# taz.de -- Mit wachsamer Skepsis
       
       > Die organisierte Kriminalität in Italien bildet dieses Jahr auf dem
       > Italian Film Festival Berlin (IFFB) einen Schwerpunkt. Eine Note
       > magischen Realismus bringt die Hommage an die Regisseurin Alice
       > Rohrwacher
       
 (IMG) Bild: Still aus „La mafia non è più quella di una volta“ von Franco Maresco
       
       Von Gloria Reményi
       
       Am 20. April 2018 verkündet ein Schwurgericht in Palermo ein historisches
       Urteil. Demzufolge schlossen Vertreter des italienischen Staates in der
       Zeit der Attentate auf die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im
       Jahr 1992 einen Pakt mit der sizilianischen Mafia Cosa Nostra, damit diese
       den Massakern ein Ende setzte. Inzwischen ist der Prozess in die zweite
       Instanz gegangen.
       
       Doch die Welle der Aufmerksamkeit um das Verfahren scheint in der
       öffentlichen Debatte in Italien längst abgeebbt zu sein. Daran, dass es
       sich dabei womöglich um einen ersten Schritt in Richtung Aufarbeitung eines
       der dunkelsten Kapitel der italienischen Geschichte handelt, erinnert uns
       zum Glück das italienische Kino mit zwei namhaften Produktionen in diesem
       Jahr. Beide Filme sind nun auf dem Italian Film Festival Berlin zu sehen,
       das den Schwerpunkt seiner sechsten Ausgabe auf die Problematik der
       organisierten Kriminalität in Italien legt.
       
       In dem Spielfilm „Der Verräter“ erzählt der Altmeister des italienischen
       Kinos, Marco Bellocchio, die wahre Geschichte von Tommaso Buscetta. Als
       erster Mafia-Kronzeuge überhaupt enthüllte dieser in den 80er Jahren
       erstmals die Struktur der Cosa Nostra und ebnete damit den Weg für den
       Maxi-Prozess, der zwischen 1986 und 1992 über 450 Angeklagte vor Gericht
       brachte. Dass Buscetta trotzdem kein Held war, lässt Bellocchio nicht unter
       den Tisch fallen und zeichnet seinen Protagonisten als vielseitigen
       Charakter, der von Pierfrancesco Favino äußerst überzeugend gespielt wird.
       
       Das Hauptaugenmerk legt der Regisseur auf die akkurate Rekonstruktion des
       Prozesses. Doch die echte Tragweite der Geschichte wird erst deutlich, wenn
       es um Buscettas Aussagen über die Verbindungen zwischen Mafia und Politik
       geht. So wird ein Bogen bis in die Gegenwart geschlagen, wo ebenjene
       Verbindungen noch Prozessgegenstand sind.
       
       In seiner grotesken Doku-Fiktion „La mafia non è più quella di una volta“
       zeigt Franco Maresco hingegen, wie heute das Gedächtnis an die ermordeten
       Mafiajäger Falcone und Borsellino in Italien banalisiert oder sogar
       verdreht wird. Mit wachsamer Skepsis und gnadenlosem Blick beobachtet der
       Regisseur die Demonstrationen für das 25. Jubiläum der Massaker von Capaci
       und Via D’Amelio in Palermo, die mittlerweile eher einem fröhlichen
       Dorffest ähneln, sowie ein zu Ehren der zwei Richter organisiertes
       skurriles Festival mit Sängern des Neomelodico, auf dem niemand „No alla
       mafia“ sagen möchte.
       
       Seine Entdeckungen bringt Maresco auch mit der herrschenden
       Gleichgültigkeit gegenüber dem Urteil über das unerlaubte Zusammenwirken
       von Staat und Mafia in Verbindung und bietet so eine erschütternde
       Momentaufnahme, die eine*n fassungslos und wütend zurücklässt.
       Ausgezeichnet wurde der Film auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem
       Spezialpreis der Jury.
       
       Ein weiteres Highlight abseits des Schwerpunktthemas ist die Dokumentation
       „Santiago, Italia“ des politisch links engagierten Regisseurs Nanni
       Moretti, eine Erzählung der Zeit nach dem Sturz der demokratisch gewählten
       sozialistischen Regierung von Salvador Allende durch General Augusto
       Pinochet im Jahr 1973 in Chile. Moretti konzentriert sich auf die Rolle der
       italienischen Botschaft in Santiago, die damals als fast einzige
       Institution Hunderte Menschen vor der Verfolgung des Militärs rettete,
       indem sie ihnen politisches Asyl in Italien bot. Darauf blickt der
       Regisseur etwas selbstverliebt zurück, bringt aber durch die Aussagen der
       Zeitzeugen, die sich fast lückenlos mit wenigen Archivbildern
       aneinanderreihen, auch eine klare Kritik an der heutigen Flüchtlingspolitik
       Italiens zum Ausdruck. Dass in diesen Tagen zudem das Militär gegen die in
       Chile herrschenden Massenproteste erstmals seit dem Ende der
       Pinochet-Diktatur eingesetzt wurde, verleiht Morettis Film derzeit noch
       größere Relevanz.
       
       Für eine Note magischen Realismus im Programm sorgen schließlich die Filme
       von Alice Rohrwacher, die leider als einzige Regisseurin in der Auswahl des
       IFFB vertreten ist. Ihr und ihrer Schwester, der Schauspielerin Alba
       Rohrwacher, ist die diesjährige Hommage gewidmet. Gezeigt werden nicht nur
       Alice Rohrwachers bekanntere Werke „Land der Wunder“ und „Glücklich wie
       Lazzaro“, sondern auch ihr berührendes Debüt „Corpo Celeste“, eine
       Coming-of-Age-Geschichte, die in einer stark katholisch geprägten Gemeinde
       Kalabriens spielt.
       
       Darin schon zu erkennen sind die Motive von Rohrwachers späteren Filmen,
       wie etwa die Spannung zwischen dem Heiligen und dem Profanen, dem
       Märchenhaften und dem Realen, sowie ihre persönliche, allegorische Sprache.
       Eine gute Chance, um die Anfänge einer Regisseurin wiederzuentdecken, die
       das italienische Kino der letzten Jahre maßgeblich geprägt hat.
       
       Bis 17. 11., mehrere Kinos
       
       14 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gloria Reményi
       
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