# taz.de -- nordđŸŸthema: Schönes Durcheinander
       
       > Bremerhaven hat nicht den besten Ruf, auch nicht, wenn es um touristische
       > Ziele geht. Dabei hat die Stadt einiges zu bieten – wenn man WidersprĂŒche
       > mag
       
 (IMG) Bild: Architektonische Vielfalt: Blick auf die Bremerhavener „Havenwelten“
       
       Von Jan Freitag
       
       Was schön ist und was eher weniger, liegt bekanntlich am
       Betrachtungswinkel. Vom grĂŒnderzeitlichen Bremer Ortskern aus gesehen,
       sieht zum Beispiel Bremerhaven eher trist aus. Verkehrsadern zerschneiden
       die Stadt, und Glasstahlkolosse verderben den Blick aufs Wasser. LĂ€sst man
       den Blick jedoch ĂŒber die Masten schicker Segeljachten ins Neubaugebiet am
       Weserstrand schweifen, verharrt dabei kurz am schiefen Leuchtturm und
       landet dann am Museumsstandort, wirkt selbst die große Nachbarstadt
       plötzlich kleiner. Es lohnt sich, einfach mal hinzufahren und die
       Hafenstadt vorbehaltlos auf sich wirken zu lassen. Dann nÀmlich entfalten
       Bremerhavens GegensĂ€tze einen starken Sog, der doch fast nie ĂŒberwĂ€ltigt.
       
       Vor allem atmet man an jeder Ecke Vergangenheit. Ganze drei Jahre nÀmlich,
       nachdem der hansestadtstolze, aber versandete Ankerplatz Bremen das
       Geestland 1827 erworben hatte, machte ein Schiff aus Baltimore in
       Bremerhaven fest, das Weltgeschichte schreiben sollte. Denn zurĂŒck segelte
       es mit Auswanderern Richtung Neue Welt – und bildete damit den Grundstein
       einer wirtschaftlichen Erfolgsstory, die sich in Dutzenden von DenkmÀlern
       spiegelt, mit denen die Stadt daran erinnert, was sie geprÀgt hat. Bis in
       die Gegenwart hinein liefen hier nÀmlich nicht nur Schiffe vom Stapel, es
       gingen auch mehr als sieben Millionen GeflĂŒchtete an Bord und machten ihre
       HeimatlÀnder damit zwar Àrmer, die Transitstadt dagegen immer reicher.
       
       Wer Bremerhaven vom Hauptbahnhof aus durch lieblos gestapelte
       Zweckbauviertel in die Innenstadt durchlÀuft, braucht ein wenig Fantasie,
       um sich das vorzustellen. Oder eben das Deutsche Auswandererhaus. Unterm
       Dach einer Holzfassade werden die Migrationsströme seit dem 17. Jahrhundert
       pÀdagogisch so wertvoll illustriert, dass ein Besuch Pflichtprogramm sein
       sollte.
       
       ## GegensÀtze vorm Museumstor
       
       Nun sind Museumsbesuche selten ein Grund, in die Ferne zu schweifen. Es sei
       denn, derselbe Ort macht neben Flucht, Vertreibung, GlĂŒckssuche auch noch
       das zweite Menschheitsthema unserer Zeit anschaulich. Denn nur wenige Meter
       entfernt beschreibt das Klimahaus die ZusammenhÀnge von Natur und
       Zivilisation nicht nur Ă€ußerlich spektakulĂ€r, sondern auch sehr
       unterhaltsam. WĂ€hrend die GĂ€ste des Auswanderermuseums Zeitzonen
       durchwandern, um vom Einzelschicksal auf das der Spezies zu schließen, wird
       die Zerbrechlichkeit der Erde im Klimahaus plastisch.
       
       Um Bremerhavens WidersprĂŒche zu erspĂŒren bieten sich aber nicht nur
       Indoor-Veranstaltungen an. Vorm Museumstor gibt es auch vielfÀltige
       GegensĂ€tze. Auswanderer- und Klimahaus befinden sich schließlich am Rande
       der „Havenwelten“ – ein Neubaugebiet, errichtet vor zehn Jahren auf den
       Ruinen des Neuen Hafens. Luxuriöse Appartementblocks reihen sich darin an
       sozialen Wohnungsbau mit Blick auf die Weser, die kurz vorm Industriegebiet
       im Norden eher Meer als Fluss ist.
       
       Noch mehr Überraschungen hĂ€lt die Stadt keine fĂŒnf Minuten von der
       FußgĂ€ngerzone entfernt bereit. Als alliierte Bomber Bremerhaven einst in
       Schutt und Asche legten, wurde ein Teil der BĂŒrgermeister-Smidt-Straße
       vergessen – und damit beispielloser Charme bewahrt. Das einzige
       Altbauquartier der Stadt beherbergt nun Shishabars und NahkauflÀden,
       Barbershops und Kunstgalerien, Partyzone und Alltagsleben. Mit seinen
       CafĂ©s mit Hafer-Cappuccino oder Kettenrauchern in Fußballkneipen erinnert
       dieses Refugium urbaner Geselligkeit daher ein wenig an das Hamburger
       Schulterblatt vor 20 Jahren. Und wenn es so weiter geht, wird auch das
       hier bald Geschichte sein. Denn zwischen Alltag und Entertainment hÀngen
       bereits erste Leerstands-Transparente an Altbauruinen.
       
       Wer durch die Schleusenstraße zum Deich runterblickt, ahnt, dass sich die
       Bodenspekulation in dieses Asyl echten Lebens frisst wie das
       Einkaufszentrum Mediterrano an den Rand der Havenwelten. Nun kann man die
       Simulation italienischer MarktplÀtze so hÀsslich finden wie das
       architektonische Durcheinander am Wasser. Zugleich aber verleiht es
       Bremerhaven etwas Geistreiches, dem Zeitgeist Trotzendes. Dank der Museen
       kommt noch Lehrreiches und deshalb schon auch Sehenswertes hinzu. Und die
       WesermĂŒndung ist ohnehin schön.
       
       14 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Freitag
       
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