# taz.de -- Die Gentrifizierervon der linken Zeitung
       
       > Die taz hat ein Haus gebaut und damit ein Viertel verändert – wie?
       
 (IMG) Bild: Für den taz Neubau mussten acht Bäume gefällt werden: fünf Ahorne, eine Eiche und zwei Japanische Schnurbäume
       
       Von Rolf Lautenschläger
       
       Es gibt Metaphern für den aktuellen Zustand auf dem Berliner
       Immobilienmarkt – von „auf der Autobahn“ bis „gedeckelt“ –, die die ganze
       Bandbreite dieses berüchtigten Sektors illustrieren. Angesichts von
       Anzeigen dieser Art müssten jedoch krassere Umschreibungen her: „Penthouse,
       4,5 Zimmer, 270 Quadratmeter, Kaufpreis 2,95 Millionen Euro“. Eine Garage
       ist zusätzlich für läppische 30.000 Euro zu haben. Etwas günstiger ist es
       in der Nachbarschaft, wo in einem „NeuHouse“ 3-Zimmer- und 2-Zimmer-Buden
       nur 1,5 Millionen beziehungsweise knapp 500.000 Euro kosten. Kein
       schlechter Preis für die Lage.
       
       Ausgerechnet in der südlichen Friedrichstadt, ein paar Meter vom Jüdischen
       Museum und vom Willy-Brandt-Haus entfernt, dort, wo Kreuzberg in seinen
       zerfurchten Teilen und Milieus noch mehr oder weniger aussieht wie
       seinerzeit im Schatten der Mauer, werden solche Luxusimmobilien angeboten.
       
       Es sind Offerten an die Zukunft „mit Blick auf den Besselpark“ oder für
       „kreative Köpfe“. „Medienschaffende finden hier Inspirationen durch
       Impressionen aus der umliegenden Nachbarschaft.“ Und da wird’s interessant:
       Bebildert ist die Annonce mit der neuen taz, mit Journalisten, die vor dem
       Haus in der Sonne sitzen, sowie mit anderen schicken Adressen gleich um die
       Ecke. La dolce vita in Kreuzberg – auch dank der taz?
       
       Dass sich in der unmittelbaren Umgebung der Großmarkthalle etwas verändern
       würde, nachdem Daniel Libeskind sie 2011 zur Akademie des Jüdischen Museums
       umgebaut hatte, war absehbar. Auch war erwartbar, dass Investoren und
       Wohnungsbauunternehmen mit wachsendem Druck die sechs Brachen östlich der
       Friedrichstraße ins Visier nehmen würden.
       
       Neu aber war damals, dass eine Gruppe von Architekten, Initiativen aus dem
       Bezirk, Genossenschaften, Medien- und Kunstschaffende ein Gleiches taten,
       um dort ein „Kreativquartier“ in der typischen Kreuzberger Mischung aus
       Arbeiten und Wohnen zu entwickeln; darunter auch die taz.
       
       Karl-Heinz „Kalle“ Ruch, Geschäftsführer des Blattes, wollte „etwas für die
       Zukunft“ der Zeitung bauen. Von Gentrifizierung war damals keine Rede oder
       davon, dass tazler und andere Kreative die Preise verderben könnten.
       
       Heute steht das taz Haus der Züricher Architekten Piet und Wim Eckert aus
       Glas und Stahl wie eine Landmarke in der unteren Friedrichstraße und in
       seiner Flucht das Projekt „Frizz23“ mit Nutzern aus den Branchen
       Architektur, Design und Medien.
       
       Um den Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz sind, als urbaner Rahmen für die
       Akademie geplant, Gebäude entstanden für potente Mieter (zum Beispiel 15
       Euro kalt pro Quadratmeter) und Ladenpächter (30 Euro kalt), außerdem
       bezahlbare Unterkünfte: das terrassenförmige „Metropolenhaus“ im Norden;
       und südlich des Platzes der fast 100 Meter lange originelle Riegel mit 66
       Wohnungen, 17 Ateliers sowie Läden für soziale Träger der
       Selbstbaugenossenschaft Berlin eG gemeinsam mit den Architekten ifau und
       Heide & von Beckerath.
       
       Komplettiert wird das Ensemble von dem Wohnkomplex „NeuHouse“, der seine
       sieben Geschosse wie den Bug eines Kreuzfahrtriesen in Richtung Besselpark
       schiebt. Hier werden für Wohnungen besagte 500.000, eine Million und mehr
       verlangt.
       
       Kreuzbergs grüner Baustadtrat Florian Schmidt hält ebenso wie die
       beteiligten Architekten und Projektentwickler das Ganze noch jetzt für
       einen genialen Coup von Senat, Bezirk und zivilgesellschaftlichem
       Engagement, durch den ein innovativer Städtebau entstanden ist: „Nachdem
       das Land das Gelände um die Blumengroßmarkthalle 2011 noch höchstbietend
       verkaufen wollte, ist dort, nachdem Berlins erstes Konzeptverfahren zur
       Vergabe öffentlicher Liegenschaften durchgeführt wurde, mittlerweile ein
       vielfältiges Kreativquartier entstanden, in dem sowohl Kunst und
       Gewerbeflächen als auch bezahlbares Wohnen und das neue taz-Gebäude ihren
       Platz finden.“
       
       Zur Sache gehört auch, dass die engere südliche Friedrichstadt mit ihren
       rund 11.000 Bewohnern, etlichen mit Migrationshintergrund, und den vielen
       Sozialbauten aus den 1960er/1970er Jahren seit der Vereinigung der
       Stadthälften große Begehrlichkeiten privater Wohnungsunternehmen geweckt
       hat. Mieterhöhungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen oder
       Gewerberäume hat das Bezirksamt in seiner letzten Sozialstudie registriert.
       Häuser wurden verkauft.
       
       Das geht bis heute so. Gerade konnte der Bezirk den Verkauf von 525
       Wohnungen an die Deutsche Wohnen verhindern und einen Block mit 1.500
       Bewohnern der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag zuschlagen.
       
       Im Quartier links und rechts der Friedrichstraße, sagt Schmidt zur taz,
       seien „wie in ganz Berlin und insbesondere in den innerstädtischen Lagen
       steigende Mieten und Verdrängungsprozesse“ zu beobachten. Der Bezirk habe
       das Viertel zwar vor zwei Jahren zum Milieuschutzgebiet erklärt, „um
       miettreibende Modernisierungen zu unterbinden“ und „durch das bezirkliche
       Vorkaufsrecht“ private Verkäufe und Spekulationen aufzuhalten. Doch es
       brenne bereits an anderer Stelle, etwa in der Wohnanlage
       Franz-Klühs-Straße, die die Eigentümer verkommen lassen. Schmidt wünscht
       sich, „dass auch dieser Block an die Gewobag geht“.
       
       Geht das Gespenst der Gentrifizierung um in der südlichen Friedrichstadt?
       Ist das Kreativquartier dafür verantwortlich, in dem gerade mithilfe des
       Bezirks die neue taz entstanden ist? Oder wird es aus den Sozialblöcken
       zwischen Wilhelm- und Lindenstraße bereits wieder vertrieben? Die Frage
       ist: Steht das ganze Stadtviertel überhaupt vor einer Gentrifizierung oder
       hätte es gar eine nötig?
       
       Die Antwort liegt irgendwo dazwischen. Jurymitglieder des
       Architektenwettbewerbs um die neue taz erinnern sich vielleicht noch, dass
       in Vorbereitung der Auslobung 2013 Kalle Ruch Anwohnerinitiativen,
       Bürgerinnen und Bürger der südlichen Friedrichstadt in die alte taz in der
       Rudi-Dutschke-Straße eingeladen hatte. Die zukünftigen Nachbarn sollten
       über das Bauvorhaben informiert werden, aber auch ihre Bedenken äußern.
       
       Partizipation kommt manchmal sehr pragmatisch daher. Bleiben uns noch genug
       Parkplätze? Wird es laut und dreckig im Bereich der Bauarbeiten? Und wie
       lange dauern die? Ein paar Bemerkungen spiegelten die Besorgnis wider, dass
       das neue taz-Gebäude samt Kreativquartier das Gesicht des Viertels, dessen
       soziales Gefüge und den Wohnungsmarkt verändern könnte. Zu Protesten gegen
       den taz Neubau kam es 2015 kurz vor Baubeginn; Anwohner und Geschäftsleute
       wetterten: „Hände weg von unseren Bäumen“, obwohl nur acht Bäume auf dem
       Grundstück fielen. Zudem warnten sie davor, dass Gewerbetreibende verdrängt
       würden und das ganze Viertel vor der Gentrifizierung stehe.
       
       Na ja. Tatsächlich ist es in der Galerie Tammen, die gegenüber der taz
       liegt, schicker geworden als noch zu Zeiten ihres Standorts am
       Chamissoplatz oder in der Kochstraße. Die Preise in manchen Cafés, Bistros
       und Geschäften haben angezogen – auch die in der taz Kantine. Es gibt mehr
       Hotels, Neubauten, sanierte Gebäude, höhere Mieten. Büromenschen und
       Coffee-to-go-Konsumenten mischen sich ins Viertel. Der Besselpark wird
       renoviert. Doch zugleich existieren die typischen Ramschläden, die
       Nails-Stuben, der Imbiss, informelle Geschäfte, der Supermarkt, der
       Mehringkiez, das Tommy-Weisbecker-Haus und der öde Theodor-Wolff-Park noch
       immer.
       
       Mittendrin die taz, die Ärztekammer, Schulen, Kitas, der Campus
       Berufsbildung und einen Steinwurf weiter das Theater Hebbel am Ufer, das
       Arbeitsamt, die Architektenkammer, der Checkpoint Charlie, die Berlinische
       Galerie. Als eine „Vielzahl der Orte“ hat der frühere Kreuzberger
       Bürgermeister Franz Schulz das Quartier einmal charakterisiert und die
       interessante Bemerkung gemacht, dass hier die „üblichen Assoziationen von
       Kreuzberg“ nicht funktionieren.
       
       Denn obwohl die Attribute des Wandels bemerkbar seien, prägten die
       Gegensätze, die Widerstände den Ort. Was stimmt. Ist doch die südliche
       Friedrichstadt zu komplex, zu heterogen, zu identisch, um nur aktuell
       kausalen Veränderungsprozessen zu gehorchen.
       
       Zugleich hat es der Bezirk geschafft, Milieus zu schützen. „Durch den hohen
       Anteil an kommunalem Wohnraum […] kann eine soziale Mischung erhalten
       bleiben. Aber auch der Mietendeckel wird einen Beitrag leisten, wie auch
       der Milieuschutz“, ist sich Schmidt sicher.
       
       Ist also die Typologie des Stadtteils der Kontrast, sein lebendiges
       Gefälle, Arm neben Reich? Kann er deshalb Aufwertungswellen – im Schutz von
       Regelungen – verkraften?
       
       Am merkwürdigsten ist doch, dass die Friedrichstraße das Quartier und das
       soziale Gefüge seit langer Zeit wie eine Grenzlinie teilt. Im Süden
       markiert der Mehringplatz einen Schlusspunkt. Von dort aus reihen sich die
       Archipele der südlichen Friedrichstadt wie autonome Einheiten aneinander.
       Besucher des Jüdischen Museum spüren nichts vom Viertel um das
       Wohnkollektiv Tommy-Weisbecker-Haus. Kaum anderes spiegeln die Archipele
       Kreativquartier und Hedemannstraßenblock wider.
       
       Es bleibt also weiterhin widersprüchlich in der südlichen Friedrichstadt.
       Alles hier ist in Bewegung, es gibt Metamorphosen und auch Widerstände.
       Genau das Viertel also, das die taz braucht.
       
       Gut gemacht, Kalle.
       
       Rolf Lautenschläger war bis 2017 Redakteur für Architektur und
       Stadtentwicklung in der Berlin-Redaktion der taz.
       
       14 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
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