# taz.de -- taz-adventskalender: Berliner Glanz
       
       Wer etwas über Berlin lesen will, hat viel Auswahl. Die schönsten
       Schriftstücke stellt die taz bis Weihnachten täglich vor. Und es geht nicht
       nur um Bücher! 
       
       Was würde Doris wohl heute machen? Die 18-jährige Protagonistin aus Irmgard
       Keuns Romanklassiker „Das kunstseidene Mädchen“ bricht aus ihrem Büroalltag
       in Köln aus und macht sich auf den Weg nach Berlin. Sie möchte in der
       Hauptstadt der Weimarer Republik im Jahr 1931 ein Glanz sein, ganz oben
       ankommen oder anders ausgedrückt: berühmt werden.
       
       Keuns Roman ist eine eindringliche Charakterstudie über eine naive, junge
       Frau aus ärmlichen Verhältnissen und ich fühlte mich Doris durch ihren
       Wortwitz schnell verbunden.
       
       Keun formuliert aus ihrer Perspektive und die Protagonistin schreibt, was
       ihr in den Sinn kommt. Als Doris für ihre gewünschte Karriere mit neuem
       Pelzmantel und Hut in der Friedrichstraße ankommt, überwältigen sie die
       Massen. Ihre Gedanken sind wirr und sie erzählt ohne Filter, was um sie
       herum passiert.
       
       Heute würde Doris eine enge Straße voller kommerzialisierter Läden
       vorfinden, die weder kompletter Ramsch noch charmante Boutiquen sind.
       Massen tummeln sich hier selten – die findet man wohl nur noch im Bahnhof
       Friedrichstraße.
       
       Berlins Reiz liegt schon lange nicht mehr in den alten Hotspots. Die
       Kabaretts, in denen sich Doris ohne richtige Bleibe rumschlägt, haben heute
       geschlossen. Orte wie der Friedrichstadtpalast versuchen verzweifelt auf
       dem kosmopolitischen Ruf aus Doris’ Zeiten aufzubauen. Das Konzept von
       Berühmtheit oder Celebrity hat inzwischen befremdliche Formen angenommen.
       Bis vor einigen Dekaden schlossen sich Ruhm, Kultur und gesellschaftlicher
       Einfluss noch nicht aus. Das zeigen Figuren wie die Geschlechterrollen
       brechende Marlene Dietrich, die von Doris zitiert wird.
       
       Der moderne Glanz der Hauptstadt kommt von Orten, die sich ihre
       künstlerischen Freiheiten nehmen. Das hat wenig mit Berlins altem
       Hollywood-Charme zu tun. Deshalb würde Doris wahrscheinlich in eine andere
       Stadt ziehen. Doch egal wohin es sie heute triebe, ihr Karrierevorhaben
       müsste genauso kläglich wie damals scheitern. Nicht einmal Entwicklungen
       wie soziale Netzwerke könnten ihre Naivität und Selbstbezogenheit in einen
       Glanz verwandeln. Denn ein Glanz ist man oder ist man nicht. Und wie Doris
       es am Ende selbst einsieht – vielleicht ist der Glanz an sich auch gar
       nicht so wichtig. Lorina Speder
       
       Berlin-Faktor: So atemlos fühlte sich die Hauptstadt in der Weimarer
       Republik zwischen Glitzer und Armut an
       
       Taugt als Weihnachtsgeschenk für: LiebhaberInnen der Neuen Sachlichkeit,
       Fans von Büchern mit außergewöhnlichen Protagonistinnen
       
       Kunden, die das kauften, kauften auch: den Film „Der blaue Engel“ mit
       Marlene Dietrich, „Die Dreigroschenoper“, Erich Kästners „Fabian. Die
       Geschichte eines Moralisten“
       
       4 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lorina Speder
       
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