# taz.de -- Die Frau mit dem Flammenwerfer
       
       > Ein Film wie ein Konzeptalbum mit Musik von Nicolas Jaar: Pablo Larraín
       > lässt in „Ema“ seine Hauptfigur selbstbestimmt und in grellen Farben
       > durch die Hafenstadt Valparaíso tanzen
       
 (IMG) Bild: Sie liebt Reggaeton: Ema (Mariana di Girolamo) bei der Arbeit
       
       Von Till Kadritzke
       
       Die ersten Bilder sind geheimnisvoll, scheinen fast eine Superheldin
       anzukündigen: eine brennende Ampel, dann die Silhouette einer Frau, einen
       Flammenwerfer in der Hand.
       
       Aber Ema ist Tänzerin, mit blondierten, nach hinten gegelten Haaren, so
       farbenfroh wie sportlich angezogen, in Style und Attitüde mischen sich
       Techno und Punk. Die Mittzwanzigerin gibt dem neuen Film von Pablo Larraín
       nicht nur seinen Namen, sondern hat ihn so fest im Griff wie irgendwann den
       Flammenwerfer aus dem rätselhaften Prolog. Und sie flieht mit diesem Film
       in alle möglichen Richtungen.
       
       Dass [1][„Ema“] keinem Regisseur, sondern ganz seiner Heldin hörig scheint,
       das ist selbst wieder ein Kunststück des chilenischen Filmemachers. Schon
       Larraíns unkonventionelle Biopics [2][„Neruda“] und [3][„Jackie“], die in
       Deutschland Anfang 2017 nur kurz nacheinander in die Kinos kamen, ließen
       die ausgetretenen Pfade des Biopics links liegen, näherten sich dem
       chilenischen Dichter und der einstigen First Lady der USA mit einer Art
       respektloser Zuneigung, suchten nicht nach Kohärenz und Präzision, sondern
       nach einer möglichst hohen Durchlässigkeit.
       
       Dieser anarchische Geist zeichnet auch „Ema“ aus, ein Film, der keine
       historische Figur porträtiert oder sich – wie Larraíns Trilogie aus „Tony
       Manero“, „Post Mortem“ und [4][„No!“] – am Erbe der Pinochet-Diktatur
       abarbeitet, sondern aus der Gegenwart der Hafenstadt Valparaíso erzählt.
       
       Ema und ihr zwölf Jahre älterer Partner Gastón haben einen Sohn adoptiert,
       diesen Sohn aber wieder ans Jugendamt zurückgegeben, nachdem der Kleine
       Emas Schwester die Haare angezündet und ihr dabei das halbe Gesicht
       verbrannt hat. Und weil man ein sechsjähriges Kind nicht einfach so
       zurückgibt, nur weil man überfordert ist, bewohnen Ema und Gastón jetzt
       eine Innenwelt aus Reue und Selbsthass und bewegen sich durch eine
       Außenwelt aus Vorwürfen und bösen Blicken. Und natürlich knirscht’s auch in
       der Beziehung gewaltig.
       
       Auf Umwegen erzählt „Ema“ nicht zuletzt davon, wie die Mutter dem
       verstoßenen Sohn (für den sich Larraín als Figur glücklicherweise wenig
       interessiert) wieder näherkommen will. Was den Film aber vor allem
       ausmacht, ist nicht die Erzählung, sondern sind seine Umwege. Auf denen
       bandelt Ema mit einem verheirateten Feuerwehrmann an und verführt ihre
       deutlich ältere Scheidungsanwältin, nimmt sie einmal mit zu einer ziemlich
       sex-positiven Tanznacht mit ihren hippen Freundinnen. Und sie beschimpft
       Gastón, der keine Kinder kriegen kann, weshalb die Adoption für die beiden
       überhaupt erst in Betracht kam. Einmal bezeichnet sie ihn als menschliches
       Kondom.
       
       Verkörpert wird dieser Gastón von einem deutlich gereiften Gael García
       Bernal, der, wie schon in seiner Polizistenrolle in „Neruda“, durch sein
       uneitles Spiel der Eitelkeit seiner Figur auf die Schliche kommt. Gastón
       ist Choreograph, übt gerade ein aufwändiges neues Stück mit Ema und anderen
       Tänzerinnen ein. Auch in den immer offensichtlicheren Spannungen zwischen
       männlichem Visionär und den jungen Frauen, auf die er für seine Vision
       angewiesen bleibt, ist Larraíns Plädoyer für Popkultur und Kontrollverlust
       unüberhörbar.
       
       Einmal versteigt sich Gastón in eine Tirade gegen den Reggaeton, den Ema
       und ihre Freundinnen lieben, wettert gegen den stumpfen Rhythmus, das
       Macho-Gehabe, prallt mit seinem Kulturpessimismus aber an einer sexy Mauer
       aus selbstbewussten Millennials ab. „Wir tanzen den Orgasmus, wegen dem du
       überhaupt nur auf der Welt bist“, muss sich Gastón anhören.
       
       Dabei ist Larraín selbst ein Choreograf, nicht nur von Schauspielerkörpern,
       sondern auch von Kamerabewegungen, Schnitten und Sounds, die er auf die
       tollen Schauplätze und Farben von Valparaíso loslässt. Anders als der
       Kontrollfreak Gastón sucht er dabei nicht die Perfektion, sondern den
       stetigen Aufbruch in neue Gefilde, den Wechsel von ästhetischen Registern
       und Stimmungen.
       
       Mitunter fühlt sich „Ema“ daher weniger wie ein narrativer Film an als wie
       ein Konzeptalbum, dessen filmische Tracks verknüpft werden von den
       gedehnten, angespannten Synthie-Sounds von Elektro-Avantgardist Nicolas
       Jaar. Und getragen von der faszinierenden Hauptdarstellerin Mariana di
       Girolamo, die bislang vorwiegend in chilenischen Soap Operas zu sehen war.
       Hier tanzt sie sich durch den Film, durch Probebühnen, Fußballplätze und
       das Hafenpanorama. Noch in Emas dunkelsten, tanzlosen Stunden behauptet sie
       ihre körperliche Souveränität.
       
       Wenn „Ema“ gegen Ende dann doch noch einen Twist bereithält, der
       rückblickend eine ziemlich straighte narrative Linie durch dieses Flickwerk
       von einem Film zieht, dann fühlt man sich alles andere als verraten.
       Schließlich bestätigt sich hier nur, was bereits die ersten Bilder ahnten:
       Diese Ema ist wohl irgendwie doch eine Superheldin.
       
       „Ema“. Regie: Pablo Larraín. Mit Mariana di Girolamo, Gael García Bernal u.
       a. Chile 2019, 102 Min.
       
       21 Oct 2020
       
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