# taz.de -- Fashion Week während Corona: Gemütlich revolutionär
       
       > Die Modewochen warteten mit Designs für ein behagliches Social Distancing
       > auf. Extra nach London, Mailand und Paris musste dafür kaum jemand
       > reisen.
       
 (IMG) Bild: Die aktuelle Prada-Kollektion entstand durch Zusammenarbeit zwischen Miuccia Prada und Raf Simons
       
       Natürlich war nichts so wie immer. Die Entwürfe, die bei den aktuellen
       Modewochen gezeigt wurden, entstanden in einer Zeit, in der die Normalität
       in sich zusammenfiel. Bei den Winterkollektionsschauen zu Beginn des Jahres
       war die Stimmung noch ebenso apokalyptisch wie inszenierungswütig.
       
       Rick Owens Schlafsack-Capes und Marine Serres Balaklavas und
       Atemschutzmasken verbreiteten Endzeitstimmung, [1][Demna Gvasalia] flutete
       für Balenciaga Laufsteg und Front Row und der Choreograf Michele Rizzo
       realisierte für Marni eine Show voll düsterer Schönheit, die die Grenzen
       zwischen Performancekunst und Modenschau verschwimmen ließ. Dann kam die
       globale Pandemie und brachte nicht nur den Produktionsprozess der
       Frühjahrskollektionen, sondern auch [2][die Fashion Week] selbst
       durcheinander.
       
       In England, wo aktuell maximal sechs Personen aus unterschiedlichen
       Haushalten zusammentreffen dürfen, fand die London Fashion Week
       ausschließlich digital statt. Mailand entschied sich [3][ebenso wie Paris]
       für ein Hybridmodell aus digitalen Präsentationen und vor reduziertem
       Fachpublikum gezeigten Liveshows.
       
       Kreativ wurde es in Mailand vor allem bei den digitalen Varianten: Jeremy
       Scott orchestrierte für Moschino eine Marionettenshow samt
       Anna-Wintour-Puppe im Publikum, das Streetwear-Label GCDS schöpfte die
       endlosen Möglichkeiten der digitalen Raumbildung vollends aus und kreierte
       einen überdrehten Spacepalast, in dem Modelavatare mit artifiziell
       hochglänzender Haut laute Entwürfe vor einem Publikum aus Aliens,
       Plüschtieren und Popstars präsentierten.
       
       ## Nyloncoolness trifft auf Streetwear
       
       Auch die mit Spannung erwartete Prada-Kollektion, die in erstmaliger
       Zusammenarbeit zwischen Miuccia Prada und Co-Designer Raf Simons entstand,
       fand als Livestream ohne Publikum statt. Die Models schritten durch einen
       senfgelben Raum, vorbei an rotierenden Kameraarmkonstrukten und
       präsentierten eine zurückgenommene Symbiose zweier distinkter Formsprachen:
       Pradas klare Nyloncoolness traf auf Rafs Streetwear-Schnitte und großzügige
       Slogans.
       
       Neben Umhängen, die von den Models wie eine übergeworfene Decke vor der
       Brust zusammengehalten wurden, zeugte vor allem ein Detail von der Neuen
       Normalität, für die die Kollektion entworfen wurde: Die Prada-Logos sind so
       hoch an den Rollkragen und Seidentops platziert, dass sie auch im
       begrenzten Bildausschnitt der Zoomkonferenz sichtbar bleiben.
       
       Dass es allein aufgrund der erschwerten Produktionsbedingungen keine
       Fashion Week der Überraschungen und großen Gesten geben würde, war bereits
       im Vorfeld klar. Die meisten Designer*innen bewegten sich verlässlich und
       gemächlich in die Richtungen weiter, die sie bereits in vorherigen Saisons
       eingeschlagen hatten.
       
       Weiche, fließend fallende Stoffe und Entwürfe wie Balenciagas
       Hotelpantoffel-Schuhe bedienten sich der Bildsprache einer anheimelnden
       Behaglichkeit, der man auch in Kunst und Werbung vermehrt begegnet. Die
       einer verhältnismäßig privilegierten Erfahrung des Lockdowns entsprungene
       Ästhetik fand ihre expliziteste und damit auch spannendste Umsetzung in
       Silvia Venturinis letzter Kollektion für das Label Fendi.
       
       ## Corona Coziness
       
       Die Show eröffnete mit einer Reihe von Entwürfen aus Leinen und
       transparentem Chiffon, die so präzise mit Schatten von Fensterrahmen,
       Topfpflanzen und Bäumen bedruckt waren, dass man sich an einem sonnigen Tag
       in der Wohnung der Designerin wähnte; der finale Look war ein reich
       besticktes Bettdecken-Daunencape.
       
       Die Corona Coziness manifestierte sich auch in der trostspendenden
       Kommunalität einer virtuell vernetzten Gemeinschaft. Im Fokus zahlreicher
       Shows stand weniger die Kleidung als vielmehr die jungen, charakterstarken
       und ganz beiläufig fantastisch aussehenden Kreativen, die sie zur Schau
       stellten.
       
       Burberry ließ seine Models im Wald einer Anne-Imhof-Performance beiwohnen,
       Francesco Risso arbeitete für sein ambitioniertes „Marnifesto“ mit 48
       Künstler*innen und Models zusammen, die in umgeschneiderten Entwürfen
       vergangener Kollektionen Gemüse einkauften, Gassi gingen, Schlagzeug
       spielten und ihre Hände desinfizierten.
       
       Der anderthalbstündige Zusammenschnitt der Privataufnahmen zeigte
       verwackelte Einblicke in WG-Küchen, gleichberechtigt neben öffentlichen
       Gesangseinlagen von [4][Musiker*innen wie Yves Tumor] und [5][Mykki
       Blanco].
       
       ## „Sunglasses at Night“
       
       Nicht nur bei Marni wurde die Straße zum Catwalk: Angeführt von
       Hyperpop-Sängerin Caroline Polachek steuerten die Céline-Models den
       Laufsteg im Centre Pompidou von verschiedenen Kreuzungen und Bürgersteigen
       aus an, Balenciaga-Models stampften zu einem Cover von „Sunglasses at
       Night“ durchs nächtliche Paris. Der beherzte Schritt in den öffentlichen
       Raum lässt sich als eine Kehrtwende weg von dem elitären
       Exklusivitätsdenken deuten, das die Modewochen normalerweise prägt.
       
       Die Krise hat ohnehin bestehende Bedeutungsverschiebungen weiter
       akzeleriert. Kreativdirektion ist zur wichtigsten Aufgabe der Modewelt
       avanciert. Mehr noch als um das Entwerfen von Kleidung geht es um die
       Entwicklung einer allumfassenden Markenidentität, um Kooperation und
       Kommunikation. Während Magazine mit Umsatz- und Identitätskrisen kämpfen,
       geben Modehäuser Projekte mit hohem künstlerischem Mehrwert in Auftrag und
       liefern die ausführlichste Berichterstattung über ihre eigenen Kollektionen
       gleich selbst.
       
       Wie die Beratungsfirma Launchmetrics der Zeitschrift Business of Fashion
       erklärte, machten die eigenen Social-Media-Kanäle der Modehäuser bei den
       aktuellen Fashion Weeks durchschnittlich 50 Prozent der Medienwirkung aus –
       ein Anstieg von circa 30 Prozent im Vergleich zu früheren Modewochen.
       
       Wozu noch [6][Fotos auf Vogue] Runway anschauen, wenn der HD-Livestream die
       besten Bilder liefert? Wozu von Werbegeldern weichgespülte Kritiken lesen,
       wenn Prada und Simons ihre Kollektion direkt im Anschluss an die Show
       selbst erläutern? Der Modejournalismus wird sich neu kalibrieren müssen, um
       seine Position als Konsekrationsinstanz beizubehalten.
       
       Die Kollektionen der aktuellen Saison mögen kuschelig daherkommen, doch sie
       haben auch gezeigt, dass Fashion Week egalitärer, emissionsfreier und
       aufrichtiger funktionieren kann. Wäre es nicht den äußeren Umständen der
       Pandemie geschuldet, könnte man dieses Durcheinanderwirbeln der
       Konventionen gar aufrührerisch nennen. Es bleibt abzuwarten, welche
       Veränderungen bestehen bleiben, wenn sich der Staub gelegt hat.
       
       5 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Donna Schons
       
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