# taz.de -- Romantischer Antikapitalismus
> In „Hexenjagd“ geht Silvia Federici der spezifisch gegen Frauen in
> afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gerichteten Gewalt nach
> und zwar in Hinblick auf die Transformation bäuerlicher Gesellschaft in
> kapitalistische Wirtschaftssysteme
Von Rosemarie Nünning
Bekannt wurde Silvia Federici den Feministinnen vor allem mit ihrem Buch
„Caliban und die Hexe“, das 2012 auf den deutschen Markt kam. Aus dem
italienischen Operaismus kommend, der als Motor gesellschaftlicher
Entwicklung und der Geschichte allein den Klassenkampf anerkennt, stellt
sie hier erstaunliche Behauptungen auf: Der Kapitalismus stelle die
konterrevolutionäre Antwort der Feudalherren auf soziale, antifeudale
Kämpfe und die Macht der Frauen dar. Die antifeudalen Kämpfe richteten sich
gegen die Entziehung (Einhegung) der Allmende, des Gemeindelands, zielten
auf die Wiederherstellung der alten egalitären Verhältnisse ab Die Macht
der Frauen bestand in der Kontrolle über ihren Körper und ihre
„reproduktiven Funktionen“ sowie über ihr Wissen um Verhütungsmittel und
Abtreibungstechniken. Zur Freisetzung einer Lohnarbeiterschaft bedurfte es
der Einhegung wie eines „genozidalen Angriffs“ auf Frauen – der Hexenjagd,
der laut Federici in Europa Hunderttausende zum Opfer fielen.
Eine Kurzfassung der Hauptthemen aus „Caliban“, ergänzt durch Aufsätze zur
Globalisierung und Gewalt gegen Frauen sowie Hexenverfolgung im heutigen
Afrika, hat der Unrast Verlag herausgebracht, um eine breitere Leserschaft
zu erreichen. Auch hier geht es um Hexenverfolgung als Aspekt der
„Transformation zur Etablierung des Kapitalismus“ und die von der
aufsteigenden Bourgeoisie organisierte Unterdrückung der weiblichen Lust
zur „Zeugung einer üppigen Arbeiterschaft“.
Von der historischen Seite her sind Federicis Behauptungen schon lange
aufgrund reicher Forschungsarbeit widerlegt. Zwar waren Frauen mehrheitlich
betroffen, aber die Zahl der Hexenhinrichtungen wird für Europa auf einiges
unter 100.000 geschätzt. Verfolgung gab es von „oben“ wie von „unten“,
Frauen der Heilkunde und Hebammen waren eine deutliche Minderheit. Und
Einhegungen spielten im deutschsprachigen Gebiet als Hotspot der Verfolgung
kaum eine Rolle. Federici erweitert deshalb den Begriff der Einhegung
vorsichtshalber auch auf „ausbeuterische Pachtverträge und neue
Steuerarten“.
Sie relativiert ihren Topos einer Strategie der Herrschaftssicherung: es
sei tatsächlich nicht vorstellbar, dass der aufsteigende Kapitalismus
anfangs „ein kollektives Bewusstsein“, einen „abgestimmten Plan“ verfolgte.
Zwanzig Seiten weiter erklärt sie umso nachdrücklicher: Frauen hätten „nie
zuvor einen solch massiven, international organisierten, legalen, religiös
abgesegneten Angriff auf ihre Körper erlebt“. Ihr Bogen zur heutigen
Verfolgung von Menschen als Hexen in einigen afrikanischen Ländern ist
nicht überraschend unhistorisch und zudem widersprüchlich. Als Widerstand
schlägt sie vor „eine Bewegung, in der Frauen sich auf Hexenjäger,setzen‘,
sich vor ihnen ausziehen und sie durch inszenierte Unanständigkeiten‘
öffentlich bloßstellen“.
Der feministischen Bewegung insgesamt bietet sie einen romantischen
Antikapitalismus mit Rückgriff auf vorfeudale bäuerliche Verhältnisse an.
Das von ihr zusammengetragene historische Material entwertet sie durch
willkürliche Interpretationen. Das ist alles sehr frustrierend und am
ehesten mit Befindlichkeitstheorie beschrieben.
Silvia Federici, „Hexenjagd. Die Angst vor der Macht der Frauen“. Unrast
Verlag 2019, 128 Seiten, 12,80 Euro
21 Jan 2020
## AUTOREN
(DIR) Rosemarie Nünning
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