# taz.de -- Neues Album des Duos OTTO: Lecker Leberkasmusik
       
       > Vom Wohnzimmer ins All: Das Synthie-Duo OTTO zelebriert auf seinem Album
       > „Over The Top Orchestra“ charmanten Retrofuturismus.
       
 (IMG) Bild: Man riecht die Bontempi-Orgel: OTTO
       
       Für Außenstehende wirkt Bayern oft wie ein verschworener Kreis von
       Eingeweihten, doch innerhalb des Freistaats sieht das anders aus. Es gibt
       nur wenige Symbole von gesamtbayerischer Strahlkraft. Zu nennen wäre etwa
       der [1][Märchenkönig Ludwig II]. sowie der ehemalige Landesvater Franz
       Josef Strauß und, nun ja, die [2][Leberkassemmel]. Auf diese fleischliche
       Masse können sich Ober- und Niederbayern, Franken, Oberpfälzer und Schwaben
       gleichermaßen einigen. Würzig-fettig, außen fein gebräunt, mit rosa
       glänzendem Inneren: So soll der Leberkas idealerweise aussehen. Es war also
       höchste Zeit für eine (inoffizielle) Hymne.
       
       Diese kommt dieser Tage von der Gruppe OTTO. Auf dem Album „Over The Top
       Orchester“ besingen die beiden Langhaarträger Alexander Arpeggio und Cid
       Hohner jene Mahlzeit für den Zeitraum zwischen Frühstück und Vesper. Doch
       [3][„LKS 98“] ist beileibe nicht der Höhepunkt ihres Albums: Für bekennende
       Vegetarier*innen und andere Nichtbayern mag es womöglich gar nicht zu
       großen Sympathien reichen. Ein Glück also, dass sich Arpeggio und Hohner
       durch gerissenes Orgelspiel auszeichnen.
       
       Mittlerweile in Berlin lebend, sind die beiden sehr aktiv um den Neuköllner
       Wohnzimmerclub Sameheads. Diese Institution des Nachtlebens zeichnet sich
       durch DJ- und Livenächte voller wilden Diggertums genauso aus wie durch
       seine retrofuturistische Eingangsetage, die anmutet wie eine italienische
       Eisdiele in den Fünfzigern. Zwischen unfassbarem Schnickschnack entstand in
       den letzten Jahren eine Rumpelkellerszene, die unbekannte alte Perlen und
       aktuelle Tanzmusik abseits von Techno zusammenbringt und Woche für Woche
       enthemmte Partys feiert.
       
       ## Feuchtfröhlich kosmisch
       
       Wer meint, dass all die durchzechten Nächte zwangsläufig zur Verblödung
       führen würden, liegt falsch: OTTO spielen immer intelligenten Orgelpop. Das
       Duo zitiert feuchtfröhlich kosmische Musik und Krautrock,
       Synthesizerexotika der Siebziger, driftet gar in psychedelische Gefilde ab
       und setzt sich an die Speerspitze einer neuen Bewegung, die lieber auf
       „echten“ Instrumenten spielt, statt bloß die Maustaste über den Bildschirm
       zu schieben.
       
       Kein Wunder also, dass das Hamburger Entdecker-Label Bureau B zugeschlagen
       hat. Zwischen Dieter Moebius und [4][Conrad Schnitzler] ist Platz für OTTO.
       Gerade mit dem häufig absurd-komischen Schnitzler werden OTTO-Hörer viel
       anfangen können – und vice versa.
       
       Den sprichwörtlichen roten Teppich rollen sich die beiden Berliner mit
       bayerischem Migrationshintergrund gleich selbst mit dem gleichnamigen
       Auftakt aus. Angetrieben von einer dieser Preset-Rhythmusbegleitungen, die
       bei Heimorgeln frei Haus kommen, entwickelt sich ein Instrumentalstück, das
       nach Bontempi und Farfisa klingt, nein, sogar schmeckt.
       
       ## Es orgelt comme il faut
       
       Hinter dem Retroschick dieses und aller weiteren Elektroorgelstücke, die
       gänzlich comme il faut sind, versteckt sich nicht das Wiederbeleben
       trivialer Kitsch-Electronica à la Jean-Michel Jarre. Vielmehr zeigen
       Stücke wie „Hoch zu Ross“ und „Schuss im Scham“, wie man auf spielerische
       Art und Weise heute instrumental Musik macht – abseits von Tand.
       
       Dub-Einflüsse oder der dezente Charme der Neuen Deutschen Welle fließen
       langsam ein. Das ist nie humorlos, nie eisern, nie spröde deutsch, wie
       schon die Songtitel zeigen. OTTO tragen unheimlich viel Spaß zur Schau. Das
       bewiesen sie auch auf ihrem Debüt mit dem grandiosen Namen „Greatest Hits“.
       Wer befürchtete, dass sich auf Albumlänge nun Langeweile einstellen könnte,
       wird eines Besseren belehrt. Noch bis zum Finale baut sich Spannung auf –
       „Morgendanach“ ist das Experiment zum Schluss, das mit kaum mehr als einem
       spechthaften Klopfen und einigen kleinen Synthesizersounds auskommt. Das
       ist in Gänze so frisch, dass man Lust auf eine Leberkassemmel bekommt –
       und sei es bloß als musikalische Abstraktion.
       
       30 Nov 2019
       
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