# taz.de -- Die Zeichen der Kupferstecher
       
       > Insekten, Bäume, Menschen: Deren Lebenszyklen verschränkt Antje Majewski
       > in der Galerie neugerriemschneider
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht Antje Majawski, „Der Wald“, in der Galerie neugerriemschneider
       
       Von Andreas Schlaegel
       
       Dieses Jahr war auch ein Antje-Majewski-Jahr in Berlin: drei groß angelegte
       Ausstellungen hat die Künstlerin 2019 konzipiert. Und immer wieder standen
       Bäume im Mittelpunkt. Im Gemeinschaftsprojekt mit Paweł Freisler in der
       Galerie im Turm im Herbst ging es um den Verlust an Biodiversität am
       hochsymbolischen Beispiel von Apfelbäumen. Im Frühjahr in der Ausstellung
       „How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions“ im
       Hamburger Bahnhof waren es die kulturhistorisch bedeutenden, aber heute
       gefällten Bäume im Hof des senegalesischen Künstlers und Dichters Issa
       Samb.
       
       Was sie von ihren afrikanischen Freunden gelernt habe, erläuterte die
       Künstlerin im Gespräch, sei die Wichtigkeit, mit den eigenen Ahnen in
       Verbindung zu bleiben, auch wenn das angesichts der deutschen Geschichte
       nicht unproblematisch erscheint. In ihrer aktuellen Ausstellung in der
       Galerie neugerriemschneider wird sie konkret: Bäume werden sehr alt, sind
       damit nicht nur Zeugen früherer Zeiten, sondern, da der überwiegende Teil
       unserer Wälder auf der Forstwirtschaft vorangegangener Generationen
       basiert, auch deren Nachlass. Und der ist in Gefahr.
       
       In rötlichen Brauntönen zeigen zwei Gemälde Majewskis organisch-ornamentale
       Strukturen, die natürlichen Ursprungs sind: die typischen Spuren, die
       Borkenkäfer an Baumstämmen hinterlassen. Strukturen, die diesen Schädlingen
       ihren volkstümlichen Namen gaben: Buchdrucker und Kupferstecher. Sie bohren
       sich durch die Rinde insbesondere von Fichten, legen im Rindenbast für die
       Paarung Rammelkammern an und dann Larven ab.
       
       Die fressen sich nach einer Wachstumsphase wieder aus dem Baumstamm heraus,
       verwandeln sich in junge Käfer, die ausfliegen und neue Bäume angreifen.
       Dabei ziehen sie „gestresste Bäume“ vor, die sie am Duft erkennen, wie ein
       Pflanzentoxikologe im Video „Über den Borkenkäfer“ (2019) erklärt.
       
       Völlig gesunde Bäume können den Käferbefall abwehren, ihr Harz verklebt die
       Insekten und hält ihren Fraß auf. Wenn der Flüssigkeitskreislauf im Stamm
       durch die Aushöhlungen der Käfer und ihrer Larven unterbrochen wird, stirbt
       der ganze Baum ab, eine Entwicklung, wie sie in deutschen Wäldern gerade in
       bedrohlichem Maßstab zu beobachten ist. Der Forstwissenschaftler und
       direkter Vorfahre Majewskis, Karl Leberecht Krutzsch, erläutert dies in
       seinem 1825 veröffentlichten Buch „Geht der Borkenkäfer (Derm. typographus)
       nur kranke, oder geht er auch gesunde Bäume an?“.
       
       Die Künstlerin hat das Werk an die Wand der Galerie tapeziert. Krutzsch
       unterrichtete an der Königlich Sächsischen Forstakademie, gegründet 1816
       vom Pionier der Forstwissenschaft Heinrich Cotta in Tharandt im Erzgebirge,
       der sich gegen Monokulturen und für Mischwälder aussprach. Die zu seinem
       achtzigstem Geburtstag 1843 gepflanzten Eichen stehen heute noch und sind
       in dem Video zu sehen, das der Ausstellung auch ihren Titel gibt, „Der
       Wald“, 2019. Zur eigens komponierten Musik von Katrin Vellrath zeigt die
       Künstlerin historische und aktuelle Bilder von Cottas Grabstein, dem
       umliegenden üppigen Mischwald, aber auch entwaldeten Landstrichen.
       
       Die extreme Trockenheit der letzten Jahre hat dazu geführt, dass immer mehr
       Bäume für Borkenkäfer anfällig werden. Längere warme Sommer führten dazu,
       dass Bäume nicht mehr die Attacken nur einer, sondern bis zu fünf
       Generation Borkenkäfer aushalten mussten. Monokulturen der besonders
       wirtschaftlichen, weil schnell wachsenden Fichte schufen perfekte
       Bedingungen zur Massenvermehrung der Käfer. Dieser eine Effekt der
       Klimakatastrophe ist nicht nur schon heute wahrnehmbar, sondern macht als
       Beispiel die Ausmaße deutlich, die unsere und vermehrt zukünftige
       Generationen betreffen.
       
       Für Forstwissenschaftler heute stellt sich bereits jetzt die Frage, wie auf
       das sich verändernde Klima reagiert werden kann, welche Baumarten gepflanzt
       werden sollen, damit sie zukünftige Klimaszenarien überleben.
       
       In der Verschränkung dreier Lebenszyklen von Insekten, Bäumen und ihrer
       eigenen Familie macht Majewski die Schwierigkeit, aber auch die
       Notwendigkeit anschaulich, über Generationen hinweg zu denken. Die
       Ausstellung liefert ein einprägsames Plädoyer für Nachhaltigkeit und
       liefert mit der Tuschezeichnung ihrer Großmutter, „Toter Wald 1“ (1983),
       die aufgrund des sauren Regens abgestorbene Bäume darstellt, auch ein Bild
       der Hoffnung. Denn das Waldsterben der achtziger Jahre brachte die
       Ökologiebewegung ins Rollen. Der gesamtgesellschaftliche Druck zwang die
       Politik, Maßnahmen einzuleiten, die den sauren Regen und damit das
       Waldsterben stoppten. Das müsste doch wieder gelingen.
       
       Bis 8. Februar, neugerriemschneider, Linienstr. 155, Di.–Sa. 11–18 Uhr
       
       24 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Schlaegel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA