# taz.de -- Verschwörungstheoretiker demonstrieren: Dicke weiße Spucke-Bällchen fliegen
       
       > Unter den Hygiene-Demo-Teilnehmern finden sich ältere Menschen. Selbst
       > die wollen nichts von Solidarität wissen: „Diktatur, Diktatur.“
       
 (IMG) Bild: Sind das jetzt alles Spinner, oder macht man es sich da etwas zu einfach?
       
       Unterwegs nach draußen. Erster Stopp am Briefkasten. „Hallo! Unsere
       börsennotierte Immobiliengruppe verfügt über genügend Geld, bitte machen
       Sie sich keine Sorgen um die Miete.“ Habe noch immer keinen Brief dieser
       Art bekommen. Dafür aber einen anderen, worin steht, dass die
       börsennotierte Immobiliengruppe, meine Vermieterin, die Gesetze einhalten
       und mir nun gemäß Mietdeckel-Beschluss Auskunft über meinen Fall erteilen
       will. Die wollen die Gesetze einhalten? Find ich okay.
       
       Weiter steht da: Gemäß Paragraf soundso würde meine Wohnung soundso viel
       kosten … fast die Hälfte weniger? Dann steht da noch: Wie bereits erwähnt,
       sei dies jedoch lediglich eine Auskunft, dieses Schreiben bewirke „keine
       Absenkung der Miete“. Das Wort „keine“ ist in Fett geschrieben. Mir rutscht
       die Maske vom linken Ohr.
       
       Vor der Volksbühne. Kleine Grüppchen sitzen vereinzelt vorm Räuberrad, das
       mal aus Protest gegen den früheren Volksbühnen-Chef Dercon abgebaut wurde.
       Der ist weggegangen worden und jetzt steht es wieder da: das Räuberrad. Ich
       betrachte es zum ersten Mal genauer. Auf Streichholzpackungen, super; in
       echt, wie Mad Max mit Mel Gibson.
       
       Es ist Samstag. Wie in den letzten Wochen üblich, findet hier die
       [1][sogenannte Hygiene-Demo] statt. Es wird viel untereinander geredet.
       Robert Koch -Institut, Robert Koch-Institut, RKI, Grundgesetz, Grundgesetz,
       Bill Gates, NWO, New World Order, Staatsversagen.
       
       Sind das jetzt alles Spinner, oder macht man es sich da etwas zu einfach?
       Bestimmt werden lange Reportagen über diese Art von Leitfrage verfasst
       werden.
       
       ## „Ich liebe Corona“
       
       Eine Oma sitzt auf ihrem Stuhl und hält ein Schild hoch: „Ich liebe
       Corona.“ Ich weiß nicht, auf welcher Seite sie steht, denn es gibt hier
       unterschiedliche Parteien: es gibt nicht nur die Hygiene-Demo-Teilnehmer,
       die selbst in allen möglichen Facetten daherkommen – mit langen oder
       kurzgeschorenen oder auch pinkfarbenen Haaren oder Rastas; in Anzug, mit
       kurzen Hosen oder Leggings –, es gibt auch Proteste gegen die Protestler.
       
       Die Volksbühne will nichts mit der Demo zu tun haben und zeigt dies durch
       riesige Transparente. „Solidarität“ steht auf einem drauf, und man weiß,
       was gemeint ist: Liebe Leute, bleibt zu Hause, denkt an die Schwächeren und
       Älteren der Gesellschaft.
       
       Aber unter den Hygiene-Demo-Teilnehmern finden sich ältere Menschen, die
       nichts von dieser Solidarität wissen wollen. „Ach komm, hör auf, mach mal
       die Augen auf!“, sagen sie. Oder: „Diktatur, Diktatur.“ Sie winken dabei
       ab, wie nur Ältere es tun können.
       
       Die Polizei ist auch da, vereinzelt mit Mundschutz. Manchmal ziehen sie
       Menschen aus der Demo raus – Operation Platzverbot. Dann ist das Geschrei
       ordentlich: Paragraf soundso! [2][Dicke weiße Spucke-Bällchen] fliegen
       dabei durch die Gegend. Jenen rufen wiederum andere zu: „Geht doch einfach
       nach Hause!“ – bis sie selbst irgendwann nach Hause gehen. Und dann sind da
       noch so Zaungäste, so wie ich es bin.
       
       Weiter zum Alexanderplatz, dort haben sich spontan mehrere wütend
       dreinschauende Hooligans versammelt. Polizei ist auch da. Hier am Alex war
       ich schon tausend Mal. Immer wieder mit demselben Gedanken: Schnell weg
       hier!
       
       Das Wetter ist an diesem Wochenende toll, und auch auf dem Tempelhofer Feld
       ist viel los: Tausende liegen auf der Wiese, die einen spielen Tennis, die
       anderen Volleyball und wieder andere Wikinger-Schach. Hier scheint alles so
       wie vor Corona zu sein. „Lockdown Nummer 2 kommt ganz bestimmt“, sagt
       Markus – und danach noch: „Mambo Number Five.“ Hey, Macarena.
       
       Die Coronazeit ist mit mir verwachsen wie meine Haut. Die ist trocken und
       gereizt.
       
       11 May 2020
       
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