# taz.de -- Massenproteste in Belarus: Streik folgt Protest
       
       > In Belarus hat die Opposition zur Arbeitsniederlegung aufgerufen.
       > Arbeitende stehen nun unter Druck – nicht nur vonseiten des
       > Lukaschenko-Regimes.
       
 (IMG) Bild: Montag in Minsk: Demonstration gegen Staatschef Lukaschenko
       
       Kiew taz/dpa | Nachdem es der belarussischen Opposition am Sonntag gelungen
       ist, zwischen 200.000 und 300.000 Menschen allein [1][in der Hauptstadt
       Minsk zu mobilisieren], hat die Opposition zu dezentralen Aktionen und
       Streiks aufgerufen. Die Aufrufe wurden am Montag [2][unterschiedlich
       umgesetzt].
       
       Gegenüber der taz berichtete Alexandra, die Ehefrau eines Arbeiters des
       Minsker Konzerns Belaruskali, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung
       lesen möchte, dass die Streikaufrufe am Montag weitgehend, aber nicht
       vollständig in drei großen Fabriken – Belaruskali, dem Minsker
       Traktorenwerk und dem Fahrzeughersteller BelAZ – befolgt wurden.
       
       „Gleichwohl kann man nicht sagen, dass ganz Belarus streikt“, sagt
       Alexander Oparin, Lektor für Philosophie an der staatlichen Universität in
       Minsk und aktives Mitglied der linken Partei Gerechte Welt, gegenüber der
       taz. Die Opposition übertreibe, Regierungsmedien spielten die Streiks
       herunter. „Was wir jetzt haben, kann eine Vorstufe eines großen Streiks
       sein. In keinem Werk wird vollständig gestreikt, aber es gibt viele
       Betriebe, in denen einige Abteilungen streiken.“
       
       Die Regierung, so Oparin, übe Druck auf Streikbereite aus, einige seien vom
       Geheimdienst KGB zu einem „Gespräch“ vorgeladen worden, Mitglieder von
       Streikkomitees seien festgenommen worden. Es gebe aber auch Drohungen von
       anderer Seite. So hätten Streikende die Streikbrecher bedroht.
       
       Staatschef Alexander Lukaschenko forderte bei einer Sitzung am Montag vor
       Beginn des neuen Schuljahres alle Lehrer, die gegen ihn sind, auf, den
       Schuldienst zu verlassen. In Staatsbetrieben, in denen Teile der
       Belegschaft streiken, ließ er Streikführer festnehmen.
       
       ## Das Militär hält zum Staatschef
       
       Der Aufstand gegen Lukaschenko geht in die dritte Woche. Die Lage ist
       verfahren, weil Lukaschenko nach der von beispiellosen Betrugsvorwürfen
       überschatteten Präsidentenwahl weiter davon ausgeht, dass er gewonnen hat.
       Viele in Belarus fragen sich nun, wie es einen Ausweg aus der Krise geben
       kann. Militär und Sicherheitskräfte halten Lukaschenko die Treue.
       
       Die Fronten sind verhärtet. Gesprächsangebote des von der neuen
       Demokratiebewegung gegründeten Koordinierungsrates lässt der 65-Jährige mit
       Festnahmen beantworten. Laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation
       [3][Wjasna] wurden am Montag Olga Kowalkowa und Sergej Dylewskij vom
       Koordinierungsrat verhaftet. Ihnen werden der Organisation zufolge illegale
       Streiks vorgeworfen.
       
       Am Samstag war zudem Andrej Ostapowitsch, ehemaliger Ermittlungsbeamter in
       Minsk, aus Russland zurück nach Belarus [4][abgeschoben worden]. Aus
       Protest gegen das Vorgehen gegen die Demonstranten hatte er zuvor seinen
       Dienst quittiert und war anschließend nach Russland gereist, von wo aus er
       nach Lettland hatte fliehen wollen.
       
       Am frühen Montagnachmittag, so das Portal der Menschenrechtsorganisation
       [5][Charta97], marschierte außerdem das Streikkomitee von Belaruskali zur
       örtlichen Miliz von Soligorsk, um der Forderung nach Freilassung ihres
       Co-Vorsitzenden Anatoli Bokun Nachdruck zu verleihen. Bokun war am Montag
       in Soligorsk festgenommen worden.
       
       ## Lukaschenko in Kampfmontur
       
       Am Sonntagabend hatte das weißrussische Staatsfernsehen Alexander
       Lukaschenko gezeigt – in Kampfuniform und schusssicherer Weste mit einer
       Kalaschnikow in der Hand. Mit dabei war auch der ebenfalls bewaffnete
       15-jährige Sohn Lukaschenkos, Nikolaj.
       
       Der martialische Auftritt wurde in Belarus unterschiedlich wahrgenommen.
       „So ist er, der Lukaschenko. Er liebt es, schockierende Dinge zu tun, aber
       den Militärs und Polizisten hat’s wohl gefallen“, kommentierte Liolik
       Uchkin von den belarussischen Grünen den Vorfall. Das Verhalten würde aber
       von oppositionellen Medien als Schwäche interpretiert, so Uchkin.
       
       Anders Alexandra: „Ich bin schockiert. Zuerst haben Soldaten und nicht
       Polizisten am Sonntag die Stella (Denkmal in Minsk; Anm. d. Red.) mit
       Stacheldraht abgeriegelt und bewacht und dann dieses Auftreten von
       Lukaschenko und seinem minderjährigen bewaffneten Sohn.“
       
       Die Message sei klar: „Er hat deutlich gemacht, dass er mit Gewalt gegen
       friedliche Demonstranten vorgehen will und das mit der Armee machen wird.“
       Jetzt könne man nur noch hoffen, dass sich die Armee weigert, Befehle eines
       verrückten Präsidenten auszuführen. „Wenn ich aus Belarus fliehen könnte,
       würde ich es sofort tun“, beendet sie das Telefonat.
       
       Unterdessen herrscht Rätselraten um den Vorsitzenden des belarussischen
       Leichtathletikverbandes, Wadim Dewjatowski. Der Sportler hatte sich immer
       für Lukaschenko positioniert. Unerwartet hatte er dann vergangene Woche auf
       Facebook gepostet: „Lukaschenko ist nicht mein Präsident.“ Als die Zeitung
       Nascha Niva den Sportfunktionär um ein Interview bitten wollte, habe eine
       unbekannte Frau Dewjatowski, der sich im Krankenhaus befand, den Hörer aus
       der Hand genommen.
       
       24 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Demonstrationen-in-Belarus/!5709037
 (DIR) [2] https://belzabastovka.org/
 (DIR) [3] http://spring96.org/ru/news/99222
 (DIR) [4] https://www.kommersant.ru/doc/4465809
 (DIR) [5] https://charter97.org/ru/news/2020/8/24/390709/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
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