       sein, man muss sich also immer wieder neu testen lassen.
       
       Abgesehen davon findet man zum Beispiel an Heiligabend nur schwer jemanden,
       der einen Test durchführt, mit dessen Ergebnis man dann am 1.
       Weihnachtsfeiertag einen Besuch machen könnte. Diese Voraussetzungen kommen
       einem faktischen Besuchsverbot gleich.
       
       Der Pflegeschutzbund hat durch Umfragen festgestellt, dass viele Angehörige
       sich an der Versorgung und Pflege beteiligen. Welche Folgen hat es für die
       Versorgung, wenn weniger Angehörige zu Besuch kommen? 
       
       Uns haben Angehörige geschrieben, dass die Pflegebedürftigen abgenommen
       hatten, dehydriert, also innerlich ausgetrocknet, waren, dass sie sogar
       verwahrlost wirkten. Angehörige beteiligen sich zum Beispiel oft an der
       Essengabe, die sitzen dann geduldig neben der Bewohnerin und helfen beim
       Essen und vor allem beim Trinken. Das Personal hat für diese Hilfe beim
       Trinken zu wenig Zeit. Viele Pflegebedürftige trinken nur in kleinen
       Schlückchen und viel zu wenig. Flüssigkeitsmangel kann sich aber drastisch
       auswirken.
       
       Wie denn genau? 
       
       Wer dehydriert ist, baut ab, auch kognitiv, kann sogar in ein Delir gehen.
       Wir kennen einen Fall, wo man schon dachte, die Sterbephase habe begonnen.
       Die Dame kam ins Krankenhaus, dort stellte man fest, dass sie nur stark
       dehydriert war. Die Krankenhäuser päppeln die Patienten wieder auf und sie
       kommen zurück ins Heim.
       
       Beteiligen sich die Angehörigen auch an der körperlichen Pflege? 
       
       Auch, aber eher weniger. Sie helfen vielleicht mal beim Toilettengang,
       beim Waschen. Es kommt vor, dass Angehörige die Fingernägel schneiden, die
       Füße pflegen. Häufiger ist die Hilfe beim Essen und Trinken. Manchmal
       bringen Angehörige ein besonderes Getränk mit, vielleicht mal ein
       klassisches Malzbier, das die Bewohnerin mag und dann gerne trinkt.
       Angehörige sind auch eine gewisse Form der Kontrolle des Pflegezustandes,
       das fällt jetzt weg.
       
       Kann das Personal die Besuche der Angehörigen ersetzen? 
       
       Nein. Für das Personal im Pflegeheim ist die Situation sehr schwer. Die
       sind an der Grenze, die haben selbst Ausfälle, die Ehrenamtlichen fallen
       weg, es gibt noch weniger Mitarbeiter als sonst. Denen kann man keinen
       Vorwurf machen.
       
       Was fordert der Pflegeschutzbund für die Heime? 
       
       Corona macht die Missstände in den Heimen, den Fachkräftemangel, die
       Überlastung des Personals, wie in einem Brennglas sichtbar. Deswegen wäre
       es falsch, darauf zu setzen, dass man wieder zur Tagesordnung übergehen
       kann, wenn nur möglichst viele Menschen geimpft sind. Die Coronakrise muss
       evaluiert werden, man muss genauer schauen, was läuft falsch. Außerdem
       fordern wir, dass Verordnungen, die erlassen werden, für die Betroffenen
       auch tatsächlich umsetzbar sind und entsprechend verbraucherfreundlich
       umgesetzt werden.
       
       31 Dec 2020
       
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