# taz.de -- Arbeit und gesellschaftlicher Wandel: In der Zeitmaschine
       
       > Die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Das wird auch linke Diskurse verändern
       > und Mut zum Neuen erfordern.
       
 (IMG) Bild: Wir werden als Gesellschaft älter. Was heißt das für die Zukunft der Arbeit?
       
       Man reibt sich die Augen: Wir scheinen in einem völlig anderen Land zu
       leben als noch vor 15, 20 Jahren. Damals stand die
       [1][Massenarbeitslosigkeit] im Fokus, die Arbeitslosenzahlen der
       Bundesagentur für Arbeit waren das monatliche Orakel aus Nürnberg zur
       düsteren Zukunft des Sozialstaates. Unter Linken wurde diskutiert, ob man
       angesichts der steigenden Massenarbeitslosigkeit die Arbeit quasi wie einen
       Kuchen gerechter umverteilen müsse, indem mehr Menschen freiwillig auf
       Teilzeit gehen.
       
       Vorbei, vorbei.
       
       Heute fordert der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele,
       Teilzeitstellen aufzustocken. CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier setzt
       auf das [2][Fachkräfteeinwanderungsgesetz,] das im März kommen wird, und
       hofft auf neue Arbeitskräfte aus Indien, Brasilien und Vietnam.
       
       Einwanderung wird aber den demografischen Trend nur abmildern, der durch
       die niedrigen Geburtenziffern bedingt ist und durch die Tatsache, dass
       hierzulande immer mehr Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen der
       Babyboomer in Rente gehen.
       
       „Dass das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft, ist sehr, sehr
       wahrscheinlich“, sagt Enzo Weber, Wirtschaftswissenschaftler am Nürnberger
       Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Wandern etwa 300.000
       Menschen mehr pro Jahr nach Deutschland ein als ab, [3][sinkt die Zahl der
       Menschen im erwerbsfähigen Alter] dennoch von derzeit 47,8 Millionen auf
       43,8 Millionen im Jahre 2040, so die aktuelle [4][Prognose des IAB.]
       
       ## Keine Blaupause
       
       Das Problem: Es gibt keine Erfahrungen, keine Blaupause für eine
       Gesellschaft mit sinkender Erwerbsbevölkerung. Dabei werden sich auch linke
       Diskurse verändern müssen angesichts der neuen Situation. Denn mit den
       bekannten Feindbildern allein kommt man nicht weiter angesichts einer
       Gesellschaft, in der [5][die Balance zwischen Jungen und Alten, zwischen
       EinzahlerInnen und LeistungsempfängerInnen], zwischen reich, auskömmlich,
       prekär und arm neu austariert werden muss.
       
       In seinem Buch über „Japan – Abstieg in Würde“ beschreibt der Journalist
       Wieland Wagner, was sich auch hier verstärken könnte, wenn sich das
       Verhältnis von Alten zu Jungen weiter verschiebt. Viele Ältere gehen weiter
       arbeiten, manche Regionen veröden, während die Menschen in die gut
       versorgten Metropolen drängen. An Arbeitskräften für die Pflege mangelt es,
       und wer hochgebrechlich wird, ist mehr als bisher auf die Hilfe der Familie
       angewiesen.
       
       Das ist so auf Deutschland nicht ganz übertragbar, weil wir mehr
       Einwanderung haben als Japan – aber ein paar Trends sind anzunehmen. So
       wird die Bedeutung der Pflege wachsen in den Sozialkassen. Der
       Pflegeversicherungsbeitrag von heute 3,05 Prozent des Bruttolohns wird
       weiter steigen müssen. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 2,4 Prozent
       ab 2020 bleibt hingegen niedrig.
       
       ## Jenseits der Rente
       
       Es werden auch hierzulande mehr Ältere arbeiten. Die [6][Erwerbstätigkeit]
       von Menschen zwischen 60 und 64 Jahren hat sich in Deutschland rasant
       erhöht und liegt jetzt bei 60 Prozent in dieser Altersgruppe. Von den 65-
       bis 70-Jährigen arbeiten noch 17 Prozent. In Deutschland sind mehr Ältere
       erwerbstätig als in Frankreich, Österreich oder Holland. Laut IAB-Studien
       sind es nicht nur finanzielle Motive, warum Leute [7][jenseits des
       Rentenalters] noch arbeiten.
       
       Doch in welchen Jobs kann man überhaupt durchhalten bis ins Alter? Aus dem
       Arbeitsschutz weiß man, dass man in Jobs mit mehr Handlungsspielraum und
       Kontrolle über die Belastungen leichter alt werden kann als in Tätigkeiten,
       wo man dem Stress und der Schichtarbeit nicht zu entrinnen vermag. Das ist
       der Grund, warum etwa viele AltenpflegerInnen ihre Arbeitszeit reduzieren
       und solcherart ihren Verschleiß mit niedrigem Einkommen und geringen
       Rentenansprüchen selbst bezahlen müssen.
       
       Die personennahe Dienstleistung wird wichtiger, während die Produktion von
       Konsumgütern an Bedeutung verliert. Die Verteilungsfragen, die sich daraus
       ergeben, lassen sich aber nicht im Modus der früheren Arbeitskämpfe lösen,
       zumal es bei den personennahen Dienstleistungen nur geringe
       Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung gibt.
       
       ## Neue Verteilungsfragen
       
       Die Verteilungsfragen werden immer Aushandlungsprozesse mit mehreren
       Akteuren sein: Beim Kampf um eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns,
       um Verbesserungen der Personalschlüssel in Pflege und Kitas, um bessere
       Bedingungen im Versandhandel, da sitzen an der anderen Seite des
       Verhandlungstisches eben auch KundInnen, PatientInnen, Beitrags- und
       SteuerzahlerInnen.
       
       Als vor Kurzem die Pflegelöhne stiegen, erhöhten sich dadurch die
       Eigenanteile der HeimbewohnerInnen, was Patientenschützer sofort beklagten
       und mehr Hilfe vom Staat forderten. Eine Debatte, inwieweit man für die
       Pflege auch privates Vermögen einsetzen muss oder nicht, folgte auf dem
       Fuße.
       
       Der Auftrag an eine linke Politik muss künftig darin bestehen, sich in
       solchen Aushandlungsprozessen glaubwürdig zu positionieren und auf
       Abgabenbereitschaft auch in den Mittelschichten zu bestehen. Das wird
       zunehmend unpopulär werden in einer alternden Erwerbsgesellschaft, in der
       niemand von seinen Ansprüchen runter will. Geschenke gibt es nicht zu
       verteilen, sondern nur die Zugänge zu sichern zu Gesundheit, Pflege,
       Bildung. Im Unpopulären und Glaubwürdigen liegt der Auftrag des Politischen
       für die Zukunft.
       
       Wir alle sitzen in der Zeitmaschine, und der Vergleich, wie anders die
       Sozialdebatten vor 20 Jahren verliefen, beschert uns die Erkenntnis:
       Sozialdebatten verwandeln sich, mehr als wir uns heute vorstellen können.
       Darin liegt eine Hoffnung. Und eine Warnung zugleich.
       
       28 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.sozialpolitik-aktuell.de/arbeitsmarkt-datensammlung/articles/v-arbeitslosigkeit.html
 (DIR) [2] https://www.make-it-in-germany.com/de/visum/arten/arbeiten/fachkraefteeinwanderungsgesetz/
 (DIR) [3] /Zahlen-der-Arbeitsagentur/!5562157
 (DIR) [4] https://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k170209301
 (DIR) [5] /Sanktionen-fuer-Hartz-IV-Empfaenger/!5637750
 (DIR) [6] https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aeltere-Menschen/erwerbstaetigkeit.html
 (DIR) [7] https://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k181009v06
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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