# taz.de -- „Ich war schon immer ein Gehörmensch“
       
       > Wer die Drei Fragezeichen nicht kennt, hat keine Kinder oder war nie
       > selber eins. Heikedine Körting hat praktisch alle bekannten Hörspiele der
       > letzten 50 Jahre produziert
       
 (IMG) Bild: Heikedine Körting ist auf den meisten ???-Folgen auch selbst zu hören: als krächzender Papagei Foto: Miguel Ferraz
       
       Interview Jan Freitag
       
       taz: Frau Körting, stimmt es, dass Sie auf fast allen Ihrer knapp 3.500
       Hörspiele selbst zu hören sind? 
       
       Heikeding Körting: Nicht bei fast allen, aber in jeder Folge der „Drei
       Fragezeichen“, wo ich ja den Papagei krächze.
       
       Ich dachte, das sei ein Star, ein billiger Star, wie es im „Superpapagei“
       von 1979 heißt. 
       
       Ein Mynah! Seit 209 Folgen.
       
       Klingt nach Fließbandarbeit. 
       
       Könnte man denken. Aber wir haben halt schon in den Sechzigern angefangen.
       Außerdem bin ich seit jeher fleißig, stehe früh auf, mache mir Kaffee und
       bin bis abends mit Hörspiel zugange. Weil ich ständig Manuskripte und
       Kinderbücher lese, schaffe ich es kaum noch, privat ein gutes Buch zu
       lesen. Das kommt davon, wenn man sein Hobby zum Beruf macht …
       
       Und daran ändert sich auch im Alter nichts? 
       
       Nur, dass ich abends nicht mehr so gern lange aufbleiben mag. Und dann hat
       Corona natürlich einiges geändert. Die Schauspieler sprechen jetzt alles
       einzeln ein. Vorher haben wir uns dafür immer in großer Runde getroffen.
       Das war fast wie eine Familienfeier.
       
       Mit Ihnen als Fixstern im Zentrum. 
       
       Mädchen für alles, Mutter der Kompanie, wie Sie wollen. Und wenn wir
       Sonntag die 4. Folge von „Fünf Freunde – endlich erwachsen“ aufnehmen,
       kommen endlich wieder drei auf einmal zusammen vors Mikro. Aber wir halten
       natürlich Abstand und lüften gut. Die Kinder von früher leben jetzt
       übrigens in einer Kommune, teilweise vegetarisch, es wird getrunken – auch
       Kinderhörspiele gehen mit der Zeit.
       
       Das müssen sie auch. Früher wurden die Mädchen darin oft als weichlich
       dargestellt, dicke Kinder gemobbt, Sinti und Roma waren latent kriminelle
       „Zigeuner“. 
       
       Das stimmt, hat sich aber im selben Tempo wie die gesellschaftliche
       Emanzipation insgesamt gewandelt. Wenn Sie sich neue Folgen der „Fünf
       Freunde“ oder „Hanni und Nanni“ anhören, haben die Mädels darin definitiv
       das Sagen.
       
       Lassen Sie sich von den Sprecherinnen und Sprechern dabei ein wenig auf die
       Sprünge der Moderne helfen? 
       
       Ich weiß gar nicht, ob ich das nötig habe, aber meine jungen Sprecher sind
       in der Tat Ratgeber. Außerdem halten mich sieben Patenkinder, darunter die
       meines neuen Partners, auf Trab. Einer von denen hilft mir gerade, unsere
       Geräusch-Tonbänder zu überarbeiten und zu digitalisieren. Die ganze Familie
       arbeitet mittlerweile an den Hörspielen.
       
       Können Sie sich eigentlich an jedes davon erinnern? 
       
       An die meisten schon, besonders natürlich die aktuellen und die ersten. Am
       wenigsten blieb noch von denen hängen, die wir in der Zeit produziert
       haben, als Hörspiele totgesagt wurden.
       
       In den Neunzigern, als die CD erst Vinyl, dann Musikkassetten verdrängt
       hat. 
       
       Da ging es steil bergab. Zugleich wollte der Europa-Verlag nichts an die
       Konkurrenz verlieren, weshalb immer gut für mich zu tun war. Damals hatte
       ich mit Andreas Beurmann, meinem späteren Ehemann, noch viel allein
       gemacht. Jetzt gehören wir zu Sony, da wurde das Sortiment sogar erweitert.
       
       Um Ableger, die Fans der ersten Stunde zutiefst verachten. „Drei
       Fragezeichen Kids“ zum Beispiel oder „Drei Ausrufezeichen“. 
       
       Die produziere ich gar nicht, bei uns entstehen nach wie vor die Klassiker
       von „Drei Fragezeichen“ bis „TKKG“ oder für Kleinere „Hexe Lilli“. Und auf
       Drängen meines langjährigen Autors André Minninger …
       
       … der ja auch schon seit 30 Jahren für Sie schreibt.
       
       … dürfen wir jetzt wieder mehr Gruseliges machen. Das waren schon immer
       meine Favoriten: Macabros, Freddy Krüger, Larry Brent – wunderbar! Schade,
       dass die alle nicht mehr im Handel sind.
       
       Weniger schade für Online-Händler, die mit den gebrauchten Gruselschockern
       Hunderte von Euro verdienen. 
       
       André fragte mich kürzlich, als ich mal wieder eins meiner Originale
       verschenkt hatte, ob ich denn verrückt sei, die Folge koste im Internet
       1.900 Euro. Aber es kommt ja in gute Hände.
       
       Haben Sie eine Lieblingsfolge? 
       
       Immer die, an der ich grad’arbeite.
       
       Das klang jetzt routiniert. 
       
       Ist aber so. Gut, Debütfolgen liegen mir schon besonders am Herzen, weil
       ich daran allein mit meinem Mann Tag und Nacht gebastelt habe; das stärkt
       die Beziehung zum Produkt. Mittlerweile habe ich aber gute Mitarbeiter,
       alles ist professioneller geworden und passt sich damit den Hörgewohnheiten
       an.
       
       Zu denen zählt der Podcast-Boom. Hat er Ihnen nochmals Schwung verpasst? 
       
       Und wie! Auch privat. Ich bin sowieso eher Zuhörerin als Zuschauerin. Beim
       Fernsehen zum Beispiel gucke ich mir am Anfang die Figuren einmal an, dann
       mach ich nebenbei andere Sachen und höre nur noch zu. Ich war schon immer
       ein Gehörmensch. Beruflich bedeutet dieser Boom vermutlich, dass es in
       absehbarer Zeit keine CDs mehr gibt. Ich merke das schon jetzt. Wir haben
       im Büro ein Regal voller Hörspiele, an dem sich Kinder bedienen können.
       Zuletzt hatte ich zwei da, die meinten, „Nein, danke“, sie hätten das alles
       schon auf Spotify gehört.
       
       Wenn man sich wie Sie täglich so intensiv mit der Jugendkultur
       auseinandersetzt – muss man da eigentlich ein bisschen Kind geblieben sein? 
       
       Nicht nur ein bisschen. Das ist vielleicht der einzige Vorteil, keine
       Kinder zu haben; dadurch ist man weniger auf die eigenen fixiert, sondern
       offener gegenüber denen anderer. Wenn wir draußen auf Gut Hasselburg Besuch
       haben, komme ich mit den Lütten besser zurecht als mit gestandenen Frauen
       zwischen 40 und 50. Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass Letztere in
       meinen Geschichten kaum eine Rolle spielen. Ich war aber auch immer schon
       ein beweglicher Mensch. Kinder spüren das.
       
       Wenn man mit Ihnen so durchs Studio läuft, könnte man Sie fast zappelig
       nennen. 
       
       Das dürfen Sie gerne. Manchen geht es auf die Nerven, wenn ich ständig vom
       Tisch aufstehe und irgendwas aus der Küche hole. Deswegen gehe ich lieber
       ins Kino als fernzusehen; da ist man dazu verdonnert, zwei Stunden
       stillzusitzen und sich auf den Film einzulassen. Hier ist mir das oft zu
       schade um die Zeit.
       
       Haben Sie deshalb auch die Karriere als Juristin gegen die der
       Kinderhörspielregisseurin getauscht? 
       
       Habe ich ja gar nicht. Ich praktiziere immer noch als Rechtsanwältin,
       zugelassen am Hamburger Oberlandesgericht.
       
       Familienrecht vermutlich. 
       
       Früher ja, viele Scheidungssachen. Später habe ich mich um Autoren- und
       Verlagsrechte gekümmert, für unseren Kommissar Reynolds, Horst Frank, zum
       Beispiel, als der sein Buch veröffentlicht hatte. Aber mittlerweile mache
       ich das natürlich nicht mehr so häufig. Und schon gar nicht in
       Streitfällen.
       
       Sie streiten sich nicht gerne? 
       
       Überhaupt nicht. Und wenn, dann verteidige ich grundsätzlich die
       Angegriffenen, ob vor Gericht oder woanders, schon als Kind. Deswegen war
       auch schon früh klar, dass ich mal Verteidigerin werden würde.
       
       Wollten Sie zuvor nicht Journalistin werden? 
       
       Ja, weshalb ich das Staatsexamen im Grunde auch nur für meinen Vater
       gemacht habe. Nach dem Abitur hatte ich Gräfin Dönhoff ...
       
       ... der 2002 verstorbenen Mitherausgeberin der Zeit... 
       
       ... mit der mein Vater gut befreundet war, einen Brief geschrieben, ob ich
       Journalismus studieren solle. Weil sie mir davon abgeraten hatte, habe ich
       Jura gewählt – schon wegen meines Gerechtigkeitssinns, und weil man im
       Studium von der Wirtschaft bis ins strukturierte Denken viel lernt, was ich
       später als Regisseurin gebrauchen konnte. Dumm war nur, dass mein Vater mir
       zwar teilweise die Semester, nicht aber die Ferien finanzieren konnte.
       
       Ihre Familie war gar nicht wohlhabend? 
       
       Im Gegenteil. Sie hatte im Krieg alles verloren und mein Vater saß in
       Kriegsgefangenschaft, als ich geboren wurde. Meine Mutter ist kurz zuvor
       mit meinen zwei älteren Brüdern erst von Berlin nach Jena geflohen und nach
       meiner Geburt von dort im Bollerwagen übers Haff nach Lübeck, wo wir alles
       anders als freundlich aufgenommen wurden. Eine wirklich schwere Zeit.
       
       Schärfen solche Erfahrungen das Bewusstsein für die Flüchtlinge von heute? 
       
       Unbedingt, wer das erlebt hat, sieht die Situation jetzt mit völlig anderen
       Augen – auch, wenn ich das als Kleinkind nicht so mitbekommen hatte. Zum
       Glück war meine Mutter fürsorglich, sie hatte sogar stundenlang beim Arzt
       angestanden, um Hustensaft zu kriegen, damit wir mal was Süßes aufs Brot
       bekamen. Aber auch, als mein Vater zurückgekehrt war, dauerte es noch eine
       Weile, bis wir aus dem Gröbsten raus waren und er mit seiner Baufirma
       Erfolg hatte.
       
       Welche Einstellung zum Geld bringt diese Entwicklung von ganz arm bis
       ziemlich wohlhabend mit sich? 
       
       Eine pragmatische. Als ich in Genf studierte, bekamen alle Kommilitoninnen
       genug Geld von zu Hause; ich musste jobben, Plakate kleben, Zeitungen
       ausfahren, sogar im Fernsehen als Claqueur habe ich gearbeitet. Wenn man
       weiß, wie scheiße es ist, kein Geld zu haben, wird die Unabhängigkeit davon
       umso wichtiger.
       
       Wann haben Sie diese Unabhängigkeit denn erstmals verspürt? 
       
       Im Referendariat, da gab es plötzlich 1.200 Mark im Monat, viermal so viel,
       wie mir mein Vater geben konnte. Danach habe ich am Jugendgericht
       gearbeitet, bei der Baubehörde, im Notariat und gut verdient. Geld war also
       nicht mehr so das Problem. Aber da ich in den Semesterferien begonnen
       hatte, Hörspielskripte für Andreas Beurmann zu schreiben …
       
       … der 1965 das Musiklabel Europa gegründet hatte.
       
       … war der Weg dorthin geebnet. Wenn wir nicht geheiratet hätten, wäre ich
       wahrscheinlich Vollzeitjuristin geworden und säße nicht mit Ihnen hier.
       
       In einer prachtvollen Villa an der Rothenbaumchaussee, wo nahezu alle
       Hörspiele entstanden sind, die Kinder der Achtzigerjahre so im
       Kassettenrecorder hatten. 
       
       Zumindest die der vergangenen gut 30 Jahre. Vorher war unser Studio auf der
       anderen Alsterseite in der Agnesstraße. Als wir das Haus hier gekauft
       haben, waren die Banken noch etwas kooperativer, um so was finanzieren zu
       können.
       
       Aber gelebt haben Sie damals schon im herrschaftlichen Gut Hasselburg aus
       dem 18. Jahrhundert nahe der Neustädter Bucht. 
       
       Wobei wir das in den Siebzigern nur gepachtet hatten und seither im Sinn
       des Denkmalschutzes pflegen, um es der Allgemeinheit zugänglich zu machen
       und der Nachwelt zu erhalten.
       
       Später wurde dort die ZDF-Serie „Das Erbe der Guldenburgs“ gedreht. 
       
       Ein Teil davon, auch mal ein „Tatort“ mit Manfred Krug. Ohne uns wäre
       vorher schon mindestens die große Scheune abgerissen worden. Wir sind
       übrigens immer noch nur Pächter.
       
       Und mittlerweile eher Stadt- oder Landmenschen? 
       
       Halbe-halbe, ich bin immer ein paar Tage hier, ein paar Tage dort. Wenn ich
       in der Hasselburg bin, freue ich mich wieder auf Hamburg. Nächste Woche zum
       Beispiel kommt Axel Milberg zu uns für die „Drei Fragezeichen“. Er ist seit
       Folge 187 unser Erzähler.
       
       Fragt sich, wer wen schmückt – Milberg das Hörspiel oder das Hörspiel
       Milberg? 
       
       Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Wobei Herr Milberg, ohne ihm nahtreten
       zu wollen, in große Fußstapfen tritt. An Peter Pasetti reicht nicht mal er
       ganz ran. Aus jener großen Theatergeneration haben einige im Europa-Studio
       gearbeitet. Und mit fast allen davon war man irgendwie auch befreundet. Das
       hat keiner von denen nur als Job angesehen.
       
       Das wirkte jetzt nostalgischer, als Sie sonst klingen. 
       
       Warum auch nicht?! Wenn ich mich an eine Gruselfolge erinnere, als hier
       Gisela Trowe, Katharina Brauren, Karl-Ulrich Meves im Studio saßen – da
       kann sogar eine wie ich schon mal wehmütig werden.
       
       18 Jan 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Freitag
       
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