# taz.de -- Datenschutz versus Infektionsschutz: Lust auf Liste
       
       > Offenbar machen viele Menschen beim Ausfüllen von Corona-Adresslisten in
       > Cafés und Kneipen falsche Angaben. Möglicherweise aus Misstrauen.
       
 (IMG) Bild: Wartet nur auf die Bestellung: Die Polizei
       
       Auf diese Promo hätte die Berliner Gastwirtschaft wohl gerne verzichtet: 18
       Menschen, Gäste und Mitarbeiter*innen aus dem Betrieb, wurden positiv auf
       Covid-19 getestet, wie seit dieser Woche bekannt ist. Jetzt werden zur
       Vermeidung einer Ausbreitung weitere frühere Gäste gesucht, aber es gibt
       einen Haken: Auf den vorgeschriebenen Gästelisten hatten sich Dutzende
       Personen mit falschen Daten eingetragen. Die Liste war also weitestgehend
       unbrauchbar.
       
       Angesichts einer [1][drohenden zweiten Welle] ist das Verhalten solcher
       anonymer Trinker*innen gefährlich und unsozial. Dennoch fällt es schwer,
       sie dafür in Bausch und Bogen zu verurteilen.
       
       Die verspätete sommerliche Öffnung der Gastronomie war ein
       Hoffnungsschimmer: Vielleicht war ja doch noch ein Teil der im ersten
       Halbjahr verlorenen Umsätze wieder reinzuholen? Eine halbwegs stabile
       Perspektive hängt aber nicht unwesentlich davon ab, dass es zu keiner
       weiteren größeren Ausbreitung des Virus kommt. Denn die würde einen,
       gegebenenfalls sogar härteren, zweiten Lockdown erzwingen. Die
       Hygieneauflagen strikt einzuhalten und die korrekte Führung von Gästelisten
       sind somit im Eigeninteresse der Branche, genauso wie dem der
       Allgemeinheit.
       
       Funktioniert aber nur, wenn alle mitziehen – und zwar freiwillig. Eine
       Ausweisabschrift an der Theke will schließlich niemand. Dafür ist großes
       Vertrauen notwendig: dass die so gesammelten Daten für nichts, aber
       wirklich nichts anderes verwendet werden als zur Rückverfolgung von
       Kontakten im Falle eines nachgewiesenen Infektionsrisikos.
       
       ## Egal, wie ehrenwert der Zweck
       
       Eine offen herumliegende, für alle Vorbeigehenden leicht einsehbare Liste
       mit Namen, Adressen und Telefonnummern, wie es in diversen Wirtschaften
       leider gehandhabt wird, weckt so ein Vertrauen schon mal nicht. Dazu kommen
       vereinzelte Berichte über Stalking, das Gäste seitens Mitarbeiter*innen
       erlebten, die Zugriff auf diese Adressdaten hatten. Datenschutz, das zeigt
       sich hier, ist nicht bloß eine abstrakte Kategorie, die Behörden und
       Großunternehmen angeht, sondern auch im kleinen ernst genommen gehört.
       
       Ein besonderer Vertrauensbruch jedoch ist die Herausgabe von Gästelisten an
       Ermittlungsbehörden, sofern die gerade nicht Infektionsketten unterbrechen
       wollen, sondern bequemen Zugriff auf mögliche Zeug*innen von Straftaten
       suchen.
       
       So geschehen beispielsweise [2][Anfang Juli in Hamburg nach einer
       Schlägerei] in Sichtweite einer Kneipe, aber nicht nur dort. Es „könnten
       Konfliktsituationen zwischen Gastwirten und Gästen zunehmen, wenn Gäste
       aufgrund gehäufter polizeilicher Abfragen Vorbehalte gegen die
       vorgeschriebene Gästedatenregistrierung haben“, befürchtet deshalb der
       Branchenverband Dehoga.
       
       Das bestätigt leider sämtliche Warnungen, die Datenschützer*innen jemals
       geäußert haben, wenn irgendwo persönliche Informationen gesammelt wurden.
       Denn egal wie ehrenwert der ursprüngliche Zweck: Liegen die Daten erst
       einmal vor, gibt es immer eine übereifrige Instanz, die sie anders nutzen
       möchte als vorgesehen.
       
       ## Dreyer sieht kein Problem
       
       Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ahnt vielleicht
       nicht einmal, welchen Flurschaden sie anrichtet, wenn sie derartiges
       polizeiliches Gebaren auch noch verteidigt. Dreyer findet es völlig
       unstreitig, dass die Polizei bei einem Anfangsverdacht auf eine Straftat
       [3][auch auf die Anwesenheitslisten zugreifen könne, erklärte sie am
       Dienstag].
       
       Sagen wir mal, zwei Polizeibeamte hätten ohne richterlichen Beschluss eine
       Servicekraft in einem Gastrobetrieb um eine solche Liste bedrängt, zum
       Beispiel um einen Autodiebstahl aufzuklären. Genau darauf läuft es nämlich
       in einer solchen Gemengelage hinaus. Eine ziemlich offensichtlich
       rechtswidrige Praxis wird einfach durchgezogen. Spätere gerichtliche
       Klärung ändert daran dann auch nichts mehr und verhindert erfahrungsgemäß
       auch nicht die Wiederholung.
       
       Nun lässt sich selbstverständlich argumentieren, dass die relativ niedrige
       Häufigkeit der (bekannt gewordenen) Datenschutzverletzungen hinter das
       wichtige Anliegen des Infektionsschutzes zurückgestellt werden sollte.
       
       Aber das ist zu einfach. Sicher, Fehler passieren, gerade wenn dringliche
       Erfordernisse zum Schutz von Leib und Leben vorliegen. Aus diesen Fehlern
       aber muss gelernt werden. Dass das geht, hat sich ja bei der Entwicklung
       der [4][Contact-Tracing-App des RKI] gezeigt. Nach öffentlicher Kritik an
       der Konzeption wurde ein dezentrales Speichermodell gewählt, das den
       Missbrauch von Daten zwar nicht ausschließt, aber immerhin deutlich
       erschwert.
       
       Für die Gastronomie heißt das, dass eine datenschutzkonforme Listenführung
       garantiert sein muss. Für die Polizei, dass sie konsequent der Versuchung
       zu widerstehen hat, auf Listen zuzugreifen. Und für die Politik, dass sie
       Zuwiderhandlungen nicht bagatellisieren darf. Sind diese Punkte erfüllt,
       fällt es auch leichter, die Gäste jener Berliner Kneipe für ihr unsoziales
       und gefährliches Verhalten zu verurteilen.
       
       29 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Coronatests-bei-Reiserueckkehrenden/!5699047
 (DIR) [2] /Daten-Missbrauch-in-Hamburg/!5693845
 (DIR) [3] https://www.rnd.de/politik/corona-listen-von-restaurants-und-hotels-polizei-zugriff-laut-dreyer-teils-gerechtfertigt-KV6LGJ7A6YZWGGG5WISOH7276U.html
 (DIR) [4] /Zwei-Wochen-Corona-App/!5693582
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniél Kretschmar
       
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