# taz.de -- Wo der Raum zum Dialog wird
       
       > Abdullah Ibrahims japanisch-minimalistisch inspirierter Klavierabend im
       > großen Saal der Philharmonie
       
       Von Oliver Kontny
       
       Abdullah Ibrahim war vor uns allen in Berlin. 1962 spielte der
       südafrikanische Pianist, damals noch unter dem Namen Dollar Brand, in der
       Kreuzberger Passionskirche. Bei einem PR-Auftritt im Kulturkaufhaus
       Dussmann am Montagabend erzählt er, wie eine Organisatorin nachts in den
       U-Bahn-Stationen wild Plakate geklebt habe. Einen Moment lang versucht er,
       sich an ihren Namen zu erinnern. Dann lächelt der 85-Jährige, mittlerweile
       sei er wohl in jeder einzelnen Ortschaft Deutschlands aufgetreten.
       
       In 58 Jahren kommt man viel herum. Am Dienstagabend spielte Ibrahim im
       großen Saal der Berliner Philharmonie 90 Minuten Piano solo. Atemzug um
       Atemzug erinnerte er sich seines politischen und musikalischen Lebens vor
       einem Publikum, das ihn größtenteils auch schon jahrzehntelang kennen
       dürfte.
       
       Als der junge Dollar Brand 1962 erstmals nach Berlin kam, hatte der African
       National Congress (ANC) gerade den bewaffneten Kampf begonnen, das Regime
       reagierte mit Gewalt und verschärften Apartheidmaßnahmen. In Capetown hatte
       Dollar Brand Miriam Makeba begleitet. Sein erstes Album erschien 1959.
       
       Seine Musik blieb immer von den singbaren, aufwühlenden Melodien der
       Township-Musik geprägt, die er oft in wuchtige Ostinato-Basslinien
       übersetzte. Unter dem Eindruck der politischen Wut jener Jahre öffnete er
       sich dem Free Jazz, den disharmonischen Clustern und perkussiven
       Dimensionen des Klavierspiels. 1968 wurde er Muslim, hörte auf zu trinken
       und nahm den Namen Abdullah Ibrahim an. Später begann er, den Weg
       japanischer Kampfkunst, budo, zu praktizieren.
       
       Über die Jahrzehnte entstand ein Repertoire aus Eigenkompositionen, die
       sich mit jeder Einspielung und jedem Konzert weiterentwickeln. Die
       Dringlichkeit der 70er und der Enthusiasmus der 80er sind einer
       Reflektiertheit gewichen, die immer mehr Platz für Leere bietet. Ibrahims
       Bewunderung für klassische japanische Ästhetik spiegelt sich in der
       abstrahierten Art, mit der er seine Kompositionen ausdünnt. Ein
       Pinselstrich, eine Geste im Raum. Viel Energie fließt darein, sie mühelos
       wirken zu lassen.
       
       ## Die drei berühmten Noten von John Coltrane
       
       Das zweite Stück am Abend ist dem Saxofonisten John Coltrane gewidmet.
       Bevor die drei Noten kommen, auf die ursprünglich der Name John Coltrane
       gesungen wurde, richtet sichIbrahim sich auf, bis sein Rücken ganz gerade
       ist und die Hände weit weg von der Tastatur am Körper liegen. Ein
       Haltepunkt im Raum, ein Eingedenken, in das die drei Noten kaum noch
       nachhallen.
       
       Von der einst durchrollenden Basslinie eines anderen Stückes spielt er
       ebenfalls nur die ersten drei Noten. Wer sie kennt, hat sie eh sofort im
       Kopf. BeBop-Trompeter Dizzy Gillespie habe ihm gesagt: Es braucht 30 Jahre,
       um zu lernen, was man spielt, und 30 weitere Jahre um zu lernen, was man
       nicht spielt. Abdullah Ibrahim hat diese 60 Jahre auf den Punkt absolviert.
       
       In Japan hat er Nō-Theater gesehen. „Da hast du nur eine Bewegung, die sehr
       langsam ausgeführt wird und dann stillsteht“, sagt er. „Dadurch entstehen
       einzelne Bilder, die unsere Vorstellungskraft herausfordern – anders als
       Filme, in denen die raschen Schnitte dir kaum noch Raum lassen.“ Die
       Akustik der Scharoun-Philharmonie ist perfekt für diese Art, Musik zu
       denken. Der Raum ist Dialog. Auch das Husten des Publikums hat seinen
       Platz. Selbst ein klingelndes Handy kann der Musik nichts anhaben.
       
       Schließlich sind die bedeutendsten historischen BeBop-Aufnahmen vom
       Besteckklappern der Clubgäste durchzogen. Sie dokumentieren die Würde
       schwarzer Musiker gegenüber einem weißen Publikum, dem sie nicht mehr
       Unterhaltung, sondern musikalische und menschliche Herausforderungen bieten
       wollten. Abdullah Ibrahim erzählt die Geschichte dieser Würde weiter. Er
       braucht dafür kaum noch Töne.
       
       21 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Kontny
       
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