# taz.de -- heute in bremen: „Solidarität scheint altmodisch“
       
       Interview David Siegmund-Schultze
       
       taz: Frau Gerhard, welche Fragestellungen haben Sie in der Anfangszeit der
       Frauen- und Geschlechterforschung interessiert? 
       
       Ute Gerhard: Ich habe zunächst Jura studiert, aber gemerkt, dass trotz
       formaler Gleichstellung der Geschlechter einiges nicht stimmte. Die
       geschlechtshierarische Arbeitsteilung auf dem Arbeitsmarkt und in der
       Familie, oder auch die Verweigerung der sexuellen Selbstbestimmung waren
       offensichtlich. Deshalb war es für mich interessant, zu erforschen, welche
       Wurzeln diese Strukturen hatten und wie wir diese verändern können.
       
       Wie kam es, dass Sie 1987 den ersten Lehrstuhl für Frauen- und
       Geschlechterforschung erhielten? 
       
       Die Student*innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen in Frankfurt
       hatten 13 Jahre mit Streiks und Demonstrationen dafür gekämpft. Die Uni
       hatte eine wache Frauenbewegung und eine starke linke Fraktion im
       Fachbereich Soziologie.
       
       Haben sich die Themen der Frauenforschung seit damals verändert? 
       
       Natürlich, in den feministischen Zielsetzungen hat sich vieles verändert
       und die jüngeren Feminist*innen grenzen sich bewusst von uns ab. Heute
       steht Identität viel mehr im Zentrum, was aus meiner Sicht auch ein Produkt
       unserer Leistungsgesellschaft ist. Ich bin als alt gewordene Feministin
       etwas angefasst, wenn unsere Unterschiedlichkeit mehr betont wird, als
       mögliche Gemeinsamkeiten. Solidarität scheint ein altmodisches Ziel
       geworden zu sein. Gestern hatte ich ein Gespräch mit jungen Feministinnen,
       die mir gesagt haben: „Unsere Probleme sind nicht mehr dieselben.“ Ich sehe
       das anders: Die Lohnungleichheit ist geblieben und es gibt zu wenig
       weibliche Präsenz in den Spitzen von Wirtschaft und Gesellschaft. Ich
       meine, dass moderne feministische Kampagnen wie MeToo stärker mit der
       sozialen Frage verknüpft werden müssten.
       
       5 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Siegmund-Schultze
       
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