# taz.de -- Die Wahrheit: Terror-Rap im Irrsinn
       
       > Neues aus Neuseeland: In Aotearoa lassen sich Menschen vor den
       > Verschwörungstheoretikerkarren spannen, die zum Teil Besseres verdient
       > hätten.
       
       Während sich Reichsbürger für den Sturm auf Berlin rüsteten, beschäftigte
       ich mich mit dem Moschee-Attentäter von Christchurch. Er wurde vorige Woche
       in einem viertägigen Verfahren verurteilt. Wichtiger als das blasse
       Nazi-Würstchen, das auf der Anklagebank ins Leere starrte, während sein
       Massaker rekonstruiert wurde, waren jedoch die Überlebenden.
       
       Nachdem das erste Dutzend Opferberichte vorgetragen wurde, schnappte ich in
       der Mittagspause vor dem Gericht Luft. Da ging gerade eine Art Straßenshow
       ab, die der deutschen Demo alle Ehre gemacht hätte. Poster, auf denen die
       „Feinde des Volkes“ verzeichnet waren, ihre „Vasallen“ von Gates bis
       Zuckerberg, und unter dem Aufschrei gegen Masken, Impfen und Lockdown stand
       dick mit Filzstift: „Wake up!“
       
       Wem erzähle ich das – die Transparente rund um die Siegessäule in Berlin
       waren wahrscheinlich viel größer und mit Herzchen dekoriert. Die Handvoll
       Freiheitskämpfer hier vor dem Gerichtsgebäude waren keine Weltnachricht.
       Doch ihre Plakate enthüllten eine Sensation: Der Terroranschlag vor einem
       Jahr war von unserer Regierung eingefädelt worden, um danach alle Waffen
       einkassieren zu können. Voll durchschaut!
       
       Neuseelands Verschwörungsszene hat eine neu gegründete Partei, ebenfalls
       angeführt von einem Fernsehkoch und einem indigenen Musiker – Attila
       Hildmann und Xavier Naidoo lassen grüßen! Diese Truppe hat großen Zulauf
       bei Maori, weil die aus historischen Gründen misstrauisch gegenüber dem
       Staat sind. Vor dem Gericht wehten auch Maori-Unabhängigkeitsfahnen. Da
       QAnon jedoch rassistisch ist, ist das wohl noch nicht ganz zu Ende gedacht.
       
       Während ich über „Lügen und Vertuschungen“ las, dröhnte Musik neben mir
       los. Ein Mann mit schwerer Goldkette fing vor den Verschwörungsplakaten an
       zu rappen. Viel konnte ich nicht verstehen, aber es ging um Jacinda –
       unsere Premierministerin, die damals mit Kopftuch trauernde Muslime
       tröstete. Als der Rapper mich sah, ließ er das Mikro los und schwallte mich
       zu. Er zog was Gedrucktes aus der Tasche: eine Art Manifest.
       
       Ich las: Jacinda Ardern steckt hinter dem Terroranschlag in Aotearoa. Der
       Australier Brenton Tarrant, mittlerweile bis ans Lebensende im
       Hochsicherheitstrakt: „nur eine Marionette“, so der Rapper – ein netter
       Kerl, er roch nach Joints. Er grinste mich verschwörerisch – klingt jetzt
       platt, aber so war es tatsächlich – an. Warum ich das alles komplett
       ironiefrei erzähle? Weil der afghanische Vater dieses Mannes in der
       Al-Nur-Moschee erschossen wurde.
       
       Während in mir die Traumata aus dem Gerichtssaal rumorten und vor mir das
       Opfer eines White Supremacists seine QAnon-Sprüche rappte, wurde es noch
       unüberschaubarer. Ein verurteilter Neonazi, der mal ein
       Maori-Versammlungshaus zu sprengen versucht hatte, stellte sich daneben, um
       seine Protestkumpels zu unterstützen. Nicht nur in Berlin blickt keiner
       mehr durch.
       
       3 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Richter
       
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