# taz.de -- Aktivist über Krise im Libanon: „Die Parteien schützen das System“
       
       > Die Protestbewegung im Libanon lässt nicht locker. Was die Menschen auf
       > den Straßen des Landes antreibt, erklärt der Aktivist Nizar Hassan.
       
 (IMG) Bild: Regierungskritische Studentin demonstriert in Beirut im November
       
       taz: Herr Hassan, seit bald zwei Monaten gehen die Menschen im Libanon
       gegen die korrupte politische Elite und die anhaltende Finanzkrise auf die
       Straße. Ministerpräsident Saad Hariri und seine Regierung sind bereits Ende
       Oktober [1][zurückgetreten], doch der Protest hält an. Warum? 
       
       Nizar Hassan: Wir wollen eine Regierung, die unabhängig ist von den
       Parteien, Bankern und Immobilienspekulanten und nicht beeinflusst von der
       Elite, die seit 30 Jahren vom Wirtschaftssystem profitiert. Unabhängige
       Expert*innen sollen vorgezogene Wahlen organisieren, Schritte zur
       Bewältigung der Wirtschaftskrise einleiten und anfangen, die Korruption zu
       bekämpfen.
       
       Wie können die Protestierenden ihr Ziel erreichen? 
       
       Am 17. Oktober haben wir erfahren, dass die Regierung eine Steuer auf
       WhatsApp erheben möchte, was die ärmsten Menschen unserer Gesellschaft
       getroffen hätte. Deshalb haben wir zum Protest aufgerufen. Das zog
       innerhalb weniger Stunden Tausende in die Innenstadt Beiruts. In den
       folgenden drei Tagen wurde daraus [2][der größte Protest in der Geschichte
       Libanons]. Das ganze Land war beeinträchtigt, täglich haben Menschen die
       Straßen blockiert, das normale Leben war unterbrochen. Jetzt sind wir in
       einer zweiten Phase. Es gibt gezielte [3][Proteste vor öffentlichen
       Einrichtungen wie den Elektrizitäts- und Wasserwerken], die symbolisch für
       das Missmanagement und die Korruption stehen.
       
       Wie reagiert die Regierung? 
       
       Sie verfolgt konterrevolutionäre Strategien. Es hat gewalttätige Angriffe
       gegen Protestierende gegeben, zum Beispiel kamen Unterstützer der
       schiitischen Parteien Amal und Hisbollah auf die Straße, um
       Demonstrant*innen zu verprügeln und ihre Zelte anzuzünden. Die Angriffe
       sollen nicht nur Protestierende abschrecken, sondern auch Anhänger*innen
       dieser Parteien davon abhalten, sich den Aufständen anzuschließen.
       Gleichzeitig versuchen andere Parteien, die Bewegung zu kooptieren, indem
       sie sich den Protesten anschließen. Das schafft den Eindruck von
       Rivalitäten und zerstört das Bild eines geeinten Aufstands.
       
       Die Hisbollah [4][stellt sich als Widerstandsbewegung gegen Israel] dar,
       hat aber auch Abgeordnete im Parlament sitzen. In der letzten Regierung
       [5][stellte sie drei Minister]. Welche Rolle spielt sie? 
       
       Die Hisbollah ist die konterrevolutionäre Garde. Sie macht das, was alle
       Parteien möchten, aber nicht können: die Schuld auf sich zu laden,
       diejenigen zu sein, die gegen die Revolution sind. Sie kann sich das
       leisten, weil sie über die effektivsten Propagandamaschinen verfügt und am
       meisten Unterstützung in allen Altersgruppen hat, insbesondere bei jungen
       Menschen. Die Parteien im Libanon schützen nicht nur ihre eigenen Sitze im
       Parlament, sie schützen sich auch gegenseitig, die herrschende Klasse, das
       System. Sie versuchen zu verhindern, dass die Oligarchie, dieses System von
       Klientelismus und Korruption, zusammenbricht.
       
       Hariri, der momentan nur kommissarisch im Amt ist, hat angekündigt, dass er
       nicht noch einmal kandidieren wird. Wie geht es weiter? 
       
       Hariri sagte, die nächste Regierung müsse den Forderungen der Menschen
       entsprechen, insbesondere denen der Frauen, die Führungsstärke bewiesen
       hätten. Damit könnte er den Weg für die Innenministerin der vorherigen
       Regierung, Raja Hassan, als Ministerpräsidentin bereiten. Sie arbeitet seit
       mindestens zehn Jahren eng mit ihm zusammen. Hariri könnte sie als erste
       Ministerpräsidentin der arabischen Welt verkaufen, zusammen mit
       Technokraten. Das würde wie eine „coole“ Regierung aussehen, aber weiter
       die wirtschaftliche Elite repräsentieren. Hassan ist zwar offiziell vom
       Tisch, aber ich glaube, ihr Name ist noch immer in der obersten Schublade.
       Aber wir können die Handlungen der herrschenden Klasse ebenso wenig
       vorhersagen wie die Antwort der Leute darauf.
       
       10 Dec 2019
       
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 (DIR) Julia Neumann
       
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