# taz.de -- Den Schuss nicht gehört
       
       > Hat Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Caffier bei einem Mann eine
       > Waffe gekauft, der Teil der rechtsextremen Nordkreuz-Gruppe war? Und wie
       > privat ist das?
       
 (IMG) Bild: Innenminister Caffier (rechts) und der Leiter seiner Abteilung für Verfassungsschutz, Reinhard Müller, bei der Pressekonferenz am Donnerstag
       
       Von Sebastian Erb und Christina Schmidt
       
       Es gibt ein Gerücht in Mecklenburg-Vorpommern, aber Journalist*innen
       veröffentlichen keine Gerüchte, sie recherchieren, ob sie stimmen. Das
       Gerücht handelt vom Innenminister des Landes, dem CDU-Politiker Lorenz
       Caffier. Hat Lorenz Caffier bei einem Mann schießen trainiert, der Mitglied
       bei Nordkreuz war – und hat der Minister bei diesem Mann eine Waffe
       gekauft?
       
       Nordkreuz ist der größte Rechtsextremismus-Skandal Mecklenburg-Vorpommerns.
       Es geht um eine Gruppe von Menschen, die sich auf einen Tag X vorbereiten.
       Sie bauten sich Bunker in den Garten, legten Munitionsverstecke an und
       bestellten Leichensäcke. Zwei Mitglieder, darunter ein Kriminalpolizist,
       sollen Feindeslisten mit Daten politischer Gegner angelegt haben, um sie an
       jenem Tag X töten zu können. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft ermittelt
       wegen rechtsextremen Terrorismus.
       
       Anfangs waren es die taz und wenige anderen Medien, die Nordkreuz als Teil
       eines bundesweiten Geflechts aus aktiven und ehemaligen Soldaten,
       Polizisten und Sicherheitskräften entlarvten, des Hannibal-Netzwerks.
       Inzwischen beschäftigen sich zahlreiche Sicherheitsbehörden damit – wegen
       eines paramilitärischen Trainings, wegen illegalen Waffenbesitzes, wegen
       des Diebstahls von Bundeswehrbeständen.
       
       Lorenz Caffier und sein Ministerium äußern sich nicht gern zu Nordkreuz.
       Meistens verweisen sie in Schwerin auf die laufenden Ermittlungen der
       Bundesanwaltschaft. Und wenn sie doch etwas sagen, dann spielen sie die
       Gefährlichkeit des Netzwerks herunter. Über die Feindesliste schreibt das
       Innenministerium einmal, das Sammeln von Informationen über Privatpersonen
       „im Bereich der politischen Auseinandersetzung, insbesondere im rechts- und
       linksextremistischen Bereich“, sei nicht unüblich und in der Regel auch
       nicht gefährlich. Zwei Jahre lang weigerte sich Caffier, die Personen zu
       informieren, deren Namen auf der Nordkreuz-Liste stehen.
       
       Zugleich kommen Zweifel an der Integrität von Caffiers Behörden auf: Ein
       Mann hatte sich wegen Todesdrohungen an die Polizei gewandt. Der
       Staatsschutz fertigt einen Grundriss der Wohnung dieses Mannes an. Später
       taucht diese Zeichnung in der Feindesliste auf. Mehrere
       Nordkreuz-Mitglieder sind selbst Polizisten. Und immer wieder hört man von
       Caffiers Schießtraining und dem Waffenkauf bei Nordkreuz-Mann Frank T.
       
       ## Der vorläufige Höhepunkt
       
       Wir gehen dem Gerücht nach. Dabei ist ein solcher Waffenkauf nicht per se
       und in jedem Fall bedenklich. Frank T. darf Waffen verkaufen, Lorenz
       Caffier sie besitzen. Doch reichen die Verbindungen eines Innenministers in
       ein rechtes Netzwerk hinein, muss er sie erklären.
       
       Vorläufiger Höhepunkt unserer Bemühungen: eine Pressekonferenz in Caffiers
       Innenministerium an diesem Donnerstag, 12. November. Caffier stellt den
       Verfassungsschutzbericht 2019 vor. Dabei erwähnt er die Nordkreuz-Gruppe
       mit keinem Wort. Wir nutzen die Pressekonferenz, um unsere Frage zum
       Waffenkauf an den Minister zu stellen: Herr Caffier, haben Sie eine Waffe
       bei dem ehemaligen Nordkreuz-Mitglied Frank T. gekauft oder bei ihm ein
       Schießtraining absolviert?
       
       Er antwortet: „Zum Privatleben können Sie mich gerne anfragen, privat.
       Alles andere bleibt im Privatbereich. Dazu gibt es an der Stelle keine
       Äußerungen.“ Wir fragen, wie wir ihn privat befragen können. Caffier
       antwortet: Wir könnten einen Brief schreiben. „Aber wissen Sie,
       Privatbereich bleibt Privatbereich. Auch in Zukunft.“
       
       Unsere Nachforschungen in dieser Causa begannen im März 2020. Erstmals
       fragen wir, ob Lorenz Caffier bei einem Nordkreuz-Mitglied schießen gelernt
       und ob der Minister von diesem Mann namens Frank T. eine Waffe gekauft
       habe. Diese Fragen werden nicht beantwortet.
       
       Frank T. ist mehrfacher deutscher Meister in der Kurzwaffendisziplin. Bei
       seiner Firma Baltic Shooters in Güstrow üben die besten Berufsschützen,
       Rüstungsfirmen stellen dort ihre Produkte vor: Heckler & Koch, Rheinmetall,
       Schmeisser Waffen, Sig Sauer, Ruag, MEN. Frank T.s renommierteste
       Veranstaltung ist der „Special Forces Workshop“. Mitveranstalter war bis
       2018 das Landeskriminalamt. Innenminister Caffier schaute als Schirmherr
       meist selbst vorbei. Der Minister ließ seine Spezialkräfte bei T.
       trainieren. Andere Bundesländer und einige Bundesbehörden ebenso.
       
       2019 durchsuchen Ermittler Frank T. und den Schießstand. Erst dann kündigt
       das Innenministerium die Zusammenarbeit auf. Zu diesem Zeitpunkt muss
       Caffier schon fast zwei Jahre von Frank T.s Verbindung zu Nordkreuz gewusst
       haben.
       
       T. ist früher als andere aus der Nordkreuz-Gruppe ausgetreten, blieb ihr
       aber verbunden. Deren Mitglieder gingen bei ihm schießen, manchen verkaufte
       er Waffen und Munition; das belegen Dokumente, die die taz einsehen konnte.
       Den Administrator der Gruppe, Marko G., beschäftigte er sogar als
       Schießtrainer. Als wir T. im Frühjahr am Telefon um ein Gespräch bitten,
       sagt er, er werde es sich überlegen. Dann ist er nicht mehr für uns zu
       erreichen.
       
       Der ehemalige SEK-Polizist Marko G. gehört laut Bundesamt für
       Verfassungsschutz zum rechtsextremen Kern der Nordkreuz-Gruppe. Einmal
       sollen sie zu viert an einem Imbiss beraten haben, ob sie Bundeswehr-Lkws
       entwenden sollen, um am Tag X Leute abtransportieren zu können. 2017
       durchsuchen Ermittler G. noch als Zeugen, 2019 als Beschuldigten. In seinem
       Wohnhaus und auf einem Gartengrundstück finden sie fast 55.000 Schuss
       Munition und Waffen. Vieles aus Bundeswehr-Beständen und von
       Polizeidienststellen in ganz Deutschland. Diese Waffen und Patronen
       verbinden Nordkreuz, den Schießstand in Güstrow und Lorenz Caffier
       miteinander.
       
       Wir haben recherchiert, dass Marko G. höchstwahrscheinlich über den
       Schießplatz in Güstrow an die Behördenmunition gekommen ist. Dorthin
       brachten Polizeieinheiten und Soldaten Patronen mit. Wer wie viel davon
       verschossen hat, wurde nur unzureichend kontrolliert. Später tauchen solche
       Patronen in verschiedenen Lagern von Marco G. auf. Mit ihnen wollte er wohl
       die Nordkreuz-Mitglieder versorgen.
       
       Seit mehr als drei Jahren recherchieren wir über Nordkreuz. Wir bitten
       Lorenz Caffier mehrfach um Interviews, auch um ein Hintergrundgespräch, ein
       vertrauliches Treffen, ohne dass davon später Zitate in der Zeitung stehen.
       Solche Termine bekommen wir bei vielen Behörden. Die Pressestelle des
       Innenministeriums in Mecklenburg-Vorpommern sagt uns ab.
       
       Wir geben nicht auf, auch wenn die Antworten auf unsere Nachfragen aus
       Caffiers Ministerium oft lückenhaft sind, auf frühere wenig erhellende
       Mails verweisen oder ausbleiben.
       
       21. September 2020, E-Mail an das Innenministerium: Wir haben Fragen zu
       vier Polizisten, gegen die wegen rechtsextremer Äußerungen Ermittlungen
       laufen. Und wir erinnern an vorherige Fragen: „Und da Herr Minister Caffier
       weitere Aufklärung versprochen hat, habe ich noch folgende Fragen, die
       bislang nicht beantwortet wurden: Trifft es zu, dass Lorenz Caffier als
       Innenminister oder als Privatperson ein Schießtraining auf dem Gelände
       Baltic Shooters/Großer Bockhorst absolviert hat? Wenn ja: Wann war das, in
       welchem Rahmen, und wer war der Trainer?“ Und: „Trifft es zu, dass Lorenz
       Caffier als Innenminister oder als Privatperson eine Waffe bei oder über
       Frank T. bzw. der Firma Baltic Shooters/Baltic Defence gekauft hat?“
       
       22. September 2020, Antwort aus dem Innenministerium: Man bittet um
       Verständnis dafür, dass die Antwort noch etwas dauern werde.
       
       25. September 2020, Antwort aus dem Innenministerium: Man habe auf die
       Frage nach dem Waffenkauf und dem Schießtraining bereits im März 2020
       geantwortet, „dass Innenminister Lorenz Caffier in den Jahren 2011 bis 2018
       die Schirmherrschaft über den Special Forces Workshop übernommen hatte“.
       Das war ja aber gar nicht die Frage. Wieder eine Mail ans Innenministerium.
       
       30. September 2020, Antwort aus dem Innenministerium: „Der Minister hat
       weder eine Dienstwaffe erhalten noch erworben und auch an keinem
       Schießtraining teilgenommen.“
       
       15. Oktober 2020, E-Mail an das Innenministerium: „… da Sie in der Antwort
       auf „Dienstwaffe“ spezifizieren: Trifft es also zu, dass Herr Caffier als
       Privatperson eine Waffe bei oder über Frank T. bzw. der Firma Baltic
       Shooters/Baltic Defence gekauft hat?“
       
       22. Oktober 2020, E-Mail aus dem Innenministerium: „Auf Ihre weitere
       Anfrage hatten wir bereits geantwortet.“
       
       Dann kommt der 12. November, die Pressekonferenz mit Caffier. Zum ersten
       Mal können wir direkt nach seinen Verbindungen zu Frank T. und dem
       Waffenkauf fragen. Es ist der Moment, in dem Lorenz Caffier das zur
       Privatsache erklärt.
       
       Am Freitag gibt Caffier gegenüber dem Spiegel zu, dass er Anfang 2018 eine
       Kurzwaffe bei T. gekauft habe. Es habe damals keine Verdachtsmomente gegen
       dessen Firma gegeben. Er bedauere, dass er sich nicht vorher erklärt habe.
       
       In dem Interview behauptet Lorenz Caffier, in Mecklenburg-Vorpommern seien
       die ersten Unterlagen zum Nordkreuz-Komplex erst Anfang 2019 angekommen.
       Das stimmt aber nicht. Der Landesverfassungsschutz hat bereits im März 2018
       Ermittlungsunterlagen des Bundeskriminalamts zu dem Fall erhalten. So steht
       es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion.
       
       14 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Erb
 (DIR) Christina Schmidt
       
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