# taz.de -- Merkel-Appell zur Coronakrise: Fast ein neues „Wir schaffen das“
       
       > Kanzlerin Angela Merkel wirbt um Verständnis für die neuen Coronaregeln.
       > Wichtiger als Verbote ist aus ihrer Sicht Vernunft – und da hat sie
       > Hoffnung.
       
 (IMG) Bild: Nüchtern, aber eindringlich: Angela Merkel am Montag bei der Bundespressekonferenz
       
       Es kommt nicht oft vor, dass die Bundeskanzlerin kurzfristig und
       ausführlich vor die Presse tritt. Doch die aktuelle Entwicklung der
       Coronazahlen beunruhigt Angela Merkel offensichtlich so sehr, dass sie sich
       am Montag noch einmal an die Öffentlichkeit wandte, um die neuen Regeln zu
       erklären und für ihre Einhaltung zu werben. Für Kritik äußerte Merkel
       durchaus Verständnis: „Die Menschen sind natürlich enttäuscht, dass das
       Ganze so lange anhält“, sagte sie. Für die Politik gebe es angesichts der
       aktuellen Entwicklung aber keine Alternative zu schnellem Handeln.
       
       Die [1][seit Montag geltende Beschränkung] von Kontakten auf höchstens 10
       Personen aus zwei Haushalten und die Schließung von Gastronomie-, Kultur-
       und Sporteinrichtungen seien hart, aber unverzichtbar, so Merkel. „Das
       bedeutet vier Wochen lang Verzicht auf vieles, was das Leben schön macht“,
       räumte die Kanzlerin ein. „Wir haben lange abgewogen, ob es einen besseren
       oder milderen Weg gibt. Wir haben ihn nicht gesehen, und deswegen haben wir
       diese Regelung schweren Herzens beschlossen, aber eben auch aus
       Überzeugung.“
       
       Tatsächlich sind die aktuellen Coronazahlen weiterhin alarmierend: Die Zahl
       der täglich gemeldeten Neuinfektionen stieg im 7-Tage-Mittel auf den neuen
       Rekordwert von über 15.300 Fällen – wobei sich die Wachstumsrate im
       Vergleich zur Vorwoche etwas verlangsamt hat. Die Zahl der Coronatoten lag
       in der letzten Woche im Schnitt bei 68 am Tag, und die Intensivstationen
       füllen sich mit hoher Geschwindigkeit mit Coronapatient*innen: Am Dienstag
       stieg ihre Zahl auf 2.243. Sie verdoppelt sich damit weiterhin alle 10
       Tage. Wenn es bei diesem Tempo bleibt, wäre noch im November mit einer
       Überfüllung zu rechnen.
       
       Und nicht nur bei älteren Menschen und Risikogruppen, sondern auch bei
       jungen Menschen gebe es schwere Verläufe und Langzeitschäden, warnte
       Merkel. „Insofern ist Vorsicht auf allen Ebenen geboten, nicht erst, wenn
       es um die Beatmungsmaschine geht, sondern möglichst viele Menschen vor
       diesem Virus zu schützen.“
       
       ## Ungleichbehandlung verteidigt
       
       Ausführlich ging die Kanzlerin auch auf [2][diverse Kritikpunkte] ein. Dass
       der Bundestag nicht genug eingebunden sei, trifft aus ihrer Sicht nicht zu.
       Es sei die ausdrückliche Entscheidung des Parlaments gewesen, angesichts
       der Notlage die Kompetenzen des Gesundheitsministers zu erweitern. Auch die
       Ungleichbehandlung verschiedener Wirtschaftszweige verteidigte Merkel. Es
       sei eine bewusste Entscheidung, dass die produzierende Wirtschaft
       weiterarbeiten dürfe und Schulen, Kitas und Geschäfte aufbleiben, während
       kontaktintensive Bereiche, die weniger essentiell sind, geschlossen werden.
       „Alles zuzumachen wäre vielleicht das Gerechteste, aber nicht das
       Lebenspraktischste“, so Merkel. Wenn sich nach zwei Wochen herausstelle,
       dass die beschlossenen Beschränkungen nicht genügen, um die Infektionszahl
       zu senken, seien aber noch weitergehende Schließungen möglich.
       
       Dass Gottesdienste weiter stattfinden dürfen, erklärte sie damit, dass dies
       nach Ansicht von Verfassungsrechtler*innen aufgrund des Grundrechts der
       Religionsfreiheit „zwingend geboten“ sei, solange auch Schulen und Kitas
       offen bleiben.
       
       Bei der Umsetzung der Regeln setzt die Kanzlerin weniger auf Kontrollen als
       auf Einsicht. Zwar könne bei Verstößen auch das Ordnungsrecht zur Anwendung
       kommen. Aber sie wolle das „nicht nur über Strafen regeln“, sagte Merkel.
       Sondern: „Ich glaube in einer Demokratie an die Kraft der Vernunft und der
       Verantwortung.“
       
       ## Keine Großveranstaltungen
       
       Zwar sei davon auszugehen, dass es Großveranstaltungen und Partys noch für
       einen längeren Zeitraum nicht geben werde. Aber zumindest eine teilweise
       Rückkehr zur Normalität hält die Kanzlerin für möglich. „Es klappt doch
       auch gut“, sagte sie unter Verweis auf die weitgehende Akzeptanz von
       Masken, die vor einem Jahr in Deutschland noch undenkbar schien. „Und jetzt
       müssen wir uns noch ein bisschen mehr anstrengen, dann kriegen wir das
       vielleicht auch wieder hin.“
       
       Das war nicht ganz so prägnant wie das „Wir schaffen das“, das Merkel vor
       gut fünf Jahren an gleicher Stelle gesagt hat. Aber die Botschaft war
       durchaus vergleichbar.
       
       2 Nov 2020
       
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