# taz.de -- petition der woche: Versteckter Personalabbau für psychiatrische Betreuung
       
       Binnen einem Jahr erfüllen 27,8 Prozent der Erwachsenen in Deutschland die
       Kriterien einer psychischen Erkrankung. Das ist mehr als jeder Vierte.
       Angststörungen, Depressionen und Störungen aufgrund von Alkohol- und
       Medikamentenmissbrauch kommen am häufigsten vor. Psychische Krankheiten
       sind eine Volkskrankheit.
       
       In einer Studie von 2014 gaben fast 60 Prozent der befragten Ärzt*innen,
       Psycholog*innen und Pflegekräfte an, dass sie immer weniger Zeit für
       Zuwendung und Gespräche mit den Patient*innen haben. Diese Zahlen
       überraschen nicht: Die aktuelle Personalverordnung ist über 30 Jahre alt,
       die medizinischen Entwicklungen seitdem sind nicht berücksichtigt. Um die
       Betroffenen von psychischen Krankheiten angemessen behandeln zu können,
       braucht es jetzt vor allem zwei Dinge: mehr Personal und mehr Zeit.
       
       Beides verspricht nun eine neue Richtlinie des Gemeinsamen
       Bundesausschusses, die zum 1. Januar 2020 verabschiedet werden soll. Josef
       Hecken ist Vorsitzender dieses Ausschusses. In einem Übersichtspapier
       betont er, dass diese Richtlinie „erstmals verbindliche personelle
       Mindestvorgaben etabliert, (…) die eine angemessene Personalausstattung
       sichern“.
       
       Doch das Bündnis „Mehr Personal und Zeit für psychische Gesundheit“ hat
       eine Petition gegen die neue Richtlinie initiiert. Beteiligt sind mehr als
       30 Organisationen, darunter Berufs- und Klinikverbände sowie
       Zusammenschlüsse von Angehörigen und Betroffenen.
       
       Denn Iris Hauth, Ärztliche Direktorin am Alexianer St.-Joseph-Krankenhaus
       Berlin-Weißensee und Unterstützerin der Petition, und viele andere halten
       nicht viel von der neuen Richtlinie. In ihrer Klinik, die auf Neurologie,
       Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik spezialisiert ist, habe man
       sich zunächst gefreut. „Doch dann hat sich herausgestellt, dass statt einer
       Verbesserung sogar ein Personalabbau droht“, sagt sie.
       
       Da die Kliniken im ersten Jahr nur 85 Prozent der zeitlichen
       Mindestvorgaben erfüllen müssten, würde das bedeuten, dass weniger Personal
       als aktuell eingesetzt werden müsste. Die alte Verordnung sei in ihrer
       Struktur übernommen und nur die zeitlichen Vorgaben geringfügig erhöht
       worden. „Wie durch den Beschluss zwingend notwendige Personenaufstockungen
       in eine Versorgungsverschlechterung umgedeutet werden können, erschließt
       sich mir bislang nicht“, antwortete der Ausschussvorsitzende Hecken auf die
       Sorgen von Ärztinnen wir Iris Hauth.
       
       Einen Alternativvorschlag zur Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss
       gibt es auch schon: Statt nur die von der alten Verordnung ausgehenden
       zeitlichen Mindestvorgaben etwas zu erhöhen, entwickelten 15
       Fachgesellschaften und Verbände von Berufsgruppen, die in psychiatrischen
       Kliniken arbeiten, ein mehrdimensionales Modell. Dieses orientiert sich an
       den psychotherapeutischen, somatischen und sozialen Bedürfnissen der
       Patient*innen. 
       
       Hauth, die die Kämpfe um die Personalverordnung als das „Drama der
       Richtlinie“ bezeichnet, konkretisiert, warum diese von so großer Bedeutung
       ist: „Das Wichtigste unserer Arbeit ist, dass qualifiziertes Personal
       genügend Zeit hat, mit Patienten zu reden. Zeit ist der wichtigste
       Wirkfaktor.“ Die Petition endet Heiligabend. Hellen Vogel
       
       21 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hellen Vogel
       
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