# taz.de -- Studieren während Corona: Armes Bafög, arme Studierende
       
       > Für bedürftige Studierende will Bildungsministerin Karliczek weitere
       > Nothilfen zahlen. Das zeigt, wie schlimm es um das Bafög bestellt ist.
       
 (IMG) Bild: Hat am Freitag die Nothilfen für Studierende verlängert: Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU)
       
       Berlin taz | Für gut 122.000 Studierende dürfte das vergangene Wochenende
       das entspannteste seit Ende September gewesen sein. Damals lief für sie die
       viermonatige Überbrückungshilfe aus, die das Bildungsministerium wegen der
       Coronapandemie an bedürftige Studierende zahlte.
       
       Am Freitag nun versprach die zuständige CDU-Ministerin Anja Karliczek, die
       [1][Zahlungen nach der Pause im Oktober fortzuführen]. Heißt: Ab sofort
       können Studierende, die zur Zeit nicht jobben können, bis zu 500 Euro im
       Monat bekommen, und das bis zum Ende des Wintersemesters. Das ist eine gute
       Nachricht – und eine schlechte.
       
       Gut ist, dass viele der geschätzt zwei Millionen Studierenden mit Nebenjobs
       – von denen [2][viele während der Pandemie flöten gegangen] sind – nun
       etwas leichter über den Winter kommen. Auch wenn klar ist, dass ein
       Zuschüsschen über 500 Euro (oder weniger) in vielen Studienorten gerade mal
       für die Miete reicht: Die Nothilfe ist besser als nichts. Zumal die
       Bildungsministerin die bürokratischen Hürden für den Antrag gesenkt hat und
       mehr Studierende als bisher die Überbrückungshilfe erhalten dürften.
       
       Schlecht ist jedoch, was die Notwendigkeit der Nothilfe über eine
       bildungspolitische Errungenschaft verrät, die kommendes Jahr 50 Jahre alt
       wird und offentsichtlich zur Bedeutungslosigkeit verkommt: das Bafög.
       Aktuell beziehen gerade mal 11 Prozent der Studierenden in Deutschland
       Bafög. Ein historischer Tiefstand.
       
       ## 26 Novellen, sinkende Zahlen
       
       Zur Erinnerung: Kurz nach seiner Einführung im Oktober 1971 waren es 44
       Prozent. Seither ist der Anteil der Bafög-Empfänger:innen stetig gesunken,
       trotz regelmäßiger Prüfungen und zahlreicher (26!) Novellierungen, die
       sicherstellen sollten, dass das Bafög zum Leben reicht und es seinen
       eigentlichen Zweck erfüllt: die Chancengleichheit im Bildungssystem zu
       erhöhen und Absolvent:innen aus einkommensschwachen Familien zum Studium zu
       motivieren.
       
       Leider muss man feststellen: Das [3][Bafög reicht weder zum Leben], noch
       steigert es die soziale Durchmischung an den Unis. Auch heute noch sind
       drei mal so viele Kinder von Akademiker:innen eingeschrieben als von
       Nichtakademiker:innen – genau wie auch schon vor zehn Jahren. Und das,
       obwohl die Zahl der Studierenden im gleichen Zeitraum stark gestiegen ist.
       
       Natürlich wäre es falsch, die soziale Schieflage an den Hochschulen allein
       dem Bafög anzulasten. Eine zentrale Rolle spielt das Schulsystem, das –
       aller Mahnungen seit dem Pisa-Schock zum Trotz – immer noch zu viele Kinder
       von Nichtakademiker:innen lange [4][vor der Hochschulreife aussiebt].
       
       Dennoch: Selbst bei denen, die es bis zum Abi schaffen, ist die Angst vor
       der Verschuldungsfalle Bafög deutlich höher als beim Rest, zuletzt mehr als
       doppelt so hoch. Das belegen die [5][Sozialerhebungen], die das Deutsche
       Studentenwerk alle zwei Jahre durchführt.
       
       ## Keine Trendumkehr in Sicht
       
       Doch dieses Alarmzeichen stößt beim – seit 2013 von der CDU geführten –
       Bundesbildungsministerium offenbar auf taube Ohren. Mit Blick auf die
       Schuldenangst hieß es in der Vergangenheit lapidar, die Bafög-Schulden
       seien ja auf 10.000 Euro gedeckelt. Viel arroganter kann man den Sorgen
       mittelloser Menschen kaum begegnen.
       
       Auch wenn Anja Karliczek in der jüngsten Novelle 2019 die Rückzahlung für
       verschuldete Bafögempfänger:innen etwas günstiger gestaltet hat: Die
       Korrektur ist – wie auch die Erhöhungen der Beitragssätze oder der
       Freibeträge – kosmetisch.
       
       Die „Trendumkehr“ beim Bafög, die sich die Große Koalition zum Ziel gesetzt
       hat, wird so nicht eintreten. Im Gegenteil: Bafög-Zahlen aus [6][Berlin]
       und [7][Bremen] belegen, dass die Talfahrt selbst nach der Reform
       ungebremst weitergeht.
       
       Wenn sich das ändern soll, muss die Bundesregierug (diese oder die nächste)
       endlich handeln. An Möglichkeiten mangelt es jedenfalls nicht. Sie könnte
       das Bafög zurück in einen Vollzuschuss umwandeln (als der das Bafög
       ursprünglich konzipiert und bis 1982 ausbezahlt wurde) und damit die Angst
       vor einem Schuldenberg nach dem Studium beseitigen.
       
       ## Gute Ideen, schlechte Aussichten
       
       Sie könnte das Bafög elternunabhängig vergeben und damit den Anteil derer,
       die Bafög überhaupt bekommen dürfen, vervielfachen. Und sie könnte die
       Beitragssätze dynamisieren und damit sicherstellen, dass das Bafög mit den
       galoppierenden Lebenshaltungskosten in den Universitätsstädten mithalten
       kann.
       
       All das ist von und unter der aktuellen Regierung nicht zu erwarten. Und
       von einer nächsten sehr wahrscheinlich auch nicht. Das wird kein schöner
       runder Geburtstag.
       
       22 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nothilfen-fuer-Studierende-wegen-Corona/!5730197
 (DIR) [2] /Corona-und-Studierende/!5687900
 (DIR) [3] /Kritik-an-der-geplanten-Bafoegreform/!5592898
 (DIR) [4] /Anja-Karliczek-ueber-die-Pisa-Studie/!5644657
 (DIR) [5] http://www.sozialerhebung.de/archiv/soz_21_haupt
 (DIR) [6] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-22466.pdf
 (DIR) [7] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2020-02-12_Drs-20-265_eba9f.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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