# taz.de -- Die Wahrheit: Die Tartarus-Taktik
       
       > Endlich eine Party. Mit Freunden. Und allem Drum und Dran. Außer Musik.
       > Schließlich könnte die Feier in den Grölmodus hinüberschwappen …
       
       Kollege Klingenberg lud zum schätzungsweise 100. Geburtstag ein. Wir kennen
       uns so lange, ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Zehn Menschen aus
       unterschiedlichen Haushalten fanden sich in seiner geräumigen
       Junggesellenbude ein. Alles ganz vernünftige Mensch mit wenigstens
       anarchistischer, vermutlich aber eher linksradikaler Gesinnung, die eine
       Seuche mit der notwendigen Mischung aus Demut, Stoizismus und kritischer
       Aufmerksamkeit durchzustehen bereit waren. „Es nervt schon sehr, aber
       siehste doch, was bei den Faschos Trump und Bolsonaro abgeht.“
       
       Um das Unglück nicht herauszufordern, hatte „Klinge“, so nennen ihn seine
       Kinder – die werden schon wissen, warum – ein eigenes Sicherheitskonzept
       ausbaldowert. Ich nenne es mal die Tartarus-Taktik. Er ließ nämlich seine
       Spotify-Playlist über den Fernseher laufen, aber damit gar nicht erst so
       etwas wie Stimmung aufkommen und die kleine Party in den Grölmodus
       hinüberschwappen konnte, wo die Aerosole wuchern, hatte er den Ton
       ausgedreht. Man sah also nur das Plattencover und den jeweiligen Titel. Den
       Rest besorgte das Gedächtnis, oftmals im Verein mit ein bisschen tätiger
       Fantasie.
       
       „Ihr kennt den Kram doch sowieso in- und auswendig“, sagte Klinge mit
       verdrossener Miene und hängenden Schultern. Tatsächlich ist sein
       Musikgeschmack so dermaßen durchschnittlich und vorhersagbar, dass einer
       gut gelaunten Party nichts mehr im Wege stand.
       
       „,Riding With A Driver’, wow, eines meiner Lieblingslieder von Motörhead“,
       rief ich. „Leider hat Lemmy den nie live gespielt, glaube ich jedenfalls.“
       
       „Hmhm mmmhmhm hmhmhm hmhmhm“, grummelte Klinge jetzt mit vorbildlich
       geschlossenem Mund. Und wir anderen röchelten hinterher, sogar die Frauen.
       Es klang wie der Anfängerverein für mongolisches Obertonschnorcheln. Der
       Hammer!
       
       „Ihr Hund kann ja gar nicht sprechen“, rief Roland, der Neuankömmling, dem
       man jetzt schnell die Sicherheitsbestimmungen beigebogen hatte und die
       Anfangsgründe des Kehlkopfkollerns. Mit „Sex & Violence“ von Exploited.
       
       Ulla war nicht ganz so amused über Rolands Anwesenheit. Sie kannten sich
       von vergangenen Feiern, in denen er schon mit veganem Spezialwissen
       aufgetrumpft hatte. Auch jetzt salbaderte er gleich von seiner aktuellen
       Kimchi-Produktion. „Weißte, was man noch super zubereiten kann?“,
       unterbrach sie ihn mit Totengräberinnenstimme. „Lauch!“
       
       Aber Roland erkannte die Signale nicht und faselte und faselte. Als er beim
       Salbei war, ging sie dazu über, unserem Kreis mit Daumen und Zeigefinger
       die vermutete Größe seines Piephahns anzuzeigen. Er konnte dann leider
       nicht mehr lange bleiben. Er musste noch zur Nachtschicht. „Na klar“, rief
       ihm Ulla hinterher und verdrehte genervt die Augen. Und als dann zu unser
       aller Beruhigung eine Tüte rumging, machte Klinge schließlich doch noch die
       Musik lauter.
       
       11 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
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